Rekordbesuch für eine Reise in die Psyche

Dunkle Abgrnde erkundet man eigentlich eher ungern, und dennoch scheinen es gerade die tiefsten Abgrnde der menschlichen Seele zu sein, die eine ganz besondere Faszination hervorrufen. Noch nie in der Reihe „Ausgesprochen: Wissenschaft“ war das Voglhaus so gut besucht wie beim Gesprch zwischen Thomas Elbert, Professor fr Psychologie und Neurologie an der Uni Konstanz und SDKURIER-Redaktionsleiter Jrg-Peter Rau ber die Wirkung von Stress, Traumata und die „Plastizitt“ des Gehirns.

Dass sich der ein oder andere bei dem Gedrnge etwas gestresst fhlte, wre kein Wunder gewesen. Trotzdem hrte das Publikum gebannt und diszipliniert zu, keiner rastete aus. Warum? Thomas Elbert hat eine Antwort: Der Mensch habe Regulationsmechanismen, die es ihm ermglichen, mit einer bestimmten Menge an Stressoren umzugehen und adquat zu reagieren. Stress knne sogar positiv sein, da er auch als Antrieb wirken knne: „Die Kunst des Lebens ist es, sich nur eine bestimmte Menge an Stressoren zuzumuten, denn an irgendeinem Punkt bricht jeder Mensch.“

Allerdings sei der Mensch in diesem Sinne kaum vorhersehbar, jeder unterscheide sich in der Belastbarkeit. Entscheidend sei die Geschichte eines jeden Einzelnen, angefangen bei mglicherweise bereits beeintrchtigenden Erlebnissen im Mutterleib und in der frhen Kindheit, in der das Gehirn noch leicht formbar ist, bis hin zum Erwachsenendasein: Elbert hat herausgefunden, dass das Hirn auch noch bei Erwachsenen vernderlich, also „plastisch“ ist, war es ermglicht, erlernte Verhaltensmuster neu zu formen.

Die Arbeit der Psychologen, so Elbert, sei es unter anderem, einen Weg zu finden, Patienten solche neuen Muster beizubringen. Anwendung findet diese Methode zum Beispiel bei Traumata. Im Gesprch mit Jrg-Peter Rau erklrt Professor Elbert, wie durch wiederholte einschneidende Ereignisse eine Generalisierung stattfindet, wie also ein Soldat, der immer wieder Schsse hrte und die Folgen erlebte, ein hnliches, wenn auch harmloses Gerusch sofort in diesen Kontext einordnet: Betroffene lebten nicht im Hier und Jetzt, sondern in der Vergangenheit, beschreibt Elbert die Lage der Traumatisierten. Aufgabe der Psychologen sei es nun, die Distanz zur Vergangenheit zu schaffen.

Die Psychologen hren zu, wenn andere sich das nicht zumuten. Und manchmal werden sie auch zur Stimme der Opfer, wie bei „vivo“, was so viel heit wie „ich lebe“, aber auch fr „victims voice“ steht. Die Organisation, deren Mitbegrