Wie die Wissenschaft sich selbst austrickst

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23. November 2013 00:01 Uhr

Frisierte Forschung

Bei der Psychologie sind sich die Allermeisten ganz schnell einig – sie zählt nicht unbedingt zu den harten Wissenschaften, auch wenn sie empirisch arbeitet, das heißt: ihre Ergebnisse mit objektivierbaren Methoden zu gewinnen versucht.


  1. Die Labormaus ist das Lieblingstier der Wissenschaft. Aber ist sie auch ein gutes Modell für den Menschen? Foto: FikMik (Fotolia.com)

So rät ein freiberuflicher Unternehmensberater im Internet Psychologie-Studenten, die an ihrer Diplom- oder Masterarbeit sitzen und mit Fragebögen bestückt durch die Unis streunen, händeringend auf der Suche nach Teilnehmern für ihre Studie: Gewinnt eure Probanden doch online, mailt Freunde an, lasst es von denen weiterleiten, postet bei Facebook und in anderen sozialen Netzwerken.

Dass das ganz automatisch die Ergebnisse verzerrt, ist klar: Junge, meist gesunde Menschen aus den Bildungsschichten werden da befragt. Und da der Großteil der Forschung in Industrienationen passiert, ist es oft die westlich geprägte Mittelschicht, die dann zu Wort kommt. Wie aber steht es mit der Psyche der restlichen 80 Prozent der Menschheit, die so gut wie nie befragt werden?

Und es kommt noch schlimmer. Als Leslie K. John von der Harvard Business School im Jahr 2012 gemeinsam mit Kollegen die Forschungspraxis innerhalb der Psychologie untersuchte, musste sie feststellen: "Eine überraschend große Anzahl von Leuten hatte sich eingelassen auf fragwürdige Forschungspraktiken."

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Knapp 6000 Wissenschaftler schrieben John und ihre Kollegen George Loewenstein und Drazen Prelec an, 2155 antworten. Ergebnis: Die Hälfte der Befragten gesteht zu, nur die Experimente veröffentlicht zu haben, die die gewünschten Ergebnisse lieferten. 43,3 Prozent siebten Daten, die nicht ins Bild passten, einfach aus. 35 Prozent taten so, als sei ein völlig verblüffendes Ergebnis genau das gewesen, was sie die ganze Zeit erwartet hatten. Und immerhin 1,7 Prozent räumten ein, ihre Resultate frisiert zu haben, berichten die Harvard-Forscher in der Fachzeitschrift Psychological Science.

Das heiße nun nicht, dass man der Psychologie generell misstrauen müsse, schränkt John ein. Es gebe allerdings Reformbedarf im System. Sie schlägt zum Beispiel vor, dass Fachzeitschriften künftig nur noch psychologische Studien akzeptieren sollten, die vorher registriert worden seien und die schon im Vorfeld angeben, wie man sie durchführen will.

In der medizinischen Forschung wird das inzwischen immer öfter verlangt. Wer nun aber glaubt, in den Naturwissenschaften und der Medizin stehe alles zum Besten, der täuscht sich. Im März 2006 machte ein Antikörper namens TGN1412 Furore, der sechs Studienteilnehmer fast das Leben kostete. Man hatte den Wirkstoff, der zur Behandlung von Multipler Sklerose und Arthritis entwickelt worden war, zuvor Affen gespritzt. Die hatten ihn gut vertragen.

Bei den Testpersonen dagegen versagten die Organe, das Immunsystem spielte verrückt und es kam zu massiven Schwellungen.

Was war passiert? Wie Untersuchungen der britischen Behörden zeigen, wurden die Laboraffen – wie üblich – unter sterilen Bedingungen gehalten. Dadurch hatten sie weniger Infektionen durchgemacht als die Testpatienten. Außerdem, vermuteten die Prüfer damals, sei das Immunsystem von Affe und Mensch wohl einfach zu verschieden, um ohne Weiteres Rückschlüsse zu ziehen von der einen auf die andere Spezies.

Ein Problem, das nicht auf die Kombination Mensch und Affe beschränkt ist. Als 2002 die Acrylamid-Panik ausbrach und Brotkrusten, Butterkekse oder Pommes als potenzielle Krebsverursacher unter Generalverdacht gerieten, hinterfragte keiner, woher diese Erkenntnis eigentlich stammte. Man hätte gut daran getan, denn sie ging ausschließlich auf Laborversuche an Ratten und Mäusen zurück.

Wie man heute weiß, reagiert vor allem der Stoffwechsel von Mäusen äußerst empfindlich auf die chemische Substanz, die beim Backen entsteht, wenn man Kartoffeln oder Getreide auf über 120 Grad Celsius erhitzt. Beim Menschen, stellten die Experten in der Folge fest, wird das Acrylamid anders abgebaut, sodass sein Krebsrisiko nicht ansteigt.

"Die meisten Biologen, die experimentell arbeiten, forschen nur an einigen wenigen Tier- oder Pflanzenarten", kritisierte die Zoologieprofessorin Jessica Bolker von der University of New Hampshire im amerikanischen Durham schon im Jahr 2012 in einem Kommentar für das Fachblatt Nature. "Dazu gehören die Labormaus, der winzige Fadenwurm Caenorhabditis elegans, die Taufliege Drosophila melanogaster oder die Acker-Schmalwand."

