Von Psychologie aktuell Politikexperte Maximilian von Thalen.
"Nach kurzem sommerlichen Aufruhr scheint die Welt nun wieder geordnet: In das helle und das dunkle Deutschland. Und was ist mit den Zwischentönen, den geflüsterten Ängsten des mittelhellen Deutschland?", schreibt Marie Amrhein im Cicero.
Differenzierung als Mangelware?
Der Kessel stehe unter Druck, schreibt Frau Amrein, ständig knallten irgendwelche Sicherungen durch. Nur seien es nicht nur jene des "dunklen" Deutschlands. Auch die vermeintlich "helle" Seite übe sich in einer Selbstgerechtigkeit, die ein mulmiges Gefühl hervorrufe. Eine kluge Analyse, die sich mit unseren eigenen Erfahrungen als Redaktion deckt.
Selbstgerechte Zuschriften oder nur blanke Naivität?
Man ist als journalistisch tätiger Mensch durchaus gewohnt, dass man tagtäglich irgendwem irgendwie auf die Füße tritt - ungewollt, denn wer will schon absichtlich Menschen ärgern? Doch derzeit passieren Dinge, die es in einer freiheitlichen Demokratie nicht geben sollte.
Wie etwa folgende Zuschrift an unseren Leserservice in Resonanz auf einen Artikel zur Flüchtlingsproblematik. Eine Psychologin schrieb uns:
"Hallo Psychologie aktuell, etwas an diesem Beitrag stört mich und ich möchte ihn lieber nicht auf Facebook sehen. Würdest du ihn bitte entfernen?"
Worauf unser Leserservice antwortete:
Liebe Leserin, lieber Leser,
wir entfernen keinen Artikel, nur weil er einem einzelnen Leser nicht gefällt. Es herrscht immer noch Meinungs- und Pressefreiheit, die wir alle schätzen sollten. Kommentieren Sie doch einfach unseren Beitrag, wenn er Ihnen nicht zusagt.
Vielen Dank für Ihr Veständnis!
Lieber Gruß
Susanne Frisch
Worauf die Rassismuskeule mit voller Wucht zuschlug:
Sehr geehrte Frau Frisch,
ich wollte mit meiner Nachricht meinen Unwillen über diesen Artikel ausdrücken. Dass sie ihn nicht entfernen werden, war mir klar.
Ich halte ihn im Tenor für diskriminierend. Für mich ist dieser Artikel pseudopsychologisch und versucht auf unseriöse Weise "Meinungsmache" zu betreiben im Stil von "ich bin kein Rassist, aber ...".
Ich bin selbst (...)* Psychotherapeutin und betreue (...) traumatisierte Kinder ehrenamtlich. Ich bin stolz auf den aktuellen Kurs unserer Kanzlerin. Ich empfehle Ihnen und Ihrem Autor mal einen Nachmittag ehrenamtlich mit Flüchtlingskindern zu verbringen.
Bitte leiten Sie meine Nachricht an Ihren Autor und die entsprechende Redaktion als Leserbrief weiter.
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Weil wir wissen, dass kein Mensch unfehlbar ist, haben wir natürlich den Artikel zusammen mit dem Chef vom Dienst und unserer Chefredakteurin noch einmal überprüft. An einem Sonntag. So ernst nehmen wir diese Dinge. Doch beim besten Willen konnten wir nichts entdecken, was man als problematisch werten könnte - selbst wenn man den Text mit bösem Vorsatz missverstehend lesen würde. Wir schrieben ihr also:
(...) Ihre Vorwürde eines diskriminierenden Tenors weisen wir nach eingehender Prüfung in aller Form zurück, da dieser weder intendiert war noch mit unseren internen Ansprüchen vereinbar wäre.
Unter dem Eindruck konkreten Leides, das Sie bei Ihrem ehrenamtlichen Einsatzes erleben, ändert sich gewiss die Wahrnehmung der Dinge (...).
Für Ihren sozialen Einsatz wünschen wir Ihnen viel Erfolg.
Freundlicher Gruß
Susanne Frisch
Es eskaliert!
Darauf explodierte die Leserin und verlangte unsere Leitungsebene persönlich zu sprechen. An einem Sonntag! Unsere Chefredakteurin spricht allerdings grundsätzlich nicht über Phantomprobleme, egal an welchem Wochentag, und so wird die Leserin mit ihrer Enttäuschung leben müssen. Gleichwohl stellt sich doch die Frage, was hierzulande gerade passiert?
Wohin soll das alles führen?
Unser Artikel war kein Hurra-endlich-kommen-viele-Flüchtlinge Beitrag - aber er war auch keineswegs das Gegenteil. Er bewegte sich in Marie Amrheins mittelheller Zwischenlage mit, poetisch gesprochen, einer starken Tendenz zum Licht.
Soll es so weitergehen?
Darf in einer freiheitlichen Demokratrie dies schon ein Grund sein, die Löschung eines Artikels zu verlangen? Welches Selbstverständnis haben wir eigentlich von Freiheit und Offenheit, wenn man als studierter Mensch wie selbstverständlich die Zensur eines harmlosen und differenzierten Beitrags verlangt?
"Wir müssen nicht so tun, als gebe es kein Problem", schreibt Marie Amrhein. "Aber was ist mit all den geflüsterten Ängsten", fährt sie fort. "Ich kann es hören, beim Bäcker, am Kaffeetisch, in der Schlange vorm Bankautomaten". In der Tat: Was ist mit den Ängsten der Menschen? Kann man, darf man diese ignorieren? Oder sind wir schon so weit, dass jeder, der nicht das Parteiprogramm der Grünen als Antwort auf alle Fragen heranzieht, ein Rechter ist?
Man muss die Menschen ernst nehmen!
"Aber versuchen wir auch, die Ängste derer ernst zu nehmen, die hier sind, damit wir sie in der Debatte nicht verlieren. Sprechen wir darüber, dass eine Million Menschen aus anderen Kulturen positive Veränderungen aber auch Spannungen in unserem Land mit sich bringen werden", heißt es im Cicero-Beitrag weiter.
"Wir müssen nicht so tun, als gebe es kein Problem. Wir müssen nur endlich aufhören zu denken, wir seien etwas Besseres. Sowohl im dunklen als auch im hellen Deutschland."
Was Sorgen macht!
Was bei dieser Angelegenheit mit der etwas arg überempfindlichen Leserin Sorgen macht, ist weniger ihr gestörtes Verhältnis zur Pressefreiheit. Es ist die Tatsache, dass sie behauptet, in der Flüchtlingshilfe aktiv zu sein.
Welchen Eindruck sollen diese Menschen, die in die Freiheit fliehen, eigentlich von Deutschland bekommen? Dass man hierzulande die Löschung von Artikeln verlangen kann, weil sie einem nicht gefallen? Es kann einem Angst und Bange werden, wenn man sich vorstellt, dass Menschen mit dieser Geisteshaltung der erste Eindruck von Deutschland sind, den die armen Flüchtlinge bekommen.
In der Spur bleiben!
Wie geht man als verantwortungsbewusster Journalist mit dieser aufgeheizten Atmosphäre um? Wohl am besten, indem man Kurs hält. Freiheit, Gerechtigkeit, Offenheit und Solidarität entstehen nicht mittels lautem Brüllen oder durch das Nachplappern von weichgespülten Phrasen - sondern durch den sorgsamen Umgang mit den Fakten und einen inneren Wertekompass, der sich nicht mit dem Wind dreht.
*Kürzungen und Auslassungen in den Originalzitaten zum Schutz der Identität der reklamierenden Leserin.
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