Warnsignale vor einer Beziehungstat – Echo



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Erschreckend hoch ist die Zahl der Frauen, die von ihren Männern oder Freunden getötet wurden. Eine vom Darmstädter Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement ausgearbeitete Software hilft Polizei und Beratungsstellen, im Einzelfall das Risiko für tödliche Gewalt abzuschätzen. Auf unserem Bild: der Institutsleiter, Kriminalpsychologe Jens Hoffmann. Auf dem Bildschirm: eine von 39 Fragen, die eine bedrohte Frau beantworten soll. Foto: Claus Völker

Dezember 2004: Ein 47 Jahre alter Mann erschoss in Eberstadt seine Ex-Frau und deren Lebensgefhrten in Anwesenheit seiner Kinder. November 2009: Ein 24 Jahre alter Student erstach eine 26 Jahre alte Kommilitonin in einem Computerraum der Hochschule Darmstadt, weil sie sich von ihm trennen wollte.
Mrz 2010: Ein 25 Jahre alter Afghane fgte seiner 19 Jahre alten Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung in der Kirchstrae aus nichtigem Anlass mit einem Kchenmesser tdliche Verletzungen zu. Ein Jahr zuvor hatte sie ihn wegen Gewaltttigkeiten angezeigt. Das sind nur drei „Beziehungstaten“ aus Darmstadt, die in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht haben.

Das Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement ist telefonisch unter der Nummer 06151 20213 erreichbar. Die E-Mail-Adresse lautet: info@i-p-bm.de

Siebzig Ttungsdelikte an Frauen, darunter zwei aus Darmstadt, hat der Kriminalpsychologe Jens Hoffmann zusammen mit seiner Kollegin Justine Glaz-Ocik detailliert untersucht. Die beiden Psychologen gehen davon aus, dass sich das Risiko fr tdliche Gewalt gegen Frauen schon im Vorfeld erkennen lsst.

Dafr entwickelten sie das Software-Programm DyRiAs, eine Abkrzung fr Dynamisches Risiko Analyse System. Fr ihre wissenschaftliche Arbeit stellten ihnen Staatsanwaltschaften aus dem ganzen Bundesgebiet Polizei- und Gerichtsakten zur Verfgung. „Das Aktenstudium war bedrckend“, sagt Hoffmann, der in Darmstadt das „Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement“ leitet. Bedrckend, weil sich die Protokolle wie Chroniken eines angekndigten Todes lesen.
Bei der Analyse der Flle zeigten sich oft die gleichen Muster. Zum Beispiel redeten die spteren Tter von ihren Frauen bereits in der Vergangenheitsform, als diese noch lebten. Fast jede der Beraterinnen fr gewaltbe-drohte Frauen, die Hoffmann zum Thema interviewte, hatte bereits eine Klientin gehabt, die spter umgebracht worden war. Immer gab es warnende Vorzeichen. Hoffmann: „Eine solche Tat kommt so gut wie nie aus heiterem Himmel“.
Das Programm setzt voraus, dass eine bedrohte Frau Hilfe von auen sucht: bei Beratungsstellen oder der Polizei. Dann knnen die geschulten Fachkrfte mit ihr den vorgegebenen Fragenkatalog durcharbeiten. Er dient unter anderem dazu, die Lebenssituation des gewaltbereiten Mannes oder Freundes nher zu betrachten: Ist er depressiv, hat er Probleme im Beruf? Verschenkt er pltzlich seine Sachen?
Die Antworten auf 39 Fragen ermglichen eine Risikoeinschtzung in sechs Stufen von Grn (keine Gefahr) bis dunkelrot (hohes Risiko). Manche von Gewalt geprgten Beziehungen ziehen sich ber Jahre hin. Ein Falldokumentationssystem hilft, den berblick ber alle Aufflligkeiten zu behalten. Das Risiko ist nicht konstant, sondern variabel es kann sich im Lauf der Jahre durchaus auch verringern.
Weil das Programm von einem Anwender-Netzwerk benutzt werden soll, etwa von Beratungsstelle, Polizei und Staatsanwaltschaft, ist es allgemeinverstndlich formuliert. Alle beteiligten Stellen knnen immer den neuesten Stand der Informationen anfordern. Fallbeispiele, die stndig aktualisiert werden und sich auf bestimmte Faktoren beziehen, dienen zu Orientierung. Mit Hilfe von zustzlich gelieferten Fachinformationen internationaler Wissenschaftler kann man sich noch intensiver mit dem Thema „Ttungsdelikte durch Intimpartner“ befassen. Ein einheitliches Tterprofil vermochte Hoffmann bei seinen Untersuchungen nicht zu erkennen: Bei den Mnnern sei die ganze Typen-Bandbreite von schchtern bis „Hoppla, jetzt komm ich“ vertreten gewesen. Auch die Dauer der Beziehung war nicht aussagekrftig: Sie reichte von einer Nacht bis zu vielen Jahren.
Das Programm sei ein Einschtzungsinstrument, ein fachbergreifendes Werkzeug fr Fachpersonen, erklrt Hoffmann, aber es knne keine Tat verhindern. Auch das Strafrecht sei nur einer von vielen Bausteinen. Manchmal mssten die Frauen zu ihrer eigenen Sicherheit untertauchen. Manchmal sei eine „Verhaltensbeeinflussung“ des potenziellen Tters sinnvoll, etwa durch eine Therapie oder durch Arbeitgeber und Verwandte, die er respektiere. Es gebe aber keine Strategie, die bei allen gewaltbereiten Mnnern Wirkung zeige.
In der Schweiz und in sterreich, sagt Institutsleiter Hoffmann, werde die Software aus Darmstadt bereits in Gewaltschutzzentren angewandt. Ab diesem Monat sollen auch in Deutschland ein- bis zweitgige Ausbildungsseminare zum Thema „DyRiAS Intimpartner“ folgen. Auf das Thema gekommen ist Hoffmann whrend seiner Forschungsarbeiten ber Stalking an der Technischen Universitt Darmstadt. Dazu angeregt wurde er auch durch die Zahlen, die das Bundeskriminalamt verffentlichte: Bei jeder zweiten getteten Frau hatte der Ehemann, Freund oder Expartner unter dringendem Tatverdacht gestanden.

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