Auch hier liegt der Fehler im System. Wissenschaftler, die mit einem dieser gängigen Modellorganismen arbeiten, müssen das nicht groß rechtfertigen. "Wer sich dagegen für eine nicht so übliche Spezies entscheidet, die dafür aber dem, was untersucht werde soll, am besten gerecht wird, muss das ausführlich begründen", so Bolker. Dass der Antrag abgelehnt und dem Forscher geraten werde, doch einen Standardorganismus zu wählen, passiere nicht selten – Ergebnisse mit beschränkter Aussagekraft inklusive.

Die Studien mit den gängigen Versuchstieren erlaubten zwar tiefe Einblicke in bestimmte Details, wie Bolker einräumt. Aber schwierig werde es, wenn man aus der Laborsituation beispielsweise Rückschlüsse darauf ziehen will, wie sich die Umwelt auswirkt.

Greift man in das Erbgut der Taufliege ein, hinterlässt das sehr deutliche Spuren in ihrem Aussehen: Die Insekten haben dann rote Augen statt weiße oder Stummelflügel statt normale et cetera. Veränderungen um sie herum jedoch, betont Bolker, "prägen sich bei diesem Tier in der Regel höchstens ganz schwach aus".

Was verrät eine Fruchtfliege

wirklich über den Menschen?

Weshalb neuere Forschungsrichtungen wie die ökologische Entwicklungsbiologie (Eco-devo), die gerade die äußeren Einflüsse auf den heranreifenden Organismus interessieren, mit der Fliege nicht zurechtkommt.

Vieles, was in der Wissenschaft heute als anerkannte Methode gilt, hat mit Praktikabilität, eingespielten Routinen, die wenig hinterfragt werden, oder schlicht Bequemlichkeit zu tun.

Die Taufliege Drosophila wird schon seit dem frühen 20. Jahrhundert als Versuchsobjekt benutzt: 1901 setzte sie der US-Zoologe und Vererbungsforscher William Ernest Castle zum ersten Mal ein, um herauszufinden, wie sich Inzucht über zahlreiche Generationen auswirkt und was passiert, wenn man Inzuchtlinien miteinander kreuzt.

Drosophila lässt sich leicht vermehren, und die nächste Generation schlüpft im Schnitt schon nach zehn Tagen. Außerdem sind die Insekten übersichtlich strukturiert: Sie haben nur vier Paar Chromosomen. Ganz ähnlich ist es mit dem Fadenwurm, mit Maus, Ratte, Bäckerhefe oder Huhn. Solche Organismen waren, wie Jessica Bolker es zusammenfasst, "gut zugänglich", ihre Eigenschaften sind "vertraut und handhabbar".

Das täusche allerdings darüber hinweg, dass es sich bei den Spezies, die mit der Zeit die Forschungsszene zu beherrschen begannen, um "eigentlich beliebige Arten" handele. Womöglich erklären die Unterschiede zwischen Maus, Ratte und Mensch, "wieso die Unsummen, die in die biomedizinische Grundlagenforschung gepumpt wurden, letztlich doch nur enttäuschend wenige klinische Fortschritte gebracht haben", meint Bolker.

Es könnte zudem am zu engen Blickwinkel liegen. "So testet man neue Behandlungsmöglichkeiten der Parkinsonkrankheit zunächst gern im Rattenmodell. Das Augenmerk liegt dabei auf den typischen Bewegungsproblemen der Nager." Wie es aber im Kopf der Tiere aussieht, ob es zu Einbußen im Denkapparat kommt und zu geistigen Einschränkungen, das können die Experimente nicht eindeutig zeigen, gibt Bolker zu bedenken. Und das gehört bei vielen Patienten, die an Parkinson leiden, irgendwann mit dazu.

Eines der berühmtesten Beispiele in der Psychologie, wie die Art des Experiments seinen Ausgang beeinflusst, sind die Studien, die von 1924 bis 1932 in der Hawthorne-Fabrik in Chicago durchgeführt wurden. Ziel der Forscher war es festzustellen, wie man die Arbeitsleistung steigern kann. Dazu untersuchte man zunächst, ob besseres Licht dafür sorgt, dass die Leute motivierter bei der Sache sind. Tatsächlich stieg die Arbeitsleistung, allerdings nicht nur in der Gruppe, die eine bessere Beleuchtung bekam, sondern auch in der Kontrollgruppe, die unter den alten Bedingungen schuftete. Frappierend war auch: Die Leute blieben sogar fleißiger, als man das Licht wieder dimmte. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass ihre eigene Anwesenheit und dass Wissen darum, Teil eines Versuchs zu sein, die Arbeiterinnen beflügelt hatte. Sie fühlten sich anerkannt und beachtet. In einem zweiten Experiment wurde deshalb ein Teil der Frauen separat untergebracht, sie hatten günstigere Arbeitszeiten, bekamen mehr Lohn, die Manager waren nett zu ihnen. Daraufhin stieg die Produktivität dieser Gruppe um etwa 30 Prozent. Die Wissenschaft streitet seither, ob das eher auf den besseren Lohn oder den menschlicheren Umgang mit den Arbeiterinnen zurückzuführen ist – oder auf beides.

Autor: Christian Gruber

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