Erschütternde Blicke ins Innere des menschlichen Wesens

Die Abgrnde sind noch viel tiefer, als man es je erwartet htte. Wenn Thomas Elbert, Psychologie-Professor an der Universitt Konstanz, ber seine Arbeit berichtet, kann man ihm dankbar sein, wenn er dem Zuhrer die Details erspart. Er hat untersucht, wie Kinder als Soldaten zu Killern werden. Wie in Ruanda Menschen zu Zehntausenden abgeschlachtet wurden. Weshalb Soldaten nach dem Einsatz in Afghanistan an der Seele so krank sind, dass sie nicht mehr sie selbst sind. Warum – und das ist nur auf den ersten Blick etwas subtiler – Kinder, deren Mtter in der Schwangerschaft geschlagen und gedemtigt werden, bereits mit einer Vorbelastung auf die Welt kommen. Elberts ruhige Stimme, sein warmer, leicht bayerischer Zungenschlag lenkt kaum davon ab, dass er in seinem Alltag den schlimmsten und hsslichsten Seiten im Innern von Menschen begegnet.

Ein verbitterter Mensch scheint Elbert dennoch nicht zu sein, obwohl er sich tagaus, tagein mit der Frage beschftigt, was Stress mit den Menschen anrichtet, wie es zu Gewalt und Aggressionen kommt. Er arbeitet dafr, wie es in der Wissenschaft heit, im Feld und im Labor. An vielen Krisenherden hat er sich selbst angesehen, welche Auswirkungen Extremsituationen haben. Das findet seine Fortsetzung unter kontrollierten Bedingungen. In genauestens vorbereiteten Gesprchen oder mit Bilderserien wird gemessen, wie auch der Krper auf bestimmte Reize reagiert. Traumatisierte Flchtlinge untersucht der Neuropsychologe genauso wie Menschen in Konstanzer Altersheimen, die mit den Erlebnissen der gar nicht immer so wirtschaftswunderseligen Nachkriegszeit konfrontiert werden.

Eine seiner wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse bezeichnet Elbert selbst als „Plastizitt.“ Der Mensch, so ein Ergebnis seiner interdisziplinren Forschergruppe, ist auch im Erwachsenenalter formbar. Das Gehirn kann seine innere Organisation bestndig ndern. Wiederholte Schreckens-Erfahrungen tragen demnach dazu bei, dass auch harmlose Begebenheiten in einen Kontext der Angst eingeordnet werden – manche Soldaten, die aus Kriegen heimkehren, knnen zum Beispiel kaum das Knattern eines Rettungshubschraubers ertragen. Doch der Mensch knne, mit entsprechender Hilfe, sein Gehirn auch neu organisieren, ist sich Elbert sicher. Und noch eine trstliche Botschaft hat Elbert: Stress beeintrchtigt zwar die Reparaturfhigkeit des menschlichen Erbguts und macht Patienten anflliger fr vielerlei physische Leiden, darunter Autoimmun- oder Herz-Kreislauf-Krankheiten. Doch eine Heilung der Seele ist mglich, und mit ihr steigen die Chancen auf Gesunderhaltung der Krpers.

berhaupt: Krper und Seele, Physis und Psyche, das sind die beiden Pole, um die Thomas Elberts Arbeit kreisen. Der Schlssel liegt fr ihn dabei in der jeweils individuellen Vergangenheit der Patienten. Wenn sie psychisch krank sind und beispielsweise an Depressionen leiden, sagt Elbert, „wird die Gegenwart nur noch in die Vergangenheit bersetzt.“ Die Menschen nehmen dann nicht mehr das Hier und Heute als tatschlich wahr, sondern beziehen alles, was sie erleben, auf das, was sie schon mitbringen. Dabei sollte es doch andersherum sein. Denn wenn die „compassion fatigue“, das Ermden am Mitgefhl, bei einem Menschen erst einmal eingetreten ist, versagen viele kulturelle Prgungen, Hemmungen, Errungenschaften, Werte.

Die Folge einer solchen Verarmung ist, dass Menschen auf ein fragwrdiges Repertoire von Reaktionsmechanismen zurckgreifen. Statt berlegt reagieren Betroffene dann impulsiv, sie fallen auf Reaktionsmuster zurck, die die Gesellschaft nicht akzeptiert. An die Stelle des Gesprchs tritt das Geschrei, statt einer verbalen gibt es eine ttliche Auseinandersetzung. Und die Verrohung kann bengstigende Zge annehmen: In Norwegen war Anders Behring Breivik ein Einzeltter, der sich mit dem Massaker von Utya auerhalb der Gesellschaft stellte. In Ruanda dagegen gibt es Drfer, in denen heute kaum ein einziger Mann lebt, der nicht massenhaft Menschen abgeschlachtet htte.

In Konstanz nutzt Elbert fr solche Fragen das ganze Instrumentarium der Naturwissenschaften, arbeitet mit Kollegen vieler Disziplinen zusammen. Doch Wissenschaft hat, wie er sagt, noch eine andere Verpflichtung. Darum gibt es die Organisation Vivo. „Ich lebe“, heit das, oder auch „victims voice“, die Stimme der Opfer. In mehr als 30 Lndern gibt es wissenschaftliche und humanitre Hilfsprojekte. Damit diejenigen, die die Abgrnde der menschlichen Verfassung an sich selbst erleben mussten, eine neue Perspektive bekommen. Denn den Glauben daran, dass das gehen kann, findet Thomas Elbert durch seine Forschung besttigt.

Thomas Elbert, seine Forschung und Ausgesprochen: Wissenschaft

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