Stadtplanung soll Gefühle von Radfahrern berücksichtigen

Ein Salzburger Forschungsteam untersucht die Empfindungen von Radfahrern mittels Sensoren am Körper, Smartphone-App und sozialen Netzwerken

Salzburg – Dunkle Unterführungen und enge Gassen, die Angst machen, viel befahrene Kreuzungen, die Stress verursachen, oder Parks und Grünflächen, die entspannen – viele Orte in Städten lösen gewisse Gefühle bei den Bewohnern aus. Ein Forscherteam vom interfakultären Fachbereich Geoinformatik Z_GIS an der Universität Salzburg und vom Geographischen Institut der Universität Heidelberg untersucht die Empfindungen von Stadtbewohnern an bestimmten Orten und will damit die Möglichkeit schaffen, die Gefühle von Bürgern künftig aktiv in die Stadtplanung einzubinden.

Im Zuge des Forschungsprojektes "Urban Emotions" unter der Leitung des Geoinformatikers Bernd Resch, der in Salzburg, Heidelberg und Boston (Harvard University) forscht und lehrt, wurde bereits in Kaiserslautern eine Feldstudie durchgeführt. Nun werden auch die Emotionen von Salzburgern gemessen.

Um die städtischen Gefühle auszuwerten, werden drei Datenquellen herangezogen: Sensoren am Körper von Testpersonen liefern die Informationen über das Empfinden, zusätzlich sollen subjektive Angaben in einer Smartphone-App die emotionalen Ausschläge erklären. Daneben werden Daten aus sozialen Netzwerken den Empfindungen gegenübergestellt, um die Testergebnisse zu überprüfen.

In einem ersten Schritt werden rund 70 Radfahrer mit einem Brustgurt und einem Armband ausgestattet, auf denen sich Physiologie-Sensoren befinden. Diese Sensoren messen 20 verschiedene Parameter wie Herzschlag, Hautleitfähigkeit, Herzschlagvariabilität, EKG, EEG oder Körpertemperatur, sagt Projektleiter Resch.

Wenn jemand gestresst ist oder sich fürchtet, zeige sich das in einem Ausschlag bei den Messergebnissen, die über GPS mit dem Standort der Testperson verknüpft werden. Wenn der Sensor einen signifikanten Ausschlag misst, meldet sich die "People as Sensors"-App am Smartphone und fragt die Testperson, was sie gefühlt hat und warum.

Diese Smartphone-App bietet den Probanden sechs verschiedene Basisemotionen zur Auswahl. Gleichzeitig werden die Intensität und der Kontext der Emotion abgefragt.

Gefühlskarte einer Stadt

Führt man die Messergebnisse der verschiedenen Probanden auf einem Stadtplan zusammen, entsteht eine Art Gefühlskarte, die anzeigt, an welchen Stellen hohe Gefühlsausschläge aufgezeichnet wurden. Die höchsten Stresswerte der Radfahrer wurden an Kreuzungen mit gefährlichen Abbiegevorgängen gemessen – das zeigen die roten Bereiche im Bild, gibt Resch ein Beispiel. Der blaue Bereich zeige ein geringeres Stressniveau der Probanden an, etwa auf Radwegen entlang von Flüssen. Geplant sei, die Untersuchung auch auf Fußgänger und Autofahrer auszuweiten.

Emotionen physiologisch zu messen sei kein einfaches Unterfangen, mit dem auch die Psychologie Probleme habe, sagt Resch. "Das Problem ist, dass Testpersonen, wenn sie befragt werden, nicht angeben, was sie fühlen, sondern, was sie glauben zu fühlen." Die Verbindung der objektiv gemessenen Körperdaten mit der persönlichen Bewertung der Gefühle über die App soll diese Hürde überwinden. Gleichzeitig fahren alle Testpersonen in den ersten 30 Minuten dieselbe Strecke ab, um die Daten zu normalisieren und den individuellen Bias zu zerstreuen.

Den Forschern geht es dabei nicht um die Gefühle einzelner Personen, sondern darum, die Stadt als System zu analysieren, sagt Resch. Wenn bei 48 von 50 Personen die Messergebnisse an derselben Kreuzung unabhängig voneinander ausschlagen, dann sei das etwa ein Indikator dafür, dass an dieser Kreuzung irgendetwas Stress auslöst. Solche Ergebnisse könnten künftig die Verkehrsplanung beeinflussen.

"Mit den Daten wollen wir beispielsweise das Sicherheitsempfinden erfassen. Ein Angstraum kann für einen Fußgänger eine Unterführung sein, für einen Radfahrer eine enge oder stark befahrene Straße. Kennen wir die Angsträume, kann dieses Wissen in die Stadtplanung mit einbezogen werden", sagt Resch. Die Daten geben auch Aufschluss über Stress, der durch Lärm oder Hitze entsteht oder positive Empfindungen, die zum Beispiel durch Grünflächen in der Stadt ausgelöst werden.

Als dritte Datenquelle nutzen die Forscher öffentlich zugängliche Daten aus sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, Flickr oder Instagram, um die Semantik der Posts, die mit einer Stadt in Zusammenhang stehen, zu analysieren. Hierzu arbeiten die Wissenschafter in einem neuartigen Forschungsansatz mit der Computerlinguistik zusammen, sagt der Geoinformatiker. Aufgrund von zuvor manuell zugewiesenen Emotionen zu Posts in einem sogenannten "Goldstandard" solle das selbstlernende Computersystem dann Emotionen in Posts kontextbezogen selbst erkennen.

Worüber Leute reden

Mit dem neuen Forschungsansatz können die Daten semantisch, zeitlich und räumlich analysiert werden. "Das heißt, wir wissen, worüber die Leute reden, wann und wo. Das ist der Hauptfortschritt unserer Methode", sagt Resch. Diese Daten werden den Messergebnissen gegenübergestellt und sollen überprüfen, ob die per Sensor gemessenen Empfindungen der Stadtbewohner mit den subjektiven Einschätzungen in den sozialen Medien übereinstimmen.

Das Forschungsprojekt "Urban Emotions" ist eine Kooperation zwischen der Universität Salzburg, dem Geographischen Institut der Universität Heidelberg, der Technischen Universität Kaiserslautern und der Harvard University in Boston. Projektleiter Resch wurde dafür bereits mit dem Theodor-Körner-Preis ausgezeichnet. Er erhielt den Sonderpreis für "Wirtschaftsorientierte Soziale Innovation", der vom Verkehrsministerium gestiftet wird. (Stefanie Ruep, 22.7.2015)

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