Wohin mit der Wut? Das raten Therapeuten

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19. Oktober 2015 17:15 Uhr

Psychologie

Ärger, Wut, Tobsuchtsanfall – der Grat ist manchmal schmal. Doch aufschäumende Emotionen verleiten zu Überreaktionen, die noch mehr Stress produzieren können. Was also tun?


  1. Wut ist verpönt. Aber ein Gefühl, das jeder Mensch kennt. Foto: 21011997/Fotolia

Prominente prügeln auf Paparazzi ein, "Wutbürger" gehen auf die Barrikaden, und selbst normalerweise Friedliebende rasten gelegentlich beim Autofahren aus. Emotionale Ausschläge scheinen an der Tagesordnung zu sein. Im privaten wie im beruflichen Alltag wird allerdings auch viel Ärger unterdrückt, verdrängt und verleugnet. Wütend zu sein und es öffentlich zu zeigen, sich dabei nicht mehr im Griff zu haben, ist verpönt, es gilt als Charakterschwäche. So ist es den meisten Menschen hinterher peinlich, wenn sie die Fassung verloren haben.

Und auch gesundheitlich bleibt nicht folgenlos, wenn wir über längere Zeit hinweg nicht in der Lage sind, heftige negative Emotionen in den Griff zu bekommen. Aber: Wut zählt nun einmal zum normalen emotionalen Repertoire des Menschen. Man wird sie nicht einfach los, nur weil sie unbeliebt ist. Was also tun?

Dass etwas in uns hochkocht, passiert relativ schnell: Ein Rüffel vom Chef hier, eine bissige Bemerkung der Schwiegermutter dort oder eine kleine Provokation des Partners – der Alltag bietet 1001 Gelegenheiten, um uns auf die Palme zu bringen. Manchmal reichen Kleinigkeiten, um uns aus der Haut fahren zu lassen. Was letztlich Ärger bis hin zum Tobsuchtsanfall auslöst, ist sehr individuell. Doch egal, welche Ursache – aufschäumende Wut verleitet zu Überreaktionen, die postwendend noch mehr Ärger produzieren können – und den Stresspegel weiter ansteigen lassen.

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Mediziner wissen recht genau, was bei Wut im Körper passiert: Die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortison werden ausgeschüttet, Herzschlag und Blutdruck steigen. Der Blick auf das körperliche Stresssystem zeigt auch, warum es paradoxerweise nicht hilft, der Wut einfach freien Lauf zu lassen: Auch wenn wir explodieren, herumbrüllen oder Porzellan zertrümmern – die "Stressachse" bleibt oben.

Wer permanent ausrastet, geht deshalb gesundheitliche Risiken ein. So drohen ein erhöhter Cholesterinspiegel, Bluthochdruck, ein höheres Herzinfarktrisiko und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein Wutanfall ab und zu reicht dafür aber nicht aus. "Erst im Dauerzustand wird heftige Wut zum wichtigen Faktor", sagt Sven Barnow, Leiter des Lehrstuhls Klinische Psychologie/Psychotherapie und der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz der Universität Heidelberg. "Denn das führt zu einem sogenannten ,Hyper-Arousal’: Man ist schneller erregbar, Regeneration und Entspannung funktionieren weniger gut." Längerfristig könne das starke Muskelverspannungen, Kopfschmerz, sogar Migräne oder einen Bandscheibenvorfall auslösen, so Barnow. "Und selbst wenn man diese heftige Emotion nicht zeigt, bleibt sie doch bestehen."

Therapeuten, Psychologen und Psychiater sind häufig mit den Folgen von Wut konfrontiert. Andauernde Wut beeinträchtigt nämlich nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Gesundheit.

"Wenn irgendeine Emotion relevant ist für die Entstehung von depressiven Störungen, Ängsten, Zwängen oder Burnout, dann Ärger und Wut, die nicht mehr reguliert werden können", sagt der erfahrene Kliniker. Vor allem depressive Patienten unterdrücken Ärger und Wutemotionen oft. "Es ist ja nur eine Metapher, dass man Wut herunterschlucken könnte und sie dann tatsächlich verschwunden wäre", meint auch Claas-Hinrich Lammers. Der Ärztliche Direktor der Asklepios-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Hamburg-Nord beobachtet ebenfalls, wie schwer sich viele Patienten im Umgang mit ihrer Wut tun. Vor allem Borderline-Patienten oder solche mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung müssten in der Therapie oft mühsam lernen, ihre heftigen Anfälle zu regulieren.

Am anderen Ende des Spektrums stehen Patienten mit chronischer Bedürfnisfrustration. Sie erleben viel unterschwelligen Ärger, den sie aber nicht ausdrücken. Bei ihnen müsse man eher an einer positiven Sicht des Ärgers arbeiten, so Lammers. Also ihnen klarmachen, dass Wut ein Ausgangspunkt sein kann für Handlungen, die langfristig die Lebenssituation verbessern. Bei diesen Fällen versuchen Therapeuten, erst einmal einen gesunden Ärger auf das eigene Unvermögen, Probleme zu lösen hervorzurufen. Frauen gehören nach Barnows Erfahrung häufiger zum zweiten Typus: Sie richten Aggressionen eher gegen sich selbst oder drücken sie subtiler aus als Männer.

Nun macht es nicht zwangsläufig psychisch krank, wenn man ab und an seine Wut runterschluckt. Das hänge von weiteren Faktoren wie der genetischen Veranlagung, der sozialen Umwelt und den individuellen Erfahrungen ab, so Lammers. Allerdings spielten bei vielen psychischen Erkrankungen dauerhaft belastende Probleme eine große Rolle. Auch die Wut sofort rauszulassen, gilt nicht als optimal: "Wenn man den Dampf sofort ablässt, kommt paradoxerweise oft noch mehr Wut hoch", so Lammers. Und das Stresssystem bleibt hochgefahren.

Der Königsweg, da sind die beiden Mediziner sich einig, liegt in der Mitte. Das richtige Maß sei entscheidend, meint Barnow. Man könne lernen, einen moderaten Ausdruck für die Wut zu finden. "Es geht nicht darum, in jeder ärgerlichen Situation sofort Dampf abzulassen, und auch nicht darum, sich Ärger niemals anmerken zu lassen, sondern in solchen Situationen einen Ausdruck zu finden, der sozial kompetent ist", meint auch Lammers. Es gebe viele Wege, um seinem Ärger im Alltag einen Rahmen zu geben, der auch für andere ertragbar sei – für Familienmitglieder, Kollegen, Angestellte. Etwa SMS zu schreiben, zu argumentieren, sich erst einmal beruhigen.

Quasi als private Langzeittherapie empfiehlt Barnow, mit sich selbst freundlicher umzugehen, netter zu sich selbst zu sein, sich besser zu akzeptieren, den inneren Kritiker abzustellen und allzu viele Grübeleien zu vermeiden. "Gerade Grübeleien sind bei Wut problematisch, weil man den ganzen einmal erfahrenen Ärger wieder und wieder durchlebt. Das führt meist zu keinen Lösungen, sondern verlängert das Stresserleben."

Die Arbeit an der eigenen Wut lohnt auf jeden Fall, auch wenn das oft mühsam ist. Denn der nächste Wutanfall kommt bestimmt. Vielleicht schon gleich nach Feierabend hinter dem Steuer.

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Autor: Eva Tenzer

3 Kommentare

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