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Verantwortungslose Experimente

Forscher haben hochgefährliche Vogelgrippeviren hergestellt und die Resultate ihrer Forschung nun veröffentlicht. Die Experimente hätten nie gemacht werden dürfen.

Im Labor ermöglichen die Forscher Entwicklungen, die unter normalen Umständen niemals stattfinden würden.

Im Labor ermöglichen die Forscher Entwicklungen, die unter normalen Umständen niemals stattfinden würden.

Bild: AFP

Der Virengenetiker ist Dekan der School of Life Sciences der ETH Lausanne. Sein Beitrag erschien im Forschungsmagazin «Horizonte» des Nationalfonds: Didier Trono.

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Zwei Labors, ein europäisches und ein amerikanisches, haben neue Variationen des Vogelgrippevirus H5N1 entwickelt, das von Säugetieren übertragen wird. Die Entwicklung der möglicherweise pandemischen Erreger – laut den Beteiligten «wahrscheinlich die gefährlichsten Viren, die hergestellt werden können» – hat eine wichtige Diskussion ausgelöst, die mit der aktuellen Veröffentlichung im Fachblatt «Science» nicht abgeschlossen ist.

Einige Forschende weisen darauf hin, dass die wissenschaftliche Unabhängigkeit unantastbar sei und dass solche Versuche nützliche Erkenntnisse liefern könnten. Die Gegner bedauern, dass die Labors wenig Weitsicht gezeigt hätten und offenbar keine Mechanismen vorhanden sind, mit denen man solche Versuche verhindern könnte. Ich teile die Ansicht, dass diese Experimente nie hätten durchgeführt werden dürfen.

Zu ihrer Rechtfertigung führen sie an, dass die vorgängige Kenntnis eines gefährlichen Mutanten seine Früherkennung erlaube, dass man dadurch Impfstoffe und bessere antivirale Mittel entwickeln könne und dass sich ein solcher Mutant früher oder später auch in der Natur entwickelt hätte.

Alle diese Punkte sind widerlegbar.

Früherkennung nicht möglich

  • Erstens: Es gibt keine globale Strategie zur Überwachung von Grippeviren, nicht einmal für gängige Virenstämme. Eine Früherkennung ist deshalb gar nicht möglich. Zudem kann man nicht davon ausgehen, dass hochansteckende H5N1-Mutanten dieselben Gen-Sequenzen aufweisen würden wie die im Labor entwickelten Viren.
  • Zweitens: Der Schlüssel zu einem guten Impfstoff liegt in der Identifikation von massgeblichen Antigenen des Virus und nicht in der Kenntnis der krankmachenden Eigenschaften.
  • Drittens: Breit einsetzbare antivirale Mittel zielen auf gemeinsame zentrale Funktionen der Viren und nicht auf Eigenheiten einzelner Virenstämme.
  • Viertens: Seit mehr als 15 Jahren hat sich das H5N1-Virus milliardenfach in Vögeln vermehrt. Millionenfach sind dabei alle lebensfähigen Kombinationen von Mutationen entstanden. Wieso ist nie ein Mutant mit den Eigenschaften des künstlich erzeugten Virus aufgetaucht? Die gleichzeitige Einführung verschiedener Mutationen mit gentechnischen Methoden ist etwas anderes als die schrittweise Anhäufung von spontanen Gen-Änderungen, die in gewissen Kombinationen das Überleben des Virus verunmöglichen. Indem die Forschenden im Labor ein unnatürliches Umfeld schufen – nicht einmal in den Fabeln des griechischen Dichters Aesop sniffen Frettchen grössere Mengen von Hühnersekreten –, ermöglichten sie Entwicklungen, die unter normalen Umständen niemals stattfinden würden.

Die Befürworter führen zudem auf, dass die Ergebnisse und deren Verbreitung nicht zu einem erhöhten Risiko von Bioterrorismus beitrügen, da die Virusstämme nur in hoch spezialisierten Labors herangezüchtet werden konnten. Solche Labors sind aber nicht immer sicher, wie die Anthrax-Briefanschläge von 2001 zeigten, die ein Angestellter eines führenden Forschungszentrums ausgeübt hatte. Zudem ist es in der Vergangenheit immer wieder zu unbeabsichtigten Freisetzungen von Viren gekommen. Und wie gross wird das Risiko in 20 Jahren sein, wenn die molekulare Herstellung von Viren dank einfachen Laienbausätzen und Erbgut-Synthese-Firmen trivial sein wird?

Auch wenn die neuen Virusstämme deutlich weniger tödlich sind als anfänglich angenommen, müssen nun die Forschungsgemeinschaft, die Förderorganisationen und die Aufsichtsbehörden weltweit entschlossen reagieren. Beim nächsten Vorhaben, das einen die Menschheit gefährdenden Krankheitserreger herstellen will, müssen die Alarmglocken läuten. Dass die Diskussion erst beginnt, nachdem die Beschreibungen der Erfolge zur Publikation eingereicht worden sind, zeugt von einer bedenklichen Unreife im Umgang mit dieser Art von Forschung.
(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 23.06.2012, 10:37 Uhr


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