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Wer betet, ist nicht selbstloser

Von Jochen Paulus.
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An Gott glauben macht nicht gut – aber auch nicht böse. Entscheidender für die gelebte Moral oder fanatisches Verhalten ist die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, sagen Psychologen.

Es scheint, als ob Religion die Menschen zum Besseren bringen würde. Aber es geht genauso gut ohne Gott. Foto: AP Photo

Es scheint, als ob Religion die Menschen zum Besseren bringen würde. Aber es geht genauso gut ohne Gott. Foto: AP Photo

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Es ist eines der berühmtesten Experimente der Psychologie: Vor fast 40 Jahren bat John Darley von der Universität Princeton Theologie-Studenten, ein Referat über das biblische Gleichnis vom guten Samariter zu halten – jenem braven Mann, der sich selbstlos um einen hilfsbedürftig am Strassenrand Liegenden kümmert. Am Weg zu dem Raum, in dem die angehenden Priester ihren Vortrag halten sollten, platzierte Darley einen scheinbar Hilflosen, der stöhnte und hustete. Doch die meisten frommen Studenten beachteten ihn nicht. «Es passierte mehrmals, dass ein Student auf dem Weg zu seinem Vortrag buchstäblich über das Opfer hinweg stieg», berichtete Darley.

Bei den zukünftigen Kirchenmännern hatte der Glaube offensichtlich wenig Einfluss auf die gelebte Moral. Die Episode ist typisch, argumentiert der Psychologie-Professor Paul Bloom von der renommierten Yale University in Connecticut. An Gott glauben macht nicht gut – und nicht böse. Das ist das Fazit seines grossen Überblicksartikels, in dem er im Fachblatt «Annual Review of Psychology» vor kurzem die einschlägigen Studienergebnisse zusammengetragen hat.

Religiöse spenden mehr Blut

Auf den ersten Blick überrascht dieser Befund. Besonders vor Weihnachten spenden Gläubige Millionen an kirchliche Organisation, um den Armen der Welt zu helfen. Wie Studien zeigen, haben religiöse Menschen auch eher ein paar Münzen für Obdachlose übrig, sie engagieren sich häufiger ehrenamtlich und spenden mehr Blut.

In Experimenten verhalten sich Menschen moralischer, wenn sie subtil an Gott und seine Gebote erinnert werden.

In Experimenten verhalten sich Menschen moralischer, wenn sie subtil an Gott und seine Gebote erinnert werden. So liess Azim Shariff von der University of British Columbia Versuchspersonen aus Wörtern wie «heilig» und «Prophet» Sätze bilden. Als sie anschliessend eine kleine Geldsumme aufteilen durften, gaben sie anderen mehr ab als eine Vergleichsgruppe. In einer Studie von Nina Mazar wiederum mogelten Studenten weniger, wenn sie zuvor die Zehn Gebote aufschrieben (so viele, wie ihnen einfielen).

Soweit scheint es, als ob Religion die Menschen zum Besseren bringen würde. Doch es geht genauso gut ohne Gott: Als Nina Mazar Studenten einen – nur für den Versuch erfundenen – Ehrenkodex der Universität unterschreiben liess, betrogen sie ebenfalls weniger.

Was wirklich zählt, so das Ergebnis vieler Studien, ist nicht die Religion an sich. Entscheidend ist vielmehr, dass sich jemand als Mitglied einer Gemeinschaft fühlt. Das kann die Gemeinde der Gläubigen sein, aber eben auch eine Universität. Wenn jemand einer Kirchgemeinde angehört, spielt es für sein ehrenamtliches Engagement und seine Spendenbereitschaft keine Rolle, ob er an Gott und an ein Leben nach dem Tod glaubt. Die Harvard-Politologen Robert Putnam und David Campbell sind überzeugt: «Die Statistiken legen nahe, dass sogar ein Atheist, der irgendwie ins Sozialleben einer Gemeinde involviert wird, etwa durch den Ehepartner, sich viel eher in einer Armenküche engagieren wird als der glühendste Gläubige, der allein betet.»

Was wirklich zählt, ist nicht die Religion an sich. Entscheidend ist, dass sich jemand als Mitglied einer Gemeinschaft fühlt.

