«Vergessen gehört zur Psychohygiene»

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Interview: Reto Knobel.

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Früher waren es nur die Prominenten, denen ein Recht zugeschrieben wurde, ihr Leben öffentlich zu machen. Nun macht Facebook die Chronik obligatorisch – welche Folgen hat es, wenn Menschen ihren ganzen Alltag im Netz spiegeln?

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Stellte die Timeline im September 2011 vor: Facebook-Chef Mark Zuckerberg. In der auch Chronik genannten Profilansicht werden alle Informationen angezeigt, die man je bei Facebook eingestellt hat.


Der Medienpsychologe Daniel Süss ist Professor für Angewandte Psychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Artikel zum Thema

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Stichworte

  • Facebook 

  • Datenschutz 

  • Soziale Netzwerke 

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Facebook könnte bald 1 Milliarde Menschen umfassen. Woher kommt dieser Drang zum Exhibitionistischen, Daniel Süss?

Als soziale Spezies sind wir an der Aufmerksamkeit und Wertschätzung durch andere sehr stark interessiert. Wer keine Beachtung findet, ist in seinem Selbstwert stark gefährdet. Deshalb wird es positiv erlebt, wenn man sich öffentlich darstellen kann und darauf positive Kommentare erhält. Extravertierte Menschen pflegen das ausführlicher als introvertierte, aber für alle ist es bedeutsam. Hinzu kommt ein massenpsychologischer Effekt: Wenn sich alle offenherzig inszenieren, dann führt das zu einem enthemmenden Effekt.

Mit der Facebook-Chronik wird nun das gesamte Leben abgebildet – ist das revolutionär in der Mediengeschichte?

Revolutionär ist, dass diese Möglichkeit allen Menschen offensteht. Früher waren es nur die Prominenten, denen ein Recht (aber auch die Pflicht) zugeschrieben wurde, ihr Leben öffentlich zu machen. Man druckte oder verfilmte die Memoiren einer politisch oder kulturell herausragenden Persönlichkeit.

Mit der obligatorischen Timeline werden quasi die letzten Lücken im Internet geschlossen. Was bedeutet dies für die menschliche Psyche?

Die Timeline kann zum Druck führen, möglichst alles festzuhalten. Denn ein selektives Protokoll des Lebens würde einen verzerrten Eindruck vermitteln oder Misstrauen wecken. Wir interpretieren ja nicht nur das Offenkundige, sondern auch das Unausgesprochene. Wenn jemand zum Beispiel in einem Lebenslauf bei einer Bewerbung eine Lücke aufweist, werden wir hellhörig und fragen uns, ob da etwas verborgen werden soll.

Für die «Zeit» wird mit der Timeline die «Utopie zur Realität».

Wenn Menschen tatsächlich ihren ganzen Alltag im Netz spiegeln, dann heisst das, dass sie permanent im Modus der Inszenierung, des Impression-Managements handeln – Menschen fragen sich schon bei der Handlung, wie sie das am besten dokumentieren können oder unternehmen vielleicht sogar Dinge nur deshalb, weil sie sich besonders gut für die Abbildung eignen. Dieses Phänomen kennt man bisher aus mediengerecht inszenierten Ereignissen von Unternehmen oder aus der Politik. Dieser Modus könnte dann auch auf den Alltag des Einzelnen übergreifen. Das wäre eine neue Realität.

Erst kürzlich hat die EU-Kommission das «Recht auf Vergessen» propagiert. Befürworten Sie das?

Ja, das Vergessen ist ganz wichtig. Es gehört zur Psychohygiene, dass man vergangene Zeiten in der Erinnerung etwas schönfärben oder gewisse Fehltritte und Krisen vergessen kann. Dadurch kann man sich mit Vergangenem versöhnen und Neuanfänge wagen. Der Mensch wandelt sich im Lauf seiner Biografie. Wenn alles protokollarisch festgehalten bleibt, dann besteht die Gefahr, dass man selbst, aber vor allem auch andere solche Wandlungen weniger wahrnehmen und die Biografie als strenge Addition von Einzelfakten missverstehen. Unsere Biografie entsteht aber immer wieder neu. Die Bedeutung von Ereignissen wandelt sich ständig im Lichte neuer Erlebnisse und Erkenntnisse. So gesehen erfinden wir uns ständig neu.

Es wird niemand gezwungen, bei Facebook mitzumachen. Aber ohne Facebook geht heute nichts mehr – man ist ein Aussenseiter.

Das gilt vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene. Eine Kommunikationsplattform im Netz ist vital für die Vernetzung mit Gleichaltrigen. Aber es muss nicht Facebook sein. Und auch bei den Jugendlichen sind 30 Prozent eher mässige User der digitalen Medien und vernetzen sich lieber in direkten Begegnungen.

Viele lehnen die Facebook-Chronik ab, wollen aber trotzdem auf Facebook bleiben – was raten Sie Nutzern?
Schauen Sie sich ihr gesamtes Profil nochmals sorgfältig an und löschen Sie alle Texte und Bilder, bei denen sie ein ungutes Gefühl hätten, falls es Personen sehen würden, die ihnen nicht wohlgesonnen sind. Halten Sie sich zurück mit Einträgen, wenn Sie gerade hochemotionalisiert sind, also entweder euphorisch gestimmt, frisch verliebt, völlig verärgert oder tieftraurig sind. Dann ist ein Papiertagebuch als Ort des Sich-Ausagierens oder ein direktes Gespräch mit Freunden viel hilfreicher und sicherer.

(baz.ch/Newsnet)

Erstellt: 31.01.2012, 12:31 Uhr


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