Streitkultur sprachlich entlarvt

Huub Verbunt ist Niederländer, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Deutschland. „Das führt zwangläufig dazu, dass die Muttersprache verkümmert“, klagt der Klever. Einfache bis mittelschwere Strukturen sind seien es zumeist, die er seinen Schülern als Lehrer für Niederländisch vermittele. „Aber ein akademisches Fachgespräch über meine Studienfächer Theologie oder Psychologie in meiner Muttersprache, das vermisse ich doch manchmal“, sagt der 51-Jährige. Die UNESCO erinnert am 21. Februar, dem Internationalen Tag der Muttersprache, an sprachliche und kulturelle Vielfalt. Die NRZ hat Huub Verbunt besucht, um mit ihm über die Bedeutung von Muttersprache, Fremdsprache und über Gemeinsames und Trennendes in Bezug auf Sprache und Kultur zwischen Niederländern und Deutschen zu reden. Verbunt ist Lehrer an der Realschule Rees und an der Volkshochschule Kleve.

Deutsch gelernt in der Schule

Nein, Huub Verbunt gehört nicht zu den Niederländern, die schon als Kind deutsches Fernsehen gesehen haben. „Das konnte man bei uns in Zandert, wo ich aufgewachsen bin, nicht empfangen“, sagt er. Deutsch, das hat er von Klasse acht bis zwölf auf dem Gymnasium in Breda gelernt, sich aber dann doch nicht getraut, Deutsch zu sprechen, als er ein junges deutsches Mädchen, seine spätere Frau, kennenlernte. „Wir haben uns zunächst auf Englisch unterhalten“, blickt er lächelnd zurück. Die deutsche Grammatik lehre den Niederländern das Fürchten – auch ihm. „Bei jedem Hauptwort muss man das Geschlecht des Artikels kennen“, sagt er. Heißt es nun die Honig, der Honig oder das Honig? „Und dann wird der Artikel auch noch dekliniert“, stöhnt Huub Verbunt und muss doch schmunzeln. In den Niederlanden kenne man nur zwei Artikel, den weiblichen und männlichen Artikel „de“ und den sächlichen „het“. Basta!

Unübersehbar ist für ihn die unterschiedliche Streitkultur zwischen Niederländern und Deutschen, die sich auch in der Sprache niederschlägt. „Gedogen“ lautet das niederländische Wort für „erlauben“. Aber es gibt noch ein weiteres: toestaan. „Was weder erlauben noch gutheißen bedeutet“, erklärt der Niederländer. Sondern eine Art „dulden“ meine. „Wenn etwas ‚toegestaan“ ist, ist die Sache eigentlich verboten, aber man schaue weg, rühre nicht mehr daran, weil man sie sonst verbieten müsse, fährt Verbunt fort.

Nicht „gedogen“, nur „toegestan“

Der Konsum weicher Drogen beispielsweise, der sei bei den Niederländern keineswegs „gedogen“, sondern nur „toegestan“. „Den Konsum weicher Drogen jenseits der Grenze teilweise zu legalisieren, sei das Ergebnis dieser typischen niederländischer Streitkultur. „Beide Positionen stehen sich dort gegenüber, aber in den Niederlanden ist jeder bemüht, einen Schritt auf den anderen zuzugehen - immer in dem Bewusstsein, ‚Wir suchen nach einem Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können’“, erklärt Verbunt. In Deutschland sei man weniger pragmatisch. Hier habe man mehr auf das „Ideal“ im Auge, das es anzustreben gelte. „Also versucht jeder, an seinen Prinzipien festzuhalten“, so Verbunt. Und sprachlich schlage sich das auch in dem Ausdruck „faule Kompromisse“ nieder.

Verbunt bedauert, dass hierzulande die Verlaufsform geächtet ist. „Ich bin am arbeiten“ ist so ein Satz, bei dem Deutschlehrer rot sehen. Niederländer und Engländer dürfen getrost sagen: „Ik bent an et werken“ oder „I’m working!“ „Da ist doch Bewegung im Satz, auf die die Deutschen einfach verzichten“, findet Verbunt schade, der regelmäßig niederländisches Fernsehen schaut, schon um sprachlich auf dem Laufenden zu bleiben. Jüngst hat er gehört, dass auch die Niederländer das Wort „entschleunigen“ in ihren Wortschatz aufgenommen haben: „onthasten“.

Was die Niederländer nur als Gefühl, nicht aber als Begriff kennen ist „Fernweh“. Und das Wort Heimweh haben sie aus dem Deutschen mit heimwee übernommen.

Warten auf das Verb bis zum Satzende

Auch die Länge der Sätze sei in Deutschland und den Niederlanden unterschiedlich. „In meiner alten Heimat bildet man kurze Sätze, hier sind sie vielfach lang“, bedauert er. Und obendrein kompliziert dadurch, weil der Zuhörer oder Leser bei angehängten Relativ- und Kausalsätzen bis zum Satzende auf das Verb warten müsse. „Und gerade das Verb verleiht dem Satz doch den Sinn“, wundert sich Verbunt sich über den deutschen Satzbau.

Verbunts Schüler haben vor allem Probleme mit „falschen Freunden“. Damit bezeichnet man Wortpaare in zwei Sprachen, die ähnlich buchstabiert werden oder sich ähnlich anhören, jedoch unterschiedliche Bedeutungen haben. „mogen“ ist so ein Wort. „Ik mag“ klingt wie „Ich mag“, heißt aber „Ich darf“. „Ich mag“ heißt auf Niederländisch „Ik hou van“ oder „Ik lust“. „onweer“ bedeutet Gewitter und nicht Unwetter, „de aanleiding“ ist keine Anleitung oder Gebrauchsanweisung, sondern bedeutet „der Anlass“. Es gibt also viele Möglichkeiten, sich als Deutscher im Niederländischen zu „verstrikken“, das korrekte Wort für verfangen. „vervangen“ dagegen meint „ersetzen“.

Genscher-Zitat - Sprachliche Schranken

Der FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher, der von 1974 bis zum Jahr 1992 fast ununterbrochen Bundesaußenminister war, hat einmal gesagt: „In der Fremdsprache sagt man nicht immer, was man sagen will, sondern was man sagen kann.“

Maria Raudszus

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