Viele Skandinavier leben nach diesem Prinzip. Zwar lassen sie ihre Kinder taufen und sind Mitglied einer Kirchgemeinde – «sie glauben bloss nicht an Gott», fasst Bloom die Datenlage zusammen. Sie seien genau in dem Sinn religiös, «der für die Moral entscheidend ist». So gesehen ergibt es Sinn, dass die Dänen und Schweden humaner miteinander umgehen als viele gottesfürchtige Völker. Doch die Skandinavier sind die Ausnahme. In den meisten Regionen der Welt dominiert nach wie vor die Religion. Bloom und andere Forscher glauben, dass Religionen sich in der Evolution gerade deshalb durchgesetzt haben, weil sie die Zusammengehörigkeit einer Gemeinschaft fördern. Ihre Mitglieder machen unangenehme und scheinbar unsinnige Rituale mit, etwa Fastenzeiten im Christentum und Islam oder schmerzhafte Initiationszeremonien in Stammesgesellschaften. Doch sie demonstrieren so, dass sie ohne Rücksicht auf sich selbst ihren Platz in der Gemeinschaft einnehmen wollen.

Allerdings kann gerade die Loyalität zur eigenen Gruppe dazu führen, dass andere weniger respektiert oder sogar verachtet werden. Das stellte schon der amerikanische Psychologe Gordon Allport fest, der 1954 ein klassisches Buch über «Die Natur des Vorurteils» publizierte. Er fand beispielsweise heraus: Je grösser der Einfluss der Religion während der Erziehung eines Menschen war, desto mehr Vorurteile hegt er gegen andere Gruppen. In späteren Studien zeigte sich, dass Christen eher als Atheisten der Meinung sind, dass die meisten Schwarzen mit einer geringeren Lernfähigkeit geboren werden.

Radikale Weltanschauungen

Der Evolutionsbiologe und kämpferische Atheist Richard Dawkins hält die Folgen von Religion für verheerend: «Selbstmordattentäter tun, was sie tun, weil sie wirklich glauben, was ihnen in religiösen Schulen beigebracht wird: Dass Gott zu gehorchen wichtiger ist als alles andere.» Wirklich neu ist dieser Vorwurf nicht. Schon im 17. Jahrhundert notierte der fromme Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal: «Niemals tut der Mensch das Böse so vollkommen und fröhlich, als wenn er es aus religiöser Überzeugung tut.»

Doch wenn Yale-Professor Bloom recht hat, ist das nur halb wahr. Auch wenn Kriege und Terroranschläge religiös motiviert erscheinen, geht es in Wirklichkeit um die Gruppe und ihre Überzeugungen, nicht um Gott. Keineswegs alle Selbstmordattentäter sterben für Gott, eine andere radikale Weltanschauung kann genauso gut ein Motiv liefern. So waren die lange in Sri Lanka aktiven Tamil Tigers keine religiöse Gruppe. Doch sie haben weltweit die meisten Selbstmordattentate verübt. Zu ihren Opfern zählten Ranasinghe Premadasa, der damalige Präsident von Sri Lanka, und der indische Ex-Premierminister Rajiv Gandhi.

Keineswegs alle Selbstmordattentäter sterben für Gott, eine andere radikale Weltanschauung kann genauso gut ein Motiv liefern.

Noch interessanter als die vergleichsweise wenigen Selbstmordattentäter sind vielleicht die vielen, die sie unterstützen. Der Psychologe Jeremy Ginges von der New School for Social Research in New York hat mehrere repräsentative Umfragen in verschiedenen Ländern ausgewertet und das Ergebnis war immer das gleiche: Wer häufig eine Moschee, Synagoge oder Kirche besuchte, bekundete auffallend oft der Gewalt gegen Andersgläubige seine Zustimmung. So befürworteten Palästinenser doppelt so häufig Selbstmordattentate, wenn sie oft in die Moschee gingen und so ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft demonstrierten. Der Glaube selber, etwa wie oft jemand betete, spielte dagegen keine Rolle.

Auch wenn es nicht um tödliche Anschläge geht, sondern um alltägliche Werte von Gerechtigkeit bis Hilfsbereitschaft, kommt es auf die Religion nicht an. So halten Niederländer Respekt für wichtiger als Bescheidenheit – egal ob sie Christen, Muslime oder Atheisten sind. Dagegen trennt die Niederländer aller Glaubensrichtungen viel von den Spaniern, die beispielsweise nicht so viel Wert auf Verlässlichkeit legen. Die Kultur ist mithin wichtiger als die Religion.Moral hat also wenig mit Frömmigkeit zu tun, was vor allem für viele US-Amerikaner eine grosse Überraschung sein dürfte. Sie geben in Umfragen zwar heftige Vorurteile gegen Homosexuelle zu Protokoll. Aber sie würden lieber einen Schwulen zum Präsidenten wählen als einen Atheisten. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 23.12.2012, 16:03 Uhr


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