„Schneckenhaus ist keine Lösung“

Die Terroranschläge von Paris machen vielen Menschen Angst. Das ist eine gesunde Reaktion. Aber entscheidend ist, wie wir mit der Angst umgehen. Dazu Fragen an Dr. Josef Leßmann, den Ärztlichen Direktor der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt.

Ist Angst nicht eigentlich hilfreich?

Josef Leßmann: Angst begleitet uns von der Wiege bis zur Bahre. Als Kleinkind haben wir (unbewusst) Angst, nicht genug Nahrung und Wärme zu bekommen. Als Erwachsene haben wir Angst vor dem Verlassen werden. Und dann gibt es bewusste Befürchtungen wie Prüfungsangst, Platzangst oder Angst vor Überfällen, Terroranschlägen etc. Diesen Phänomenen wohnt wie beim Stress vom Prinzip her durchaus Positives inne: Sie fordern uns heraus. Doch während manche Menschen aktiviert und angetrieben werden, lähmt Angst andere. Wenn Angst hilft, Herausforderungen kalkuliert anzunehmen, Risiken abzuschätzen und Lösungsstrategien zu entwickeln, dann bedeutet dies sowohl für das Individuum wie auch die Gesellschaft einen positiven Entwicklungsschritt.

Kann sich aus einer akuten Angst eine Störung entwickeln?

Ja, es können sich daraus „erlernte Hilflosigkeit“, eine länger anhaltende Panikstörung oder auch eine Depression entwickeln.

Wie sollte man mit Menschen umgehen, die generell ängstlich sind und sich nun kaum noch in die ­Öffentlichkeit trauen?

Aufklärung, Kommunikation und Risikominimierung sind in den meisten Fällen bereits hilfreich. Angesichts des bisherigen Mechanismus der Terroranschläge gilt es natürlich zu bedenken, dass größere Menschenansammlungen in städtischen Zentren ein erhöhtes Risiko darstellen. Das heißt aber nicht, dass man deshalb nicht mehr an Festivals oder Fußballspielen in Stadien teilnehmen sollte, lediglich die Wachsamkeit und die Risikokalkulation sollten erhöht werden. Menschen, die generell zur Ängstlichkeit neigen, sollten sich keineswegs nur zurückziehen, sondern für sich klären, welche Gruppen, Gemeinschaften und öffentlichen Ereignisse sie sich zutrauen und wo sie im Kreise von Angehörigen, Freunden, Bekannten oder Nachbarn eben auch positive Erfahrungen mit Öffentlichkeit und Gemeinschaft machen können. So kann Angst überwunden werden.

Sollte man sich ausführlich mit den Ereignissen beschäftigen oder sie im Gegenteil möglichst nicht an sich heranlassen?

Bewusste Auseinandersetzung ist wichtig. Vorhandene Risiken sollten nicht verleugnet oder nur verdrängt werden. Es wäre aber falsch, jetzt hinter jeder Ecke einen Terroristen zu vermuten. Vielmehr gilt es, dass wir uns innerlich rüsten und bewusst abwägen, in welche Risiken wir uns begeben und in welche nicht. Der Rückzug ins „Schneckenhaus“ ist keine heil­same Lösung. Wer sich verkriecht, überlässt dem Bösen das Feld. Hier gilt es, die Unversehrtheit der eigenen Rüstung zu überprüfen, selbige anzulegen, um sich dann acht­gebend dem Alltag zu stellen.

Erwarten Sie, dass Paris einen anhaltenden Effekt auf unser Erleben haben wird?

Zunächst einmal rüttelt dies auf, lässt Ängste bewusst werden, setzt Aufmerksamkeit und Abwehr in Marsch. Doch je weiter wir uns von schweren Bedrohungen entfernen, desto größer wird wieder die Gleichgültigkeit und Schläfrigkeit. Unvorsichtig sollten wir weder persönlich noch auf gesellschaftlicher Ebene werden. Es entspricht der Reife, wenn wir - auch mit hochgeklapptem Visier - die „Ritter­rüstung“ erst einmal nicht ablegen.

Wie sollte man Kindern die Situation erklären?

Offen und ehrlich, in einer Sprache und mit Bildern, welche Kinder auch verstehen. Je klarer wir mit Kindern darüber reden, desto besser können diese damit umgehen. Wenn wir ihnen lediglich ängstlich zu verstehen geben, da sei etwas ganz Schlimmes passiert, erzeugen wir gerade wegen des Unbekannt-Bleibens und der Angstübertragung Verunsicherung, Horrorvisionen und Ängstlichkeit.

Warum ertragen wir manche Risiken schwerer als andere?

Je weniger ich kalkulieren kann, auf welche Art und Weise ich einer Bedrohung erfolgreich begegnen oder ausweichen kann, desto mehr Angst macht sie mir. Auf Risiken, die für mich überschaubar sind, kann ich mein Verhalten konkreter abstellen. Wenn ich aber sehe und erlebe, wie plötzlich und sogar todbringend eine Attacke sein kann, ist es insbesondere das Unkalkulierbare, was mich in Sorge bringt und Angst macht. Das ist tatsächlich nur schwer zu ertragen. Aber auch hier gilt: Je bewusster und abwägender ich mich einem Risiko stelle, desto besser reife ich daran.

Harald Ries

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