Schwere macht Spaß

Warum spielen wir? Ist es die Lust am Sieg, die Freude daran, sich mit anderen zu messen, oder einfach die Möglichkeit, mit anderen Menschen Zeit zu verbringen, ohne sich allzu sehr mit der realen Welt auseinandersetzen zu müssen? Oder sind Spiele gar nur ein unterhaltsamer Weg, Zeit totzuschlagen?

Eine einfache Antwort auf diese Frage wird es nicht geben – aber das hält die moderne Psychologie nicht davon ab, sich mit solchen Fragen zu befassen. Konkret geht es in der Studie The Importance of Challenge for the Enjoyment of Intrinsically Motivated, Goal-Directed Activities des Istanbuler Psychologen Sami Abuhamdeh und seines kalifornischen Kollegen Mihaly Csikszentmihalyi (Psychology and Social Psychology Bulletin XX(X) 1–13) darum, wie die bei einer Aktivität gefühlte Herausforderung mit der Motivation zusammenhängt, diese auszuüben.

Hintergrund ist Csikszentmihalyis jahrzehntelange Erfahrung mit der Motivationsforschung: Der Psychologe hat dieses Gebiet entscheidend mitgeprägt: Von ihm stammt unter anderem der Begriff des „Flow“, jenes Geisteszustandes, den empfindet, wer seine aktuelle Tätigkeit besonders faszinierend findet. „Gespräche mit erfahrenen Bergsteigern, Schachspielern, Spitzensportlern und Künstlern deuteten darauf hin, dass einer der Schlüssel dazu, ihre Aktivitäten zu genießen, ein relativ hoher Herausforderungsgrad war – gerade noch nicht jenseits der sich von den Teilnehmern selbst zugeschriebenen Möglichkeiten“, schreiben Csikszentmihalyi und Abuhamdeh in der Einleitung ihrer Studie. Am meisten Spaß hätten anekdotisch jene Menschen gehabt, für die die Schwierigkeit „gerade richtig“ war: nicht zu schwer, aber doch so schwierig, dass sie zu bewältigen sei.

Von diesem Ausgangspunkt weg haben sich die Forscher darangemacht, die Theorie zu überprüfen, dass der Schwierigkeitsgrad einer Aktivität, der Anspruch, den sie an den Ausübenden stellt, direkt mit deren Motivation verbunden ist. Anders formuliert: Kann es für das anhaltende Vergnügen nützlich sein, sich etwas ein wenig schwerer zu machen? Gerade beispielsweise in Hinblick auf Videospiele, die unterschiedliche „Schwierigkeitsgrade“ anbieten, eine hochinteressante Frage.

Getestet haben die Autoren ihre Theorie in zwei Experimenten – beide „intrinsisch motivierte“ Aktivitäten, also Zeitvertreib, den man als Zweck an sich betreibt und nicht etwa, um zu lernen, Geld zu verdienen oder beruflichen Erfolg zu haben. Für die erste Konstellation haben sie 87 Freizeitschachspieler auf der Internetplattform „Caissa's Web“ rekrutiert, nach online gespielten Partien einen Fragebogen auszufüllen.

Die Probanden – allesamt Männer zwischen 23 und 75 Jahren – absolvierten in dem Studienzeitraum insgesamt 1430 Partien, also 16,4 Spiele pro Teilnehmer. Gefragt wurde danach jeweils, ob er das Spiel genossen hatte, wie „interessant“ es dem Probanden erschienen war, und wie gut er seine eigene Spielleistung einschätzte. Unabhängig von der Befragung ließen die Studienautoren die Partien von dem Schachprogramm Fritz 8 auswerten und gelangten so – nach dem Zug-um-Zug-Bauernequivalentpunktesystem anhand der Figurenlage – zu einer objektiven Bewertung der beiden Spieler samt ihrer relativen Stärke.

Das Ergebnis: Die von den Probanden angegebene Freude, die sie am Spiel hatten, hing nicht damit zusammen, ob sie gewonnen oder verloren hatten – sondern damit, ob sie sich ausreichend gefordert gefühlt hatten. Den meisten Spielspaß hatten sie in Partien gegen stärkere Gegner – obwohl sie diese naturgemäß häufiger verloren.

Das widerspricht vielen Ergebnissen bisheriger Experimente in Laborsituationen, die auch dem positiven Ausgang des Spiels – also dem Sieg – eine Bedeutung für die abschließende Zufriedenheitsbewertung zugemessen haben. In der aktuellen Studie ist davon aber nichts zu sehen: Niederlagen gegen objektiv stärkere Gegner machten den Probanden hier mehr Spaß als Siege gegen schlechtere Gegner – besser im Schachhimmel dienen als in der Hölle als Sieger dastehen, quasi.

Die Kurve der Zufriedenheitswerte der Probanden mit ihren Spielen (y-Achse) und dem Verhältnis der Spielstärken zueinander (x-Achse) sieht dabei wie ein auf den Kopf gestelltes U aus: Mit wachsender Herausforderung steigt auch der Spielspaß und bleibt dann mit stärker werdenden Gegnern auf beständig hohem Niveau. Erst ab einem bestimmten Zeitpunkt kippt das Konzept: Wenn der Gegner so stark ist, dass man als Spieler nur noch verzweifeln kann, ist auch der Spaß dahin: Zu hart darf die Herausforderung demnach auch nicht sei.

Ähnliche Ergebnisse traten ebenfalls in dem zweiten Experiment zutage: einer Langzeitstudie, in der mehr als 1000 Jugendliche seit 1992 in regelmäßigen Abständen (an die sie durch ein piepsendes Armband erinnert wurden) Angaben zu ihren Freizeitaktivitäten machten – und wie interessant und herausfordernd diese Tätigkeiten jeweils für sie waren.

Fernsehen braucht keine Challenge

Die Resultate dieser Auswertung sind differenzierter als unter den Schachspielern: Wieder bereiteten den Probanden jene Aktivitäten am meisten Freude, bei denen sie sich besonders herausgefordert sahen – aber nur dann, wenn es Aktivitäten waren, denen sie sich freiwillig widmeten. Waren sie dagegen mit Dingen beschäftigt, die sie aufgrund externer Motivation angingen – etwa mit schulischen Aktivitäten –, waren sie zufriedener, wenn der Anspruch an sie eher gering war.

Noch unter einem weiteren Kriterium war die Schwere der Herausforderung relevant für die mit der Aktivität verbundene Motivation: nämlich, wenn es ein klar definiertes Ziel gab. Bloßes Flanieren, Fernsehen oder andere Aktivitäten, die zu keinem messbaren Ergebnis führen, wurden im Schnitt als unerfreulicher eingestuft – unabhängig vom Anspruch des Programms.

Die Schlüsse, die Abuhamdeh und Csikszentmihalyi aus ihrer Studie ziehen, zeichnen ein relativ klares Bild, wann uns eine heftige Herausforderung motivieren kann: „Wer intrinsisch motiviert ist und ein klares Ziel vor Augen hat, der braucht vor allem eine Herausforderung“. Unter diesen Voraussetzungen brächten die Teilnehmer nicht „Entschlossenheit und Konzentration“ mit – sondern auch Vergnügen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2012)

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