Tierische Forschungspartner

Wissenschaft

Rund drei Millionen Tiere lassen jedes Jahr in Deutschland für die Forschung ihr Leben. Es geht aber auch anders.

Von Andreas Hummel, dpa

Wolfgang Miltner vom Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität in Jena mit Vogelspinne Karla: Das Tier ist ein idealer Partner, um Phobien beim Menschen zu erforschen. Foto: dpa

Jena.Karla räkelt kurz ihr behaartes Bein, sitzt ansonsten aber ganz still auf der Hand. Seit mehr als 20 Jahren lebt die etwa handtellergroße Vogelspinne an der Universität Jena und stellt ihr Leben in den Dienst der Wissenschaft. Der Grund ist für das Tier allerdings wenig schmeichelhaft. Denn Karlas Anblick löst bei vielen Menschen Angst bis hin zu Panikattacken aus. Das macht sie für den Psychologen Wolfgang Miltner zu einem idealen Partner, um Phobien beim Menschen zu erforschen – und wie sie therapiert werden können.

Tiere in der Forschung – das heißt längst nicht nur medizinische Versuche an Mäusen, Ratten und Kaninchen. Auch wenn dafür jedes Jahr in Deutschland rund drei Millionen Wirbeltiere ihr Leben lassen – auch für wissenschaftliche Tests in Jena. Dort helfen Vierbeiner den Forschern aber auch auf ganz andere Art und Weise zu neuen Erkenntnissen – ohne dabei Schaden zu nehmen.

Tiere helfen bei Analyse von Phobien

Bei Karla ist unklar, ob sie überhaupt ein Weibchen ist. Das spielt für die Forscher auch keine Rolle. Sie interessieren sich dafür, was bei ihrem Anblick im Gehirn eines Menschen vorgeht. Dafür sind laut Miltner Spinnen- und Schlangenphobien besonders geeignet, weil sie anders als etwa Sozialangst kaum mit anderen Störungen wie Depressivität einhergingen.

„Das Gute ist: Sie ist ungeheuer träge“, erklärt der Wissenschaftler. „Anders als eine Springspinne.“ Und sie sei völlig ungefährlich. Zunächst hatte Miltner auch mit einer Schlange gearbeitet, „eine wunderschöne brasilianische Natter“, schwärmt er noch heute. Sie sei aber weit über einen Meter groß geworden und ihre Haltung im Institut schwieriger gewesen als die einer Spinne. Auch des Futters wegen.

Miltner kramt auf seinem Computer Abbildungen des Gehirns sowie Grafiken hervor. „Hier sieht man gewaltige Unterschiede zwischen Tierphobikern und Nicht-Phobikern schon bei der Betrachtung eines Bildes“, erklärt er. Nicht nur, dass das Herz schneller schlägt und sich der Hautwiderstand ändert. Das Gehirn insgesamt reagiert über.

Auch der Zoologe Martin Fischer forscht mit Tieren, die manchem Angst einjagen. Bekannt sind sie aber eher als treuer Freund und Begleiter. Er schickt Hunde aufs Laufband, um mit Hochgeschwindigkeitskameras und Röntgenvideos ihre Fortbewegung zu entschlüsseln.

Über 400 Hunde wurden untersucht

„In den vergangenen zehn Jahren haben wir fast 400 Hunde untersucht“, erzählt Fischer. Und es kommen weitere dazu – bald fünf belgische Schäferhunde von Sachsens Polizei. Aus den Untersuchungen ist ein Grundlagenwerk über die Fortbewegung von Rex, Waldi Co entstanden.

Bei Vergleichen verschiedener Rassen etwa hat der Zoologe entdeckt, dass sich die Bewegungsabläufe extrem ähneln – egal ob Chihuahua oder Dogge. Und die Forscher gehen immer neuen Fragen nach sowie weiter ins Detail. So berechnen sie aus den Bewegungsabläufen und der von den Tieren aufgewendeten Kraft die Drehmomente in Gelenken. Oder untersuchen an diversen Rassen den Einfluss der Beinstellung.

Fischer legt Wert darauf, dass es um Grundlagenforschung geht – auch wenn die Ergebnisse bei Tierärzten und Züchtern auf großes Interesse stoßen. So sind sie etwa für Veterinäre interessant, um Lahmheiten beim Hund besser zu verstehen und zu therapieren.

An Fischers Institut wird aber nicht nur mit Hunden gearbeitet. Vor etlichen Jahren wurde Faultier Mats über die Uni hinaus bekannt, weil es sich vor der Kamera partout nicht animieren ließ. Das Faultier war zu faul für die Forschung und wurde an einen Zoo abgegeben.

Anders als Karla leben die Hunde nicht an der Uni. Probleme, genügend Tiere zu finden, habe es nie gegeben, betont Fischer. Manche Herrchen reisen sogar von weit her an. Nur sein eigener Hund hat auf dem Laufband gestreikt - und sich einfach hingesetzt statt zu laufen. „Er hat gespürt, dass ich anders laufe als sonst“, erinnert sich Fischer schmunzelnd. „Mein eigener Hund liest jede Bewegung, jede Unsicherheit. Mit dem eigenen Hund kann man nie Studien machen.“

Konfrontation ist notwendig

Auch Miltner bekommt Anfragen weit über Thüringen hinaus – allerdings nicht von Spinnenbesitzern, sondern von Menschen, die selbst an einer Spinnenphobie leiden. „Insgesamt glaubt man, dass 12 bis 14 Prozent aller Menschen zumindest eine leichte Furcht vor Spinnen haben.“ Um eine richtige Phobie zu überwinden, reichten Gespräche allein nicht aus: Die Betroffenen müssten direkt konfrontiert werden.

Bei der Therapie kommt Karla ins Spiel. „Ziel ist, dass die Person danach unsere Karla 20 bis 25 Minuten von einer Hand auf die andere wandern lässt und zehn in einem völlig leeren Raum ausgesetzte Hausspinnen einfängt.“

Ist die Furcht besiegt, spiegelt sich das dann auch an den Körperreaktionen und im Gehirn wider. „Die Herzrate normalisiert sich nach der Therapie und die hirnelektrische Antwort wird besser, geht aber nicht ganz weg“, erläutert der Psychologe. „Für jemand, der 20 Jahre an einer Spinnenphobie litt, bleibt die Spinne auch nach der Therapie ein außergewöhnlicher Reiz.“ Die Überreaktion des Angstzentrums (Amygdala) im Gehirn wird nun von anderen Hirnteilen kontrolliert.

Karla selbst beeindruckt das alles wenig. Sie hockt wieder in ihrem Terrarium im Nachbarraum. Die Spinne ist fast so lange am Institut wie Miltner selbst. Und was passiert, wenn er irgendwann emeritiert? „Karla wird dann wahrscheinlich in eine Tierhandlung abgegeben wie damals auch schon unsere Schlange“, sagt der Professor. Mit nach Hause zu seiner Katze nehmen will er sie nicht.

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