Wie es zu magische Momenten kommt

Brauchen Menschen magische Momente? Was passiert im Körper, wenn wir Zeit und Raum vergessen und uns wie verwandelt fühlen? Darüber sprachen wir mit Peter Walschburger, Psychologie-Professor an der FU Berlin.


Berliner Morgenpost: Was genau geschieht in einem "magischen Moment" mit uns?

Peter Walschburger: Wir erfahren eine Transformation unserer Beziehung zur Welt. Unser nüchternes, rationales Erleben und Denken verwandelt sich in eine hochemotionale Beziehung zur Umwelt. Ein gutes Beispiel dafür ist das Gedicht "Mondnacht" von Joseph von Eichendorff, das nach fast 200 Jahren noch immer ungebrochene Beliebtheit in den unterschiedlichsten Nischen der deutschsprachigen Kultur und darüber hinaus genießt. Nüchtern hätte er sagen können: "Der Mond ist aufgegangen." Doch der Dichter schreibt: "Es war, als hätt' der Himmel / Die Erde still geküsst / Dass sie im Blütenschimmer / Von ihm nun träumen müsst." Und dann, in der dritten Strophe: "Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus / Flog durch die stillen Lande / Als flöge sie nach Haus".

Schön!

Ja, und mit diesem Gedicht trifft Eichendorff perfekt, was in einem ergreifenden Moment passieren kann. Unser Körper schüttet "Glückshormone" aus. Wir geraten in einen Zustand, in dem uns die Welt wie verwandelt erscheint. Wir selbst sind Teil des Zaubers, fühlen uns eins mit dieser Welt – hier mit der Natur. Wir fühlen uns aufgehoben, sicher, beheimatet. "Als flöge meine Seele nach Haus", sagt Eichendorff dazu.

Aber ist das nicht einfach nur eine romantische Beschreibung eines Naturerlebnisses?

Einerseits ja, aber wer sich ganz darauf einlässt, den berührt es. Es vermittelt eine magische Beziehung zur Natur, die nur von außen betrachtet etwas Unwirkliches hat. Der Innenansicht des so "Verzauberten" wird das nicht gerecht.

Wie meinen Sie das?

Gefühle und Stimmungen sind subjektiv real und nicht irrational. Sie sind evolutionäre Frühformen unserer rationalen Erkenntnis! Nehmen Sie ein Tier in der Wildnis. Es hat kein reflexives Bewusstsein, es reagiert intuitiv: Seine Furcht vermittelt ihm die Erkenntnis, dass Gefahr droht. Auch für uns Menschen haben solche emotionalen Erkenntnisweisen noch einen Überlebensvorteil. Unser Großhirn macht uns allerdings so flexibel, dass wir – in Grenzen – fähig sind, unsere Gefühle, Wünsche, Interessen etc. zu kontrollieren und kultiviert zu äußern. Die positive Rolle unserer Gefühle, Stimmungen und Intuitionen bei der Interpretation von Umwelt-Informationen wird dabei meist unterschätzt.

Stimmt: Rationalität wird höher bewertet...

Mit unserer Ratio haben wir es ja auch weit gebracht. Mit ihrer Hilfe bringen wir unsere technisch-organisatorische Umwelt immer schneller voran. Aber sie macht eben auch vielen Angst. Denn sie vernachlässigt unsere innere Welt und gibt uns zu wenig Halt in existentiellen Krisen. Daher gab und gibt es auch immer wieder Gegenbewegungen in der Geistesgeschichte. Auch die Epoche der Romantik, die Eichendorff inspiriert hat, war ja eine Reaktion auf die rational orientierte Epoche der Aufklärung. Den Romantikern kam die innere, seelische Erfahrungswelt zu kurz. Ihr wollten sie mehr Geltung verschaffen.

Und heute?

Auch heute fühlen sich gerade junge Leute zu nichtrationalen Erfahrungen, zur Esoterik, zu einer neuen Spiritualität und Religiosität und zu künstlerischen Ausdrucksformen hingezogen. Tatsache ist: Beides ist wichtig, Rationalität und Emotionalität. Auch Politik funktioniert nicht ohne Emotionen. Man holt die Menschen dort ab, wo man ihr Gefühl trifft. Aber dort darf man eben auch nicht stehenbleiben: Keinem Flüchtling ist geholfen, wenn man nur mit ihm mitweint. Man muss auch aus einer eigenständigen Position heraus versuchen zu verstehen und empathisch zu handeln.

Braucht der Mensch magische Momente?

Ja, denn sie sind eine Antriebsfeder. Um beim Beispiel mit den Flüchtlingen zu bleiben: Wenn man in die Augen eines Flüchtlingskindes schaut, von Mensch zu Mensch, wird man emotional gepackt. Aus solchen sinnlichen Erfahrungen entwickelt sich die Aktion. Und wir brauchen diese Momente auch, um uns als Teil der Welt, als Teil der Gesellschaft zu fühlen. Rituale schaffen solche Augenblicke.

Welche denn?

Ein gemeinsames Essen etwa hat etwas Magisch-Gemeinschaftsstiftendes – gerade, weil es so selten geworden ist. Wenn alle zusammensitzen, verstärkt sich das Gemeinschaftsgefühl, dann werden Hormone, wie Oxytocin ausgeschüttet und wir fühlen uns wohl. In der Fankurve passiert Ähnliches: Die Faszination des gemeinsam erlebten aufregenden Spiels schafft Bindung, die durch rhythmische Gesänge und Ähnliches sinnlich erfahrbar wird. Magische Momente kann man aber nicht herbeizwingen. Man muss sich verführen lassen.

Ist jeder Mensch gleich empfänglich?

Da gibt es deutliche Unterschiede. Wichtig ist vor allem eine bestimmte Einstellung. Man muss sich öffnen, sich Zeit nehmen, Vertrauen haben. Und natürlich Gelegenheiten suchen: Wer sich von einem Sonnenuntergang am Meer verzaubern lassen will, muss diesen Ort aufsuchen. Er sollte aber nicht verkopft an die Sache herangehen, sondern spielerisch. Das ist auch beim Flirt entscheidend für die Entfaltung der zwischenmenschlichen Magie.

Sie meinen diesen Moment, bei dem es zwischen zwei Menschen funkt?

Ja, dieses blitzschnelle Verlieben ist ja der magische Moment par excellence. Auch dafür muss sich ja eine gemeinsame Stimmung des Hingezogenseins ausbreiten. Wenn dann der Körper Dopamin, Adrenalin, Serotonin und Oxytocin ausschüttet, verstärkt das die aufregende Fixierung auf den einen Partner: Wir arrangieren die Wichtigkeiten völlig neu. Der Partner ist plötzlich Mittelpunkt der Welt, egal was sonst noch passiert. Und da ist er, der magische Moment!

Wann hatten Sie einen magischen Moment?

Ich kann mich an viele erinnern: bei zwischenmenschlichen Begegnungen, beim Sport, manchmal auch im Beruf, wenn sich eigene Fähigkeiten und die Anforderungen der Aufgabe für einen Moment die Waage halten. Das kann dann wie ein Zauber wirken: Man geht voll auf im Handlungsfluss einer anspruchsvollen Aufgabe, vergisst Zeit und Raum und merkt erst, wenn man aus der Situation wieder auftaucht: Zu diesem herrlichen Zustand will ich am liebsten gleich wieder zurück!

Leave a Reply