Sport-Psychologe Christian Heiss über Burn-out im Spitzensport – handball

Wird der Druck im Profisport immer unausstehlicher? Es häufen sich die Burn Out-Fälle. In den vergangenen Wochen standen vor allem Fußball-Spieler, Trainer und Funktionäre im Mittelpunkt der Debatte um Burn Out und Depression. Auch der Handball muss und wird von dieser Problematik vermutlich nicht verschont bleiben - hinter vorgehaltener Hand wird bereits über erste Fälle diskutiert. Angesichts der "Terminhatz" vielen nicht nur physisch, sondern auch psychisch wichtige Pausen. Christian Heiss (33) betreut als Sport-Psychologe Einzelsportler und Nationalmannschaften unterschiedlicher Sportarten, unter anderem auch am Olympiastützpunkt Potsdam. Im Interview mit Amelie Herberg von Frank Schnellers Medienmannschaft erklärt er die Gründe für den plötzlichen Anstieg von Burn-Out-Fällen im Profisport.

Herr Heiss, bevor wir über die Problematik Burn Out bei Spitzensportlern und Trainern sprechen: Muss man angesichts des Suizid-Versuchs des Fußball-Referees Babak Rafati nicht auch die Frage stellen: Sind die Referees in dieser Diskussion bisher vergessen worden?

Christian Heiss:
Ich glaube, man hat diese Gruppe bisher stark vernachlässigt. Das ist umso schwerwiegender, da das Risiko für einen Burn Out steigt, wenn die eigene Leistung nicht adäquat belohnt wird. Das ist bei einem Schiedsrichter sportartübergreifend eigentlich oft der Fall. Ein Schiedsrichter erhält oft nur eine Aufwandsentschädigung und es gilt das Credo des schwäbischen Lobes: Nichts gesagt, ist genug gelobt. Außerdem gibt es wie bei den Spielern auch unter Schiedsrichtern einen großen Konkurrenzkampf. Zudem sind sie nur vereinzelt Profischiedsrichter und üben neben der Schiedsrichtertätigkeit einen ganz normalen Beruf aus. Sie sind daher hohen Anforderungen ausgesetzt und müssen stark durch ihre Tätigkeit, also die Rolle des Schiedsrichters an sich motiviert sein, um diesen hohen Anforderungen entsprechen zu können.

Ist es die Aufgabe der Dachverbände, die Schiedsrichter besser psychologisch zu betreuen?

Christian Heiss:
Die Rahmenbedingungen müssen auf jeden Fall stimmen und dafür ist der jeweilige Verband verantwortlich. Allerdings liegt der Schlüssel in einem sportpsychologischen Betreuungsprozess zumeist in der Einsicht des Betroffenen. Es gibt immer zwei Seiten. Der Dachverband sollte den Rahmen setzen, aber die Bereitschaft zur sportpsychologischen Betreuung muss auch vom Einzelnen ausgehen. Es ist wie im Fitnessstudio: Der Muskel wächst nicht, nur weil man sich dort angemeldet hat. Man muss auch hingehen und trainieren.

Warum taucht der Begriff Burn Out plötzlich so häufig im Spitzensport auf?

Christian Heiss:
Es wäre falsch, das Phänomen Burn Out nur auf den Spitzensport zu beziehen. In der medizinischen Forschung gibt es aktuell sechzig Berufsgruppen, bei denen Burn Out Symptome identifizierbar sind. Man kann also nicht sagen, dass Fußballer oder Trainer mehr betroffen sind als andere. Die Wahrnehmung wird im Moment einfach gezielt darauf gelenkt.

Warum gerade jetzt?

Christian Heiss:
Burn Out ist eine Art Modediagnose geworden. Es ist die gesellschaftlich angepasstere Diagnose im Vergleich zur Depression. Die Symptome sind ähnlich, daher ist es schwierig, die Störungsbilder voneinander zu trennen. Gesellschaftlich ist es eher konform, über Burn Out zu sprechen, nach dem Motto: Mensch, du bist auch dabei, willkommen im Club der Mehrleister! Das ist gerade im Spitzensport besonders gefährlich. Hier ist es oft ein Tabu, sich psychologische Unterstützung zu holen oder Schwäche zu zeigen. Da ist es angenehmer, eine gesellschaftlich akzeptierte Diagnose wie „Burn-out“ zu kommunizieren. Auch wenn Burn Out streng genommen keine Diagnose ist, es gibt dafür keine international anerkannte medizinische Klassifikation.

Warum erkranken Profisportler oder Trainer an einem Burn Out?

Christian Heiss:
Man muss unterscheiden zwischen Risikofaktoren innerhalb der Person und äußeren Risikofaktoren im Umfeld. Ein Risikofaktor innerhalb der Person kann zum Beispiel sein, wenn man viel zu hohe Erwartungen an sich selbst hat. Dadurch entsteht eine Diskrepanz zwischen dem, was ist, und dem was man eigentlich erreichen möchte. Zum anderen spielt aber auch der Druck von außen eine Rolle. Und dazu gilt: Das Umfeld im Spitzensport ist ein Leistungsumfeld und das wird auch so bleiben, das wird man nicht ändern können. Wer wirklich aus einer Burn-Out-Spirale aussteigen will, sollte daher seine eigene Haltung hinterfragen.

