Wahrnehmungspsychologie: Hauptsache, Sie sehen gut aus

Wer schön ist, muss den Knast kaum fürchten? Zum Glück funktionieren Rechtssysteme so nicht. Doch allein gutes Aussehen hilft, kompetent und vertrauenswürdig zu wirken. von Saskia Gerhard

Wahrnehmungspsychologie

Jeremy Meeks  |  © picture alliance / AP Photo

Volle Lippen, stahlblaue Augen, hohe Wangenknochen und kantige Gesichtszüge machen Jeremy Meeks zu einem schönen Mann. Auf Facebook wurde sein Foto im Juni dieses Jahres zu Klickgold, Tausende sahen Modelpotenzial in ihm, gar das nächste Gesicht einer Hugo-Boss-Kampagne und forderten mehr Bilder von dem 30-Jährigen mit dem verwegenen Blick. 

Dass Jeremy Meeks wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor Gericht stand, zuvor bereits für schweren Diebstahl verurteilt worden war und auch einmal einen Teenager verprügelt haben soll, schien nebensächlich zu sein. Vor allem Verehrerinnen waren sich einig: Er sei "zu heiß für den Knast" und überschütteten die Facebookseite der kalifornischen Polizeidienststelle, die Meeks festgenommen und sein Bild online veröffentlicht hatte, mit schwärmerischen Kommentaren. 

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Wie kann es sein, dass die Straftat einer Person hinter ihrem guten Aussehen zurücksteht? Warum fassen wir Vertrauen, wenn jemand nicht offensichtlich gefährlich aussieht? Antworten auf diese Fragen sucht die Wahrnehmungspsychologie. Ein Team aus Psychologen und Verhaltensforschern um Christopher Olivola, Friederike Funk und Alexander Todorov hat untersucht, wie bestimmte Gesichtsformen unsere Haltung zu einer Person beeinflussen. Die Ergebnisse veröffentlichten die drei im Magazin Trends in Cognitive Sciences (Olivola Funk Todorov, 2014). Was zu Meeks’ Fall passt: In Gegenüberstellungen mit Verdächtigen
tendieren Zeugen dazu, jene Personen
zu beschuldigen, deren Gesichtszüge wenig Vertrauen erwecken.

Die "typisch kompetente" Nase gibt es nicht

"'Typisch vertrauenswürdig' oder 'typisch kompetent' aussehende Gesichter beziehen sich nicht auf spezifische Merkmale", sagt Friederike Funk. "Eher ist es ein Gesamteindruck, den ein Gesicht vermittelt." Dessen Wirkung verdeutlichen digitale Modelle, die verschiedene Forschergruppen bereits entwickelt haben (Todorov et. al., 2014). In einigen Animationsvideos beispielsweise wandelt Funks Kollege Alexander Todorov computergenerierte Gesichter um – von grimmig zu freundlich, von dominant zu devot.

Ein kompetent aussehendes Gesicht macht demnach einen strengen, aber offenen Blick aus, der durch eine markante Augenbrauenpartie verstärkt wird. Der Rest des Gesichts ist kantig geschnitten, mit breitem Kiefer, eher vollen Lippen und leicht gebräuntem Teint. Weniger Kompetenz strahlt dagegen ein fleischig-weißer Hautton aus. Kombiniert mit kleinen, eng zusammenstehenden Augen, einer knubbeligen Nase, weicher Gesichtsform und schmalen Lippen erinnert das Gesamtbild an ein "Babyface" – eine Person mit solch einem Antlitz wirkt demnach weniger kompetent.

Dies spielt nicht nur für Schuldzuweisungen eine Rolle, sondern kann auch Entscheidungen in Unternehmen beeinflussen. "So werden Bewerber um den Geschäftsführerposten, die kompetent
aussehen, in der Tat mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eingestellt und
erhalten ein höheres Gehalt, auch wenn sie ihre Arbeit nicht besser
ausführen als Geschäftsführer, die nicht so kompetent aussehen", sagt
Funk. Ohne Frage ungerecht, doch eben keine blanke Theorie.

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