Wie erzieht man heute ein Mädchen?

Ein ELTERN-Gespräch mit Doris Bischof-Köhler, Mutter von drei Töchtern, Professorin für Psychologie und Autorin des Buches "Von Natur aus anders: Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede".

ELTERN: Viele Mütter finden es toll, wenn sich ihr Mädchen durchsetzen
kann. Es darf auch gern ein bisschen wild sein. Auf der anderen Seite
trifft man selten eine Mutter, die es unterstützt, wenn sich ihr Junge eher
mädchenhaft benimmt. Woher kommt diese ungleiche Bewertung?

Doris Bischof-Köhler: Darin spiegelt sich wohl unsere gesellschaftliche
Entwicklung wider: Inzwischen haben viele Frauen
gute Ausbildungen und behaupten sich in der Berufswelt. Aber
diese Berufswelt ist nach wie vor männlich geprägt: Werden
diese Frauen Mütter, übertragen sie diese Erfahrungen auf ihre
Mädchen. Sie wissen: Wer was werden will, muss sich durchsetzen
können, rivalisieren, sich gut verkaufen, imponieren!

Das heißt: Mütter haben das Gefühl, mit männlichen Eigenschaften
kommt man weiter?

Zumindest verdient man damit in unserem Land meistens
mehr Geld. Und gelangt zu höherem Ansehen.

Bringt das Mädchenmütter in die Zwickmühle?

Sicher nicht jede Mutter. Aber ich denke, die Rollenverwirrung
ist gerade in den letzten Jahren größer geworden. Frauen haben
heute viele Möglichkeiten. Die traditionelle Frauenrolle zu Hause
als Hausfrau und Mutter gilt eher als Auslaufmodell. Vielleicht
deshalb löst ein Verhalten, das wir als typisch mädchenhaft einordnen,
heute eher gemischte Gefühle aus als früher.

Dabei könnten sich Mädchenmütter doch eigentlich ganz entspannt
zurücklehnen. Immer wieder war in den letzten Jahren zu hören, wie gut
die Mädchen zurechtkommen: Sie gelten als kooperativ, fleißig, gewissenhaft
und sind in der Schule oft besser als gleichaltrige Jungen.

Unsere Forschungen zeigen aber auch, dass Mädchen immer
noch zu wenig Selbstbewusstsein haben. Sie halten sich oft sehr
zurück und stellen ihr Licht unter den Scheffel.

Was kann denn eine Mädchenmutter tun: Soll sie ihre Tochter eher
jungenhaft erziehen, nach dem Motto: Lebe wild und gefährlich! Oder
eher weiblich, das heißt, ihre Fürsorglichkeit unterstützen, ihre Lust am
Puppenspiel, vielleicht auch an rosa Kleidchen?

Mal abgesehen davon, dass es das typische Mädchen nicht gibt
und solche Neigungen ganz unterschiedlich stark ausgeprägt
sind, kann ich nur sagen: Beides ist wichtig! Natürlich sollten
Eltern ihr Mädchen fördern, seine Talente erkennen, es bei seinem
Berufswunsch unterstützen. Diese expansive Seite, dieses
"Hinaus in die Welt" sollte unterstützt werden, gerade auch vom
Vater. Damit dürfen aber das Mütterliche, Fürsorgliche, Familienorientierte
oder auch die Lust am Schmücken und Anmalen nicht
abgewertet werden. Für die kleinen Mädchen ist das sowieso
zunächst ein Spiel.

Welche Rolle spielt das mütterliche Vorbild für die Entwicklung der
Geschlechtsidentität?

Man sollte die Vorbildfunktion nicht überschätzen. Kinder
suchen und finden ihre Vorbilder auch außerhalb der Familie.
Trotzdem ist das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter aber in
jedem Fall etwas Besonderes, weil sie sich in ihren Neigungen
meist ähnlicher sind als Mütter und Jungen. Wir wissen auch aus
der Forschung, dass Kinder beim Spielen meist den gleichgeschlechtlichen
Elternteil bevorzugen. Kleine Jungs mögen den
stür mischen Spielstil ihrer Väter. Kleine Mädchen eher den ruhigen
und kommunikativen Spielstil ihrer Mütter. Bis das Kind sich
von ihr abnabelt, kann eine Mutter ihrer Tochter jedenfalls viel
mitgeben. Und die wichtigste Botschaft dabei lautet: Auch wenn
ich nicht mit allem einverstanden bin, akzeptiere ich dich so, wie
du bist. Und zwar vor allem auch in deiner Weiblichkeit!

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