Werden Leistungssportler mit Burn Out anders behandelt als andere Patienten?

Christian Heiss:
Inhaltlich nein, ob Spitzensportler, Kassiererin oder Manager, die Behandlung folgt demselben Prinzip. Das ist ja der Mythos in der aktuellen Debatte: Der Fußball oder die Leistungsanforderungen des Spitzensports haben mich krank gemacht. Das stimmt nicht. Die eigene, oftmals unrealistische Bewertung dieser Anforderungen hat die Betroffenen krank gemacht und die Art und Weise, wie sie auf diese Anforderung reagieren, nämlich mit noch mehr Engagement und Leistung ohne entsprechende Energiezufuhr. Natürlich ist es im Sport schwieriger, sich zu öffnen, hier bedarf es daher eines besonders sensiblen Umgangs. Das Thema ‚Schwäche zeigen’ unterliegt im Spitzensport immer noch eine Tabuisierung.

Robert Enke hat sich 2009, aus Angst seine Depression könnte öffentlich werden, das Leben genommen. Was hat sich seitdem geändert, kommen mehr Sportler auf Sie zu und bitten um Hilfe?

Christian Heiss:
Ich finde, es hat sich wenig geändert. Es sind die erschreckend gleichen Mechanismen, die jetzt ablaufen. Nach Robert Enkes Tod wurden viele Reden gehalten, es müsse ein Ausweg gefunden werden. Trotzdem gibt es auch heute immer noch die Leistungsbewertungen in den Fachzeitschriften oder die zum Teil mangelhafte Integration von Spielern, die Vereine aus dem Ausland einkaufen. Von daher ist ein tiefgreifender Gesinnungswandel nicht erkennbar. Die Tabuisierung von Burn-out und Depression ist allerdings kein Spitzensport-Phänomen. Für einen führenden Manager ist die Barriere genauso groß. Wer sich ein Bein gebrochen hat, der ist für andere sichtbar und nachvollziehbar krank. Bei einer psychischen Erkrankung ist das viel schwieriger zu erkennen und dadurch auch zu akzeptieren.

Wie arbeiten die Vereine, gibt es psychologische Betreuung für die Spieler?

Christian Heiss:
Der Klassiker bei den Vereinen ist, dass in Krisensituationen ein Mentalcoach oder ein Sportpsychologe angerufen wird, der punktuell nur in dieser Krisensituation mit den Spielern arbeitet. Das andere Extrem ist, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist – dann wird direkt die klinische Psychologie bzw. die Psychatrie hinzugezogen. Die Vereine täten gut daran, verstärkt in eine nachhaltige sport-psychologische Betreuung zu investieren, anstatt primär Feuerwehrmaßnahmen durchzuführen. In der Bundesliga zählt nur in den seltensten Fällen ein Psychologe zum Funktionsteam. Vielfach dominiert aber immer noch das Phänomen: Wir haben da jemanden, der macht mit uns mal ab und zu ein bisschen Psychotraining.

Mit der Diagnose Burn Out oder Depression an die Öffentlichkeit zu gehen, ist das Eine. Danach an alte Stelle zurückzugehen, das Andere ...

Christian Heiss:
Eine Burn Out Erkrankung oder eine Depression sind psychotherapeutisch gut behandelbar. Natürlich kann eine einmal erkrankte Person nach erfolgreicher psychotherapeutischer Behandlung in ihr altes Umfeld zurückkehren. Was aber klar sein sollte: Das System Leistungssport wird sich nicht von Grund auf ändern, es funktioniert nach seinen Regeln. Daher muss man mit Hilfe der psychologischen Betreuung einen gesünderen Umgang mit den eigenen Erwartungen und Leistungsansprüchen finden. Wie das Umfeld im Profisport reagieren wird, ist es schwer vorherzusagen. Vermutlich wird es zunächst einen Kokon geben, alle werden sagen: „Schön, dass du wieder da bist!". Aber der Spitzensport funktioniert eben nach dem Leistungsprinzip. Hier gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen im Kader und auf der Trainerbank. dem Moment, wenn der Sportler wieder zum Konkurrenten wird, wird niemand zurückstecken.

Wie läuft eine Burn-out Therapie ab, wie kann man lernen, mit den Mechanismen des Profisports besser umzugehen?

