Start-up macht psychologische Beratung zu Online-Geschäft

Ein Grazer Unternehmen will Beratung per Chat salonfähig machen. Bei Psychologen erntet die Onlinekonkurrenz auch Kritik

Graz/Wien – Burnout, Sucht, Depression, Beziehungsprobleme: Psychische Probleme sind ein weitverbreitetes Phänomen, doch nur die wenigsten Betroffenen nehmen professionelle Hilfe in Anspruch. Oft sind die Hemmschwelle und die Angst vor Stigmatisierung zu hoch, bestehende Angebote zu teuer. Einen niederschwelligen Zugang zu psychologischer Beratung will deshalb ein Grazer Start-up namens Instahelp bieten. Außergewöhnlich an dem Angebot ist, dass die Beratung rein online erfolgt – chatbasiert mittels App für Computer, Smartphone und Tablet. Die Betreiber werben für das in Österreich neuartige Angebot damit, es sei nicht nur anonym und vertraulich, sondern jederzeit ohne Wartezeiten verfügbar.

Ratsuchende senden über die Onlineplattform eine Anfrage und erhalten innerhalb von zwei Minuten Rückmeldung von einem sogenannten Coach. Dieser schlägt auf Basis des kostenlosen Eingangsgesprächs je nach Problemlage einen spezialisierten Psychologen vor. Dieser führt dann die eigentliche Chatberatung durch. Dauer und Intensität machen sich Kunde und Psychologe eigenständig aus.

Junges Psychologenteam

Obwohl sich auf der Liste der Ansprechpartner auf der Instahelp-Website vorwiegend junge Gesichter finden, wird auf Qualitätskriterien auch über die gesetzlichen Grundlagen hinaus Wert gelegt, versichert Geschäftsführer Martin Pansy. Ihm zufolge müssen die Psychologen entweder Erfahrung in der Onlineberatung oder eine spezielle Ausbildung dazu vorweisen – ganz abgesehen von den fachlichen Grundlagen.

Die sechs bisher angestellten Coaches haben das Psychologiestudium an der Wiener Sigmund-Freud-Privatuniversität (SFU) abgeschlossen und befinden sich in der darauf aufbauenden Fachausbildung zu klinischen Psychologen. Die Psychologen selbst hingegen arbeiten selbstständig auf Vertragsbasis. Auch sie sind SFU-Absolventen, aber im Gegensatz zu den Coaches bereits mit ihrer praktischen Ausbildung fertig. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2014 müssen angehende Psychologen 2.000 Praxisstunden vorweisen, was ein bis zwei Pflichtpraxisjahren entspricht – vergleichbar mit dem Turnus bei Medizinern.

Seriöser Anspruch

Gesichert soll die versprochene Qualität unter anderem mit sogenannten Blindanfragen werden: Die SFU-Psychologen, die für die wissenschaftliche Begleitung verantwortlich zeichnen, überprüfen als anonyme Tester, ob die Beratung den Standards entspricht. Überwacht werden soll die Qualitätssicherung außerdem von einem dreiköpfigen Beirat, dem unter anderen Kurt Langbein angehört. Der langjährige Journalist und Publizist in Sachen Gesundheitsthemen meint, es gebe bei Onlinegesundheitsdiensten viel Abzocke, genauso aber im analogen Bereich. Dem wolle man etwas entgegensetzen. Mit Transparenz sollen Bedenken gegenüber digitalen Beratungsleistungen entkräftet werden. "Vertrauen ist das wichtigste Kriterium – nur das entscheidet", so Langbein.

Rechtliches Korsett

Dabei unterliegt die Plattform der rechtlichen Einschränkung, sich auf vorbeugende Beratung zu beschränken. Offiziell darf online weder eine Diagnose gestellt noch therapiert werden – zumindest theoretisch. Denn die Grenzen sind fließend. Was noch Beratung ist und was schon Therapie, ist oft eine Frage der Interpretation. Jedenfalls versteht sich Instahelp nicht als Konkurrenz zu konventioneller psychologischer Behandlung, sondern als Ergänzung. Bei Anzeichen für die Notwendigkeit einer Behandlung werde man die Kunden an Psychiater oder niedergelassene Psychologen weitervermitteln, sagt Pansy. Das liege im Ermessen des Psychologen, der den Chat führt.

