Wenn weniger mehr ist: Die Psychologie des Fastens

Von Marco Witting

Innsbruck – Lustig? War gestern. Ab heute wird es ernst. Weniger Autofahren. Kein Alkohol für 40 Tage. Verzicht auf Schokolade und Zucker. Weniger Essen. Die Zigaretten in der Schachtel lassen. Viele Fastenvorsätze. Und mancher Ortes wenig Durchhaltevermögen. Jeder Zweite, so Statistiken, denkt dieser Tage zumindest darüber nach zu fasten.

„In der heutigen Zeit, wo wir alles und das sofort haben wollen, haben wir es uns zu eigen gemacht, alles zu kaufen. Verzicht ist nicht gerade im Trend“, sagt Psychologin Annemarie Trinkl, die sich in ihrem Buch mit gleichnamigem Titel der Psychologie des Fastens gewidmet hat. Trinkl rät aber absolut dazu. „Achtsamer Umgang mit den eigenen Ressourcen“ nennt sie das. Fünf Jahre lang betreute sie Patienten beim Heilfasten in einem Kurzentrum. „Abnehmen ist nicht primär das Wichtigste. Es geht darum, rein zu werden. Vom Gift und den Belastungen, die wir angehäuft haben“, sagt Trinkl. Dazu gehöre eben auch das ein oder andere Kilo zu viel. Klar und frei im Kopf. Das sei eine Zustand, der sich relativ rasch einstellt, wenn man da und dort reduziert.

Für die Expertin mache es aber „keinen Sinn“, an einer bestimmten Anzahl von so genannten Jokertagen während der Fastenzeit auf den Verzicht zu verzichten. „Man sollte das nicht zwischen Tür und Angel machen, sondern sich bewusst darauf einlassen. Und wenn man dann doch einmal einen Schweinsbraten isst, sollte man den auch bewusst genießen“, sagt die Psychologin. Nur eines sollte man nicht haben: ein schlechtes Gewissen. „Das hilft nämlich niemandem“, sagt Trinkl.

Religionsbedingt gebe es bei uns 40 Fastentage. „Das ist eine horrende Anzahl, wenn man sich dazu zwingen muss“, sagt Trinkl, die davon abrät, komplett zu hungern. „Oft reicht es schon, wenn man langsam isst, bis nach 20 Minuten ein Sättigungsgefühl eintritt, anstatt eine große Menge in kurzer Zeit herunterzuschlingen.“

Der Körper setze nach einer gewissen Zeit Glückshormone frei, wenn sich die alten Schlacke gelöst hätten. „Die Patienten hatten dann das Gefühl, sie könnten Bäume ausreißen.“ Nach der Fastenzeit sollte man nicht alles aufgeben, was man sich zuvor hart erarbeitet habe. „Es geht um das Bewusstsein“, sagt Trinkl. „Wenn man in der Früh keine Vögel zwitschern hört, dann liegt das nicht an den Vögeln. Sondern am Menschen, der nicht hinhört.“

Rund um den heutigen Aschermittwoch gibt es in ganz Tirol wieder zahlreiche Aktionen. In vielen Pfarren wird etwa in den kommenden Tagen zum traditionellen Fastensuppenessen geladen. Den Start macht dabei das traditionelle Suppenessen zu Mittag vor dem Stadtturm in Innsbruck. Dazu werden zahlreiche Gäste aus Kirche, Politik und Wirtschaft erwartet.

Innsbrucks Diözesanbischof Manfred Scheuer ruft in seinem Bischofswort zur österlichen Bußzeit zur Vergebung auf. „Werke des Friedens und der Versöhnung sind kleine Gesten von großem Wert. Sie können der Samen sein, die Hoffnung schenken, sie können Wege und Perspektiven des Friedens sein“, schreibt Scheuer. Zudem gibt er „Wegweiser“ auf den Weg in die Fastenzeit. Die eigenen Wunden zeigen, Vergangenes verabschieden und Vergebung geschehen lassen – mit diesen Orientierungshilfen sei eine Umkehr möglich. Die evangelische Kirche kritisiert anlässlich der Fastenzeit die Lebensmittelverschwendung in Österreich. Der Wert der Lebensmittel, die weggeworfen werden (157.000 Tonnen), würde rund eine Milliarde Euro betragen.

Bischof Michael Bünker wies in einer Aussendung auf die Not in den Entwicklungsländern hin und appellierte: „Jeder von uns sollte nur so viele Lebensmittel kaufen, wie wir tatsächlich konsumieren.“

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