Christian Heiss:
Ein wichtiger Schritt ist es, Ziele zu definieren: Wo will ich hin, was ist mir wichtig? Wenn Sportler nur einen Bereich haben, an dem sie ihre Identität und ihren Selbstwert festmachen, besteht ein Risiko. Wenn der Sportler sagt, ich bin nur etwas wert, wenn ich ein erfolgreicher Sportler bin, dann ist das ein deutlicher Risikofaktor für Burn Out oder gar für eine Erschöpfungsdepression. Ein Sportler sollte erkennen, dass er auch etwas wert ist, wenn er nicht die Nummer 1 im Tor ist und persönliche Qualitäten besitzt, die über die sportliche Leistung hinausreichen. Ein Punkt, der dabei von den Vereinen oft stark vernachlässigt wird, ist die Karriereentwicklung. Für Sportler ist es ein großer Schritt, den Profisport irgendwann verlassen zu müssen und eine sinnvolle Betätigung nach dem Spitzensport zu finden. Bis dahin haben sie zu den besten der Welt gezählt, plötzlich müssen sie neu anfangen. Das könnte auch teilweise erklären, weshalb ein Michael Schuhmacher mit gut 40 Jahren immer noch Formel 1 fährt.

Fehlt ihm einfach die Antwort auf die Frage: Was kommt nach dem Sport?

Christian Heiss:
Ich kann Michael Schuhmacher gut verstehen. Der sagt: Mir macht’s doch Spaß! Und das glaube ich ihm auch. Aber dafür zahlt er einen hohen Preis. Er muss mit der Kritik leben, muss sich ständig für seine Leistungen rechtfertigen. Es ist schwierig, sich einzugestehen: Ich habe in einem Bereich zur Weltspitze gehört, aber ob ich in einem anderen Bereich genauso erfolgreich sein werde? Das ist fraglich. Es liegt also nicht nur am Mangel an Alternativen, sondern auch daran, den eigenen Anspruch bewusst senken.

Wie sollten Klubs oder Spieler-Gewerkschaft auf Zeit nach der Karriere vorbereiten?

Christian Heiss:
Es müsste professionelle Ansprechpartner geben, an den Olympiastützpunkten übernehmen diese Aufgabe Laufbahnberater. Allerdings unterstützen Laufbahnberater vor allem beim ersten Schritt in die Berufsausbildung oder in die Uni. Viel schwieriger ist aber der Schritt danach ins Berufsleben. Da geht es dann auch um die Frage: Wie kann ich meine Fähigkeiten aus dem Sport sinnvoll und nachhaltig einsetzen?

Wenn Trainer 17-jährigen Spielern raten, die Schule abzubrechen und sich auf ihren Sport zu konzentrieren, ist das also eher kontraproduktiv ...

Christian Heiss:
Ich halte das für unakzeptabel. Natürlich stellt der Profisport besondere Anforderungen, die nicht immer gleichzeitig zu bewältigen sind. Es macht Sinn, auf eine gute Balance zu achten. Auch Dortmunds Fußballtoptalent Mario Götze hat nach dem 12. Schuljahr das Gymnasium verlassen. Vielleicht mit der Idee, einen klaren Fokus zu haben. Aber ich glaube, es gibt immer eine Form, um Spitzensport und Ausbildung unter einen Hut zu bringen. In Potsdam an den Spezialschulen Sport gibt es zum Beispiel Konzepte, bei der die Kaderathleten ein Jahr länger an der Schule sind, statt G 8 also G 10. Natürlich kann es sein, dass im – exemplarischen – Falle Mario Götze der Spieler das finanziell nicht bräuchte. Aber wer weiß, was während einer Karriere alles passiert, die kann schnell vorbei sein.

... zumal Handballprofis anders als ihre Fußballkollegen von den Einkünften während ihrer aktiven Zeit selten leben können. Herr Heiss, danke für dieses Interview und die sportartübergreifenden Erläuterungen und Denkanstöße.

Zusatzinfo: Was ist Burn Out?

"Burn Out" bedeutet übersetzt "Ausgebrannt sein" und äußert sich in Symptomen wie emotionaler Erschöpfung, Ermüdung oder dem sozialen Rückzug. „Ausgebrannt sein bedeutet dabei jedoch nicht, dass das Feuer schlagartig erlischt wie bei einem Streichholz. Es handelt sich vielmehr um einen schleichenden Prozess", sagt Sport-Psychologe Christian Heiss (33).

Unrealistische Erwartungen, Perfektionismus und eine starre Zielbindung („ich muss das unter allen Umständen schaffen“) sind häufige Risikofaktoren. Burn Out Symptome sind vermehrt Vorstufen zu einer psychotherapeutisch behandlungsbedürftigen Erschöpfungsdepression. Allerdings gibt es aktuell keine allgemein und international anerkannte Klassifikation von Burn Out, zum Beispiel durch die Weltgesundheitsorganisation.

Christian Heiss warnt vor der Gefahr, den Burn-out Prozess zu unterschätzen: "Viele machen den Fehler und sagen: Ich hab" Burn Out, ich brauche mal ein bisschen Erholung und Urlaub und vergessen dabei: Die eigenen oftmals unrealistisch hohen Ansprüche reisen mit in den Urlaub. Dies führt dazu, dass Betroffene nur unzureichend entspannen und abschalten können und sich im Urlaub weiterhin ineffektiv und wirkungslos fühlen. Bleibt das eigene Anspruchsdenken unreflektiert, kann der lang ersehnte Urlaub kontraproduktiv wirken und im ungünstigsten Fall den Burn-out Prozess verschlimmern.

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