Wenn der Krieg im Kopf weiter geht

Zwei Gewalttaten von US-Soldaten innerhalb weniger Wochen, fast zwanzig Tote. Was im ersten Weltkrieg als "Kriegszittern" abgetan wurde, stürzte nach dem Vietnamkrieg das US-Gesundheitssystem in die Krise. Betroffene Veteranen behandelten sich selbst mit Drogen und Alkohol. Manche haben heute noch stationäre Behandlung nötig.

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann nach einer lebensbedrohlichen Krise auftreten. Etwa fünf bis zehn Prozent der Menschen entwickeln im Lauf ihres Lebens eine solche Störung, in Kriegs- und Krisengebieten sind es mehr. Betroffene erleben das Trauma immer wieder, manche haben Halluzinationen, andere Albträume. Sie kommen nicht zur Ruhe, sind ständig wie auf dem Sprung und vermeiden alles, das an das Trauma erinnert. Halten diese Symptome länger als vier Wochen an, spricht man von einer PTBS. Diese kann mit Medikamenten und Psychotherapie behandelt werden, Erfolgschancen liegen bei 70 bis 80 Prozent.

Schon 2004 kehrte jeder Sechste psychisch krank aus dem Irak-Einsatz zurück. Aktuelle Studien belegen, dass nun bereits jeder Dritte, der im Irak oder Afghanistan gedient hat, an PTBS leidet. Das Risiko verdoppelt sich für jene Soldaten, die drei aufeinander folgende Einsätze im Kriegsgebiet hatten.

Frank Wilhelm, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Salzburg, erklärt im SN-Gespräch Ursachen, Risiken und Folgen von PTBS.

SN: Sind mehrmalige Traumatisierungen mit ein Grund, weshalb immer mehr US-Soldaten psychisch krank aus dem Einsatz zurückkehren? Die meisten werden ja mehrmals im Kriegsgebiet eingesetzt.

Wilhelm: Das ist ein Faktor, an den man unbedingt denken muss. Ein anderer Faktor ist, dass heute diese Symptome eher erkannt werden, auch weil es Behandlungen gibt, die Erfolg bringen. Ein weiterer Faktor ist, dass viele Soldaten nicht gern langfristig im Kriegseinsatz sind und manche dann PTBS-Symptome simulieren. Das wird vor allem von den Kommandanten vor Ort als erste Hypothese angenommen. Da muss schon wirklich etwas passieren, bis jemand vom Dienst freigestellt wird. Aber langsam wird erkannt, dass es nicht sinnvoll ist, betroffene Soldaten im Kriegseinsatz zu lassen - wie man das auch an dem Amoklauf in Afghanistan vor zwei Wochen wieder gesehen hat. Weil Betroffene Dinge tun, die aus einer psychischen Belastung heraus entstehen und schlimme Konsequenzen haben können. Es gibt auch viele Selbstmorde unter den Soldaten. Eine häufige Komplikation bei PTBS.

SN: Eine aktuelle Studie besagt, dass sich die Selbstmordrate bei US-Soldaten in den Jahren von 2004 bis 2008 um 80 Prozent erhöht hat. Was sagen Sie dazu?

Wilhelm: In der Forschung ist längst bekannt, dass diese Problematiken auftauchen, dass Selbstmord sehr häufig ist, dass Kriegseinsätze sehr problematisch sind. Auch für die Opfer, das sollte man ganz klar sagen. Sie leiden unter den Kriegseinsätzen ganz genauso oder noch mehr. Gerade auch durch die Passivität, zu der man als Zivilbevölkerung verurteilt ist, wenn man Bombardements ausgesetzt ist oder belagert wird. Das erhöht das Auftreten von PTBS enorm, übrigens auch von Depression. Das ist gesellschaftlich ein großes Problem. Dass Kriege sinnvoll sind, … man muss das sehr gut abwägen, gerade wenn man die langfristigen gesundheitlichen Risiken und Kosten einbezieht. Ob heute Krieg überhaupt noch ein Mittel sein sollte, würde ich sehr in Zweifel ziehen.

SN: Haben Attentate meistens einen aktuellen Auslöser? Der US-Soldat, der vor zwei Wochen in Afghanistan 16 Zivilisten getötet hat, soll am Tag vor dem Amoklauf gesehen haben, wie ein Freund direkt neben ihm sein Bein verlor...

Wilhelm: Das sind immer ganz unterschiedliche Einzelfälle. Bei dem Fall in Afghanistan würde ich sagen, das war eine Verzweiflungstat. Es war ein aktueller Auslöser, dass er seinen Freund hat leiden sehen. Hinzu kommt der Hass, den er wahrscheinlich gegen die Bevölkerung aufgebaut hat und der sich dann entladen hat. Es war natürlich stark emotional - Emotionen bringen den Menschen manchmal dazu Dinge zu tun, die er hinterher sicher bereuen würde.

Wenn man hingegen an Norwegen denkt, an Anders Breivik. Das war auch ein Einzeltäter, der eher im Bereich schizophrener Störung angesiedelt war, wie zwei neuere Gutachten vermuten. Bei Breivik war die Problematik anders, da gab es keinen akuten Auslöser, das Attentat war lange geplant.

SN: Anders Breivik wird vermutlich wegen der schizophrenen Störung als schuldunfähig erklärt. Dem in Afghanistan Amok gelaufenen US-Soldaten droht vielleicht die Todesstrafe. Sind PTBS-Kranke überhaupt schuldfähig?

Wilhelm: Die Betroffenen leiden. Sie leiden so stark, dass die Selbstmordrate relativ hoch ist. Gerade auch nach Rückkehr nachhause, in die Familie, wo sie erleben, dass sie nicht mehr derselbe Mensch sind. Dass sie wie weggetreten sind aus der Realität, in dem Trauma einfach weiter bestehen, es nicht abschütteln können. Das sind extreme Leidenszustände. Trotzdem würde ich sagen, dass in solchen Fällen nicht von Schuldunfähigkeit zu sprechen ist. Anders als bei Schizophrenie existiert keine Wahnwelt, die als wahr wahrgenommen wird. PTBS-Betroffene erkennen die Realität wie sie ist, trotz ihres Leidens. Aus diesem Leiden ergibt sich ein großer Druck, eventuell etwas zu tun, das man nicht tun sollte.

SN: Die Geschehnisse häufen sich. Am Wochenende wurde bekannt, dass ein Irak-Veteran zunächst seine 11-jährige Schwester und wahrscheinlich auch seine Mutter erschoss, bevor er sich selbst tötete...

Wilhelm: Es ist unheimlich traurig, von solchen Fällen zu hören. Kriege waren schon immer fürchterlich, direkt am Ort des Geschehens, aber dann auch hinterher. Wir leiden auch jetzt noch an den Auswirkungen des 2. Weltkriegs. Es kommt zu Spätauftreten von traumatischen Erinnerungen und Erfahrungen in der älteren Generation, die sich heute an Kriegsgeschehen wieder erinnert. Das kann durchaus zu einem späten Auftreten von PTBS führen, sogar jetzt noch, aus Erfahrungen des zweiten Weltkriegs.

SN: Kriege, die heute geführt werden, können also noch über ein halbes Jahrhundert später zu psychischen Schäden führen?

Wilhelm: Ja, solche Fälle gibt’s. Die psychische Belastung kann sich noch über Generationen hinweg fortsetzen. Zum Beispiel ergeben sich für Kinder, deren Eltern aufgrund von Kriegserfahrungen emotional nicht zugänglich waren, mögliche Entwicklungsproblematiken, die in der Folge auch zu psychischen Störungen führen können.

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