Warum wir morgens ehrlicher als abends sind


Lgner
Wer hätte das gedacht: Moral ist eine Frage der Tageszeit. © Imago


Wenn Studenten ihre Prüfungstermine bekommen, interessiert sie häufig vor allem eins: Ist die Prüfung morgens um neun oder nachmittags gegen drei? Denn jeder hat die Erfahrung gemacht, dass Prüfer am Nachmittag bessere Menschen sind. Sie sind müder, milder gestimmt, dadurch weniger kritisch und nicht mehr gewillt, das nervöse Menschlein vor ihnen durch den intellektuellen Fleischwolf zu drehen.

Eine Studie zweier US-Psychologen hat nun gezeigt, dass mentale Ermüdungserscheinungen, die sich über den Tag einstellen, auch noch ein anderes Gebiet betreffen. Maryam Kouchaki von der Harvard University und Isaac Smith von der University of Utah fanden heraus, dass Menschen morgens ehrlicher sind als nachmittags. Oder anders formuliert: Gegen Nachmittag geht in der Regel die Moral flöten.

Rote Lippen
Quiz

Wie gut kennen Sie das weibliche Geschlecht wirklich?

Die Wissenschaftler führten für ihre Studie vier Experimente mit Studenten durch. Dort gab es für sie jeweils die Möglichkeit, Geld zu verdienen – und zwar umso mehr davon, je mehr sie schummelten. In allen vier Experimenten wurde dabei die Hälfte der Probanden morgens zwischen acht und zwölf Uhr getestet, und die andere Hälfte nachmittags zwischen 15 und 18 Uhr.

Am Nachmittag schummelten Studenten häufiger

Egal wie die Aufgabe gestellt war: Die am Nachmittag getesteten Studenten schummelten deutlich häufiger als jene, die das Labor am Morgen betreten hatten. Die Forscher führten außerdem bei allen Probanden einen sogenannten Wortergänzungstest durch. Dabei müssen die Versuchsteilnehmer Gebilde wie "_ _ ral" zu einem sinnvollen Wort ergänzen. Forscher testen damit das "mindset" des Ausfüllenden, also den Themenkreis, aus dem die meisten Wörter kommen.

Sie sagen in diesem Fall etwas darüber aus, ob der Student, mit der Möglichkeit zu schummeln konfrontiert, moralische Bedenken hat. Je mehr Worte wie "Moral", "Ethik", oder "Ehrlichkeit" ihm spontan einfallen, desto eher kann man das annehmen.


Quiz

Hier können Sie überprüfen, wie weit Ihr Anatomie-Wissen reicht.

Auch hier war Ergebnis eindeutig: Morgens fielen den Versuchsteilnehmern viel eher Wörter aus dem Themenkreis der Moral ein als am Nachmittag – da kamen die Probanden statt auf "Moral" eher auf die nicht so naheliegende "coral", also die Koralle.

Selbstdisziplin schwindet im Lauf des Tages

Dieser "Morning Morality Effect", so erklären die Psychologen, habe mit dem Schwund der Selbstdisziplin zu tun, der sich über den Tag einstelle. Denn Selbstbeherrschung, das haben verschiedene Studien gezeigt, ist ein Reservoir, das nicht unbegrenzt zur Verfügung steht. Jede Verlockung, der man im Laufe des Tages widersteht, und jeder Impuls, den man unterdrückt, schöpft daraus.

So bleibt am Ende des Tages nicht mehr viel übrig. Und auch bei denen, die mit außergewöhnlich viel davon gesegnet sind, nimmt die Wahrscheinlichkeit unehrlichen Verhaltens mit jeder vergangenen Stunde des Tages zu.

Auch hier gilt natürlich: Gelegenheit macht Diebe. Den müden Prüfern am Nachmittag kann man es zwar nicht verdenken – aber eine Nachfrage mehr würde vielleicht klären, ob der Student das einschlägige Buch tatsächlich gelesen hat, wie er behauptet. Zwar gibt es in der Prüfung kein Geld zu gewinnen, aber immerhin eine gute Note.

© DIE WELT

Open all references in tabs: [1 - 4]

Leave a Reply