Über Horrorfilmmusik (1)

»Zwar spielen die Filme hin und wieder auf konkretere politische Umstände an, doch das Besondere des Horrorfilms der 1970er Jahre ist darin zu sehen, daß er die von Gewaltandrohung geprägte psychische Beschaffenheit westlicher Menschen ins Surreale übersetzte. Die kulturell, politisch und gesellschaftlich geschaffenen Ängste schlugen sich in Form von filmischen Alpträumen nieder. Die Filme griffen politisch verursachte Grundbefindlichkeiten auf, indem sie sie metaphorisch in Szene setzten, und zwar so, daß in gewisser Weise Politik in Psychologie transformiert wurde. Die Filme thematisieren weniger die komplexen politischen Inhalte selbst, sondern bilden emotionale Reaktionen auf politische und gesellschaftliche Zustände und Ereignisse in der filmischen Atmosphäre ab.« (Frank Hentschel)

In seiner herausragenden Studie »Töne der Angst« verortet Frank Hentschel die klassische Ära des Horrorfilms in den 70er Jahren, als das Filmgenre den Schrecken nicht mehr in der Fremde, sondern im gewohnten Eigenen suchte und fand. In Filmen wie »The last House on the left«, »The Exorcist«, »The Shining« und »The Texas Chainsaw Massacre« braucht es keine Grafen mit extravaganten Manieren und Ernährungsgespflogenheiten in abgelegenen karpatischen Schlössern vor 200 Jahren mehr, welche die bald ausgeweideten Gäste bei Kerzenschein zu düsterer Orgelmusik begrüßen, sondern der Horror findet in der unmittelbaren gesellschaftlichen Realität und Gegenwart der USA statt.

Der Vietnamkrieg, die Morde an John F. Kennedy und Martin Luther King, die Rassenunruhen, die Wirtschaftskrise, das Auseinanderbrechen der traditionellen Familienstrukturen etc.– allesamt Zeichen einer politischen und sozialen Gärung, die den amerikanischen Traum doch recht naiv und altbacken aussehen ließ – hatten die gesellschaftlichen und kulturellen Koordinaten in den USA so weit verschoben, daß man für den Horror keine imaginären Orte und keine Außenseiter mehr bemühen mußte. Es genügte, im Alltag die Augen nicht zu verschließen. Dieser Horror war kein metaphysischer, sondern ein gesellschaftlicher. Das Grauen war in der Mitte der USA angelangt.

Die Meisterleistungen des Genres können sich, was Kunstfertigkeit, artistische Subtilität und gesellschaftliche Aussagefähigkeit anbelangt, durchaus an den Werken der klassischen Literatur messen lassen: Die gesellschaftlichen Widersprüche werden nicht mehr auf eine überwiegend moralische Weise so abgebildet, daß sich die Protagonisten nach einer kurzen Zeit der Prüfung nur auf die (liberal-christlichen) Grundwerte der USA besinnen müssen, um ihre Geschicke wieder in eine positive und selbstbestimmte Richtung lenken zu können. Im Gegenteil: In diesen Filmen wird eine derart negative Interpretation der von Konkurrenzverhältnissen und Brutalität durchdrungenen Realität gegeben, daß sie den amerikanischen Traum selbst zum Teil des Problems erklären. Dabei werden dem Publikum keine erbaulichen Lösungen und Handlungsvorschläge mehr unterbreitet, der Zuschauer wird desillusioniert und allein gelassen. Er selbst muß Wege aus dem gesellschaftlichen Dilemma finden. Die Katharsis fängt an, sobald der Film aufhört. Die künstlerische Verfahrensweise dieser Art von Horrorfilm weist nun so große Strukturähnlichkeiten mit der Neuen Musik auf, daß sich diese Form von Entfremdungskunst in hohem Maße für die Verwendung als Filmmusik eignete und zum klassischen Medium dafür wurde.

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