Gerhard Benetka, Leiter des Psychologieinstituts der SFU, sieht deutliche Vorteile in der chatbasierten Beratung: "Ein Face-to-face-Gespräch ist etwas Flüchtiges. Ein geschriebenes Wort ist quasi in Stein gemeißelt und kann jederzeit nachgelesen und weiterverwendet werden." Ein Befund, der in Fachkreisen nicht unumstritten ist. Eva Bänninger-Huber, Professorin für Klinische Psychologie an der Uni Innsbruck, sagt im Gespräch mit dem STANDARD: "Die persönliche Beziehung ist der wichtigste Faktor in der Psychotherapie. Das fällt online weg. Auch gibt es keine Rückmeldung, wie die Intervention wirkt." Die Instahelp-Anbieter würden suggerieren, dass sie Hilfe bei psychosomatischen Störungen leisten könnten. Jedoch: "Wenn man eine Veränderung bewirken will, braucht es mehr als nur Beratung."

Vorbild USA

Ernst Berger, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Universität Wien, ist wie Langbein Mitglied des Instahelp-Beirats. Er verweist auf internationale Vergleichswerte und evaluierte Projekte: "Onlineberatung ist ein wichtiges niederschwelliges Angebot für Hilfesuchende und in anderen Ländern bereits Standard." Ihre Wirksamkeit sei durch verschiedene Studien ausreichend belegt.

Tatsächlich gibt es in Deutschland und anderen europäischen Ländern, vor allem aber in den USA schon viele vergleichbare Plattformen. Dort sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, anders als in Österreich, relativ freizügig. Hierzulande sieht Geschäftsführer Pansy eine Nachfrage vor allem in der Gruppe der unter 40-Jährigen, die schnelle und unmittelbare Kommunikation gewohnt seien.

Zielgruppe Unternehmen

Das Angebot richtet sich aber auch an Unternehmen, vor allem im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung. Seit 2013 sind Betriebe verpflichtet, die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu evaluieren. In der Praxis halten sich die wenigsten daran. Der Bedarf an vorbeugenden Maßnahmen ist groß, wovon auch Instahelp profitieren könnte. Mehrwert für die Unternehmenskunden sei in erster Linie die Einfachheit, aber auch die Kostenersparnis, sagt Pansy. Er führt zusammen mit seinem Bruder Jürgen auch das Unternehmen hinter Instahelp: den Start-up-Entwickler Up to Eleven, an dem auch Toto Wolff und René Berger beteiligt sind.

Erster Großkunde ist Baxalta (früher Baxter Bioscience) mit seinen in Österreich 4.000 Mitarbeitern. "Wir wollen vor allem an große Unternehmen herantreten, die sind dem Thema gegenüber aufgeschlossener", sagt Pansy. Potenzielle Unternehmenskunden werden direkt angesprochen, Privatkunden vorwiegend über Onlinewerbung. Der Preis beginnt bei 19 Euro monatlich für eine maximal dreistündige Beratung.

Anbieter garantiert Datenschutz

Metadaten wie die Anzahl der Chatnachrichten zwischen Kunde und Psychologe kann Instahelp nach eigenen Angaben einsehen, nicht aber den Inhalt. Pansy verweist auf eine komplexe Verschlüsselungstechnik. Mit ihr könne auch ausgeschlossen werden, dass der Arbeitgeber die Nachrichten einsieht – auch wenn diese auf einem Firmencomputer verfasst werden.

Für Unternehmen soll es Jahrespakete geben, quasi einen laufenden Beitrag für die dauerhafte Bereitschaft der Psychologen. Mindestens tausend Kunden will Pansy so bis 2017 erreichen, danach wird evaluiert. Geht das Konzept auf, will man es auch international vertreiben. (Simon Moser, 21.12.2015)

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