In der DDR wirkte ein okkulter Untergrund

Trossingen sz Der in Trossingen aufgewachsene Soziologe Andreas Anton arbeitet derzeit in Freiburg an seiner Doktorarbeit. Er ist Teil eines Forscherteams am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP), das sich mit dem „Umgang mit dem Paranormalen in der DDR“ beschäftigt. Unser Mitarbeiter Frank Czilwa hat sich mit Andreas Anton über das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Forschungsprojekt unterhalten.

Herr Anton, worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt?

Hier in Freiburg gibt es seit 1950 das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, das von dem Psychologen und Arzt Hans Bender gegründet wurde. Seitdem hat es auch immer wieder repräsentative Umfragen gemacht, wie weit bestimmte Vorstellungen mit parapsychologischem Inhalt unter der Bevölkerung verbreitet sind, und diese Umfragen soziologisch ausgewertet. Nur in Bezug auf die DDR gab es keine Daten; das war sozusagen eine Leerstelle. Wir versuchen dies nun rückblickend auch für die DDR aufzuarbeiten. Ich untersuche das ganze aus einer wissenssoziologischen Perspektive. Die Wissenssoziologie beschäftigt sich mit der Frage, warum in bestimmten Gesellschaften und ganz allgemein Gruppen von Menschen gewisse Dinge gewusst werden und andere nicht, beziehungsweise warum bestimmte Vorstellungen von Wirklichkeit herrschen und nicht andere. Der Umgang mit dem Paranormalen in der DDR ist da insofern ein besonders gutes Beispiel, weil zum einen ein gewisses Weltbild – die sogenannte wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus-Leninismus – staatlicherseits propagiert und durchgesetzt wurde, das mit allem „Paranormalen“ und „Okkulten“ auf Kriegsfuß stand, zum anderen aber auch Menschen in der DDR entsprechende Erfahrungen machten und paranormale Glaubensinhalte teilten. Wir sprechen deshalb auch von einem „okkulten Untergrund“ in der DDR.

Wenn es aber damals keine entsprechenden Umfragen und Erhebungen gab, auf welche Quellen stützen Sie dann Ihre Untersuchung?

Zum einem mache ich qualitative Interviews mit Zeitzeugen; also mit Menschen, die sich für paranormale Phänomene interessiert haben, oder selbst aktiv waren, etwa als Astrologen, oder weil sie geglaubt haben, dass sie hellsehen könnten. Eine zweite Säule sind Zeitungen, Bücher, Fernsehsendungen und andere Dokumente des offiziellen Diskurses in der DDR. Und drittens gibt es Archivdokumente, zum Beispiel im Stasiunterlagen-Archiv.

Gab es bei der Stasi so etwas wie eine „Abteilung für X-Akten“?

Nein, das gab es nicht. Es war zu Beginn unseres Forschungsprojekts in der Tat eine der Fragen, ob es innerhalb des Staatssicherheitsdiensts einen entsprechenden Zuständigkeitsbereich gab. Das war aber nicht der Fall. Es gab die Hauptabteilung XX, die unter anderem für Kirchen, Religionsgemeinschaften und Sekten zuständig war, und die sich von daher teilweise auch mit paranormalen Glaubensinhalten beschäftigt hat. Wobei man aber sagen muss, dass sich die Stasi weniger für die Phänomene selbst interessiert hat, sondern immer dann aufmerksam wurde, wenn sich Menschen zu Gruppen zusammengetan haben und es Anzeichen von Institutionalisierung gab.

Gab es denn solche Gruppen in der DDR?

Ja, die gab es durchaus. Ich habe zum Beispiel mit einem Zeitzeugen gesprochen, der in der DDR einer Art okkultem Orden nach dem Vorbild des Golden Dawn (ein hermetisch-magischer Orden, der 1888 in England entstand und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in eine Reihe von Nachfolgeorganisationen auseinanderbrach; die Redaktion) angehört hat. Er hat mir erzählt, dass es in der DDR wohl mehrere solcher Gruppen gab, die sich untereinander im Verborgenen ausgetauscht haben, und auch Ritualmaterial aus dem Westen eingeschmuggelt, auf der Schreibmaschine abgetippt und aufwändig untereinander verteilt haben. Andere Gruppierungen waren zum Beispiel Clubs, die sich mit „utopischer Literatur“ beschäftigt haben, wie man in der DDR sagte – „Science Fiction“ würde man heute sagen – und die sich am Rande auch mit Themen wie UFOs oder den Thesen von Erich von Däniken auseinandergesetzt haben.

Herr Anton, Sie sind Vorstandsmitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft zur Förderung der Parapsychologie und der Gesellschaft für Anomalistik. Was ist eigentlich „Anomalistik“?

Anomalistik ist ein Sammelbegriff für die wissenschaftliche Beschäftigung mit wissenschaftlichen Anomalien, also mit Phänomenen, die sich der Erklärung durch etablierte wissenschaftliche Modelle derzeit noch entziehen. Im Unterschied zur Parapsychologie ist der Themenbereich weiter gefasst: Während sich die Parapsychologie – wie bereits der Name sagt – mit Phänomenen im Umfeld der Psyche, wie Gedankenlesen, Psychokinese oder Hellsehen beschäftigt, nimmt sich die Anomalistik auch Themen an wie UFOs oder der Kryptozoologie, also der Suche nach bislang unbekannten oder als ausgestorben geltenden Tierarten. Ich finde solche Themen persönlich faszinierend, weil sie – wenn man sie ernst nimmt und nicht von vorne herein als falsch oder unsinnig abtut – uns an die Grenzen unseres Wissens und unseres wissenschaftlichen Weltbilds führen und, wenn doch etwas dran sein sollte, einen enormen Erkenntnisgewinn versprechen.

Wie ist dieses Interesse bei Ihnen entstanden?

Meine Großeltern mütterlicherseits, der Schriftsteller Herbert Walz (1915-2002) und seine Frau Elisabeth Walz waren sehr offene Menschen, die sich für Vieles interessiert haben, so auch für die Parapsychologie. Sie haben mir von Hans Bender und entsprechenden Experimenten erzählt und ich fand das schon als Kind überaus spannend. Deshalb habe ich in der 10. Klasse mein Bogy-Praktikum (Beruf- und Studienorientierung am Gymnasium, die Redaktion) am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) gemacht. Und danach war ich dann restlos begeistert. Ich habe hier in Freiburg studiert und war schon während meines Studiums studentische Hilfskraft am IGPP, wo ich jetzt auch meine Promotion schreibe.

Ihr Bruder ist der Jazz-Musiker Matthias Anton, Saxophonprofessor an der Trossinger Musikhochschule. Sie selbst sind aber auch der Musik zugetan.

Ich spiele selbst Schlagzeug und bin sozusagen – um es etwas pathetisch auszudrücken – ein Kind der Musikstadt Trossingen. Ich habe in der Big Band des Gymnasiums und in der Stadtkapelle gespielt und mache noch heute hobbymäßig Musik. Erst vor Kurzem bin ich mit meiner Band im Kesselhaus in Trossingen aufgetreten. Ich hatte mir sogar zeitweilig überlegt, an der Trossinger Hochschule Schlagzeug zu studieren. Dort gibt es nämlich eine hervorragende Fachgruppe.

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