Wenn Grafiken und Videos der Strom ausgeht

Es gibt lange Pressekonferenzen, sehr lange und seltsam lange. Bei letzteren hat man dann viel Zeit, die Psychologie des Podiums zu erkunden – vorige Woche etwa im Essl-Museum. Eröffnet wurden zwei Ausstellungen, die auch zwei künstlerische Welten präsentierten, die bei dieser Gelegenheit aufeinanderprallten: Die des österreichischen Grafikers Rudolf Schönwald, der gerne als „vergessen“ dargestellt wird, der noch dazu zu spät zu der Veranstaltung kam, vielleicht um den amüsanten Erzählungen der belgischen Star-Videokünstlerin Marie-Jo Lafontaine zu entgehen. Was ihm trotzdem nicht gelang.

Jedes Mal, wenn das Wort „documenta“ fiel, und es fiel oft, war doch Lafontaines Teilnahme 1987 ihr Durchbruch, schien Schönwalds Blick in die Weite nach Innen zu schweifen. Seine Karriere führte ihn nicht nach Kassel, sondern nach Aachen, an die Technische Hochschule, wo er fast 20 Jahre lang unterrichtete. Nach dem Krieg, den er als 1928 geborenes, von den Nazis verfolgtes Kind in Ungarn als U-Boot und in Lagern überlebt hatte, studierte er an der Wiener Akademie. Er erhielt einige Preise und betrieb mit Alfred Hrdlicka, Fritz Martinz und Georg Eisler, die in dieser der Abstraktion huldigenden Zeit ebenfalls trotzig figurativ weiterarbeiteten, eine Lithografiewerkstatt.

 

Bekannt durch Comic-Strip „Goks“

Bekanntheit erlangte Schönwald aber als Zeichner des Comic-Strips „Goks“, der von 1968 bis 1974 im „Neuen Forum“ veröffentlicht wurde. Der große künstlerische Durchbruch gelang Schönwald nie. Und daran wird auch die nette kleine Ausstellung bei Essl nichts ändern, die gerade den Teil von Schönwalds Werk zeigt, der 2005 sowieso schon im Heiligenkreuzerhof vorgestellt worden ist: raue, mit einem harten schwarzen Kohle-Kreide-Stift gezeichnete Industrieruinen. Seit fast 30 Jahren hält er diese verfallenden Giganten einer vergangenen Moderne fest; begonnen hat er damit in Südbelgien, mittlerweile reist er ihnen aber bis nach Russland nach: Man erkennt die Skelette von Ziegeleien, Bergwerken und Hochöfen. Man entdeckt dabei eine Formensprache, die auch an den arabischen Raum denken lässt – an Minarette oder Felsenburgen.

Aber über das Dokumentarische kommt Schönwald in den weit über 100 Zeichnungen nicht hinaus. Wie schon Sammler Karlheinz Essl ausschweifend bei der Pressekonferenz erklärte, muss man bei den Zeichnungen unweigerlich an das schulbildende Düsseldorfer Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher denken. Wirkt Schönwalds Serie stilistisch in der Zeit verhaftet, in der die Fabriken entstanden, haben die aus derselben Generation stammenden Bechers jedoch einen weitaus zeitgenössischeren, konzeptuellen Blick auf das Thema gefunden: Ebenfalls schwarzweiß, aber fotografisch, immer in denselben Winkeln, frontal aufgenommen, ist ihr Archiv des Industrieverfalls ein sachlicheres und vollständigeres.

Es wäre interessant gewesen, diese Fotografien neben den Zeichnungen Schönwalds zu sehen. Aber für diesen Schritt scheint der Mut auf beiden Seiten, beim Museum wie beim Künstler, nicht gereicht zu haben. So bleibt auch der fromme Essl'sche Wunsch, hier einen Künstler zu entdecken, der noch zu entdecken ist, eine Ruine.

Was einen erstaunlichen Bogen zu der zweiten, größeren Ausstellung in dem Stockwerk zulässt: Neben Schönwalds Zeichnungen wird nämlich eine konsumierbare Auswahl, eine Art Best-Of der 60 Videoarbeiten der Sammlung Essl gezeigt. Einfach so, zum Spaß anscheinend, ohne ein gröberes Konzept belastet. So zappt man sich fröhlich ein bisschen durch die Videokunst-Geschichte – von VALIE EXPORTS „Body Poem“ aus 1970 über den populären Pathos von Bill Violas durch ewige Langsamkeit zur Kenntlichkeit verzerrte Porträts menschlicher Emotionen bis zu den lustigen, animierten Essiggurkerln von Christian Gonzenbach, 2006.

 

Videoskulpturen als neue Industrieruinen

Das historische Zentrum aber bilden zwei monströse Videoskulpturen, die gerade in ihrer überkommenen Modernität von einer scheinbar ewig zurückliegenden Zeit vor Erfindung der Flatscreens künden: Ein mit plumpen TV- und Radiogeräten überbautes Klavier des Videokunstpioniers Nam Jun Paik aus den 90er-Jahren. Und eben Marie-Jo Lafontaines „documenta 8“-Arbeit „Stählerne Tränen“, für deren komplizierte „Wiedergeburt“ sich die Künstlerin bei Essl überschwänglich bedankte: Denn gekauft wurden die 27 Geräte, die von einem Holzgerüst wie eine Kathedrale ummantelt den 80er-Jahre-Hype rund ums Bodybuilden abgründig zelebrieren, 1999 in äußerst marodem Zustand. Und Röhrenfernseher werden heute nur noch in einer Fabrik in China produziert, erklärte die Künstlerin.

Die Zukunft von Videoskulpturen als Industrieruinen der anderen Art ist also vorprogrammiert. So viele Ersatzgeräte können die Museen dieser Welt gar nicht horten. Vielleicht sollte man also auch diese jüngsten Dinos der Kunstgeschichte aus künstlerischem Interesse heraus fotografieren. Oder zeichnen. Das wäre angesichts des mittlerweile so ostentativ harmonisch ausgetragenen Wettkampfs der Medien sogar fast schon wieder ein bisschen subversiv.

Die Ausstellungen Rudolf Schönwald und „Spotlights. Videokunst“ laufen von heute, 9.3., bis 13.Mai im Essl-Museum in Klosterneuburg. Öffnungszeiten: Di–So 10–18h, Mi 10–21h. Eintrittspreise: 7 Euro, ermäßigt 5 Euro. Jeden Dienstag bis Sonntag um 10, 12, 14, 16 Uhr fährt ein Gratis-Shuttlebus vom Albertinaplatz 1 zum Essl-Museum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2012)

Leave a Reply