Studie der LMU – Früh eingeschulte Kinder erhalten häufiger ADHS-Diagnose

München

Früh eingeschulte Kinder erhalten häufiger eine ADHS-Diagnose als ihre älteren Mitschüler. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag veröffentlichte Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Danach wurde bei Kindern, die mit fünf Jahren oder kurz nach ihrem sechsten Geburtstag eingeschult wurden, in 5,3 Prozent der Fälle das „Zappelphilipp-Syndrom“ diagnostiziert. Unter den knapp ein Jahr älteren Kindern waren dies nur 4,3 Prozent. Zugleich bekommen die jüngeren Kinder auch häufiger Medikamente gegen die sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung - kurz ADHS.

Die Ergebnisse der Studie decken sich demnach mit Untersuchungen in anderen Ländern. Die Forscher vermuten, dass das Verhalten jüngerer und damit oft unreiferer Kinder in einer Klasse mit dem der älteren Kinder verglichen wird. Bei Jüngeren sei die Impulsivität, Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit oft ausgeprägter.

Problem Stichtagsregelung

Dieses Verhalten werde möglicherweise als ADHS interpretiert, was die Wahrscheinlichkeit einer Diagnose erhöhe. Bei größeren Klassen und einem höheren Anteil ausländischer Schüler und damit schwierigeren Unterrichtsbedingungen fallen aktivere Kinder wahrscheinlich noch stärker auf, erklärte Mitautor Jörg Bätzing-Feigenbaum.

Die Experten machen die Einschulungspolitik und die Stichtagsregelung dafür mitverantwortlich. Der Stichtag regelt den Beginn der Schulpflicht. Kinder, die bis zu diesem Termin sechs Jahre alt werden, werden nach den Sommerferien desselben Jahres eingeschult. Bis zum Jahr 2003 war der 30. Juni in allen Bundesländern der Stichtag. Danach wurde er in acht Ländern nach hinten verschoben. In Thüringen liegt er heute auf dem 1. August, in Rheinland-Pfalz auf dem 31. August. In Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ist der 30. September Stichtag, in Berlin sogar erst der 31. Dezember.

Mehr als halbe Million Kinder betroffen

Die Studie zeige, „dass die traditionelle Einschulungspolitik, bei der die Schulpflicht an gegebene Stichtage geknüpft wird, die Diagnosehäufigkeit psychischer Erkrankungen bei Kindern beeinflussen kann“, heißt es in der Untersuchung, für die die Experten kassenübergreifende Daten von sieben Millionen Kindern zwischen vier und 14 Jahren aus den Jahren 2008 bis 2011 analysiert haben.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ist die häufigste psychische Störung bei Kindern und Jugendlichen und kann bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. Schätzungen zufolge sind 500.000 bis 600.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland betroffen, Jungen dabei drei- bis viermal so häufig wie Mädchen.

Zu schnelle Verordnung von Medikamenten

Kinder mit ADHS zeigen weniger Ausdauer, sind leicht ablenkbar und haben einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Sie neigen zudem zu impulsivem und unüberlegtem Verhalten und sind emotional instabil. Seit den 1990er Jahren waren die Verordnungen von Arzneimitteln gegen ADHS steil nach oben gegangen.

Experten machen dafür verbesserte Diagnosemöglichkeiten und eine früher einsetzende Therapie im Kindesalter verantwortlich, kritisieren aber auch eine teils zu schnelle und zu häufige Verordnung von Medikamenten. In Deutschland gab es zuletzt Anzeichen für eine mögliche Trendwende. Der Verbrauch von Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, war im Jahr 2013 hierzulande erstmals leicht gesunken. (afp)

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