Versöhnung lebt vom Entgegenkommen

Sind Sie konfliktfähig? Eine derartige Frage könnte einem heutzutage schon mal in einem Bewerbungs- oder Einstellungsgespräch gestellt werden. Persönlichkeitsberater und Psychologen bieten Seminare zu „Konfliktlösungsstrategien“ oder „Konfliktmanagement“ zuhauf an.

Konflikte, ja, die haben wir alle irgendwann mal, mit dem Partner, der Partnerin, in der Familie, unter Kollegen oder mit dem Chef, der Chefin. Je nach Temperament der Beteiligten geht es da auch schon mal heiß her. Da wird oft nicht sachlich diskutiert, sondern auch sehr emotional reagiert, lautstark argumentiert und mitunter knallen sogar Türen. Dabei wollen viele Menschen am liebsten in Frieden und Harmonie leben.

Ich beobachte, dass es viele Menschen gibt, die unangemessen und unsachlich im Streitfall reagieren. Sie haben Konflikte nicht eingeübt. Ja, richtig, Konfliktfähigkeit kann man erlernen! In einer bekannten deutschen Psychologie-Zeitschrift las ich folgende Feststellung: „Ein Volk von beleidigten Leberwürsten sind wir.“ Gemeint war eine Langzeitstudie, bei der sich herausstellte, dass in Deutschland ein Klima der Unversöhnlichkeit und Rechthaberei herrsche. Unter dem Motto „Sich nichts gefallen lassen“ gäbe es eine Flut von Streitigkeiten, die vor Gerichten landeten, obgleich sie – bei entsprechender Konfliktfähigkeit – außergerichtlich beigelegt werden könnten. Um die teilweise überforderten Gerichte zu entlasten, gibt es Mediatoren, das sind Streitschlichter, Vermittler. Und sie werden mit zunehmendem Erfolg eingesetzt.

Oft bleibt aber etwas zurück nach einem Konflikt. Entweder die betroffenen Menschen meiden sich, gehen sich aus dem Weg oder – wo das nicht möglich ist – nimmt ihre Beziehung dauerhaft Schaden. Es bleiben Narben der Seele. Natürlich brauchen wir konfliktfähige Menschen, die eine angemessene Streitkultur pflegen. Aber mir scheint, wir brauchen darüber hinaus auch eine „Kultur der Versöhnung“. Oft höre ich erstaunte Menschen, die Streit und Konflikte auch innerhalb der Kirche wahrnehmen: Was? Sowas gibt es auch in der Kirche? Das darf doch nicht sein. Doch, darf es! Wo gehobelt wird, fallen Späne, weiß der Volksmund. Überall, wo Menschen zusammen leben, entsteht Konfliktpotential. Die entscheidende Frage ist, wie man damit umgeht. Schon in der Bibel und dann im weiteren Verlauf der christlichen Geschichte gibt es Konflikte, z.B. um Struktur und Dienst der Gemeinde. Das war damals nicht anders als heutzutage. Aber es gibt auch Lösungsansätze.

Die Bibel spricht davon, dass Gott – obwohl der Mensch es anders verdient hätte – kompromissbereit ist. Wenn Gott Kompromisse schließt mit den Menschen, dann ist das nicht gegen seine Wahrheit, sondern deren Bestandteil. Gott gibt sein Gebot als Hilfe, wie der von Gott getrennte Mensch dennoch im von Gott angebotenen Bund leben kann. Gott kommt dem Menschen also entgegen.

Daraus können wir ableiten, wie wir uns in Streitigkeiten verhalten könnten. In den Alltagskonflikten können wir z.B. lernen, „Kompromiss-Techniken“ anzuwenden. Dazu gehören u.a. die Einigung auf eine Mitte, das Schnüren eines Gesamtpaketes sich ausgleichender gegenseitiger Zugeständnisse oder auch die Einigung darüber, dass man sich (zur Zeit) nicht (in allen Punkten) einigen kann. Ich nenne das ein respektvolles „Aufeinander Zugehen“ der Personen, die in der Sache unterschiedlicher Meinung sind und auch bleiben.

Allerdings, und das ist das Besondere: Wenn es tatsächlich zu einer Einigung im Konfliktfall kommen sollte, dann ist es nicht hilfreich, wenn die Streitpartner denken, sie könnten sich „genau in der Mitte“ treffen. Versöhnungskultur lebt vom Entgegenkommen, das weiter als bis zur Mitte geht. Gottes „Kompromiss“ mit den Menschen war, dass er ihnen ganz entgegen-gekommen ist. Darum hat die Bereitschaft zur Klärung eines Streits auch immer etwas mit der Aufgabe (berechtigter) Ansprüche und Positionen zu tun, auch mit dem Zurückstecken eigener Interessen und Ziele. Das ist eine große Herausforderung und es klingt leichter, als es ist. Aber es lohnt sich.

Versuchen Sie’s mal, ob Sie wirklich konfliktfähig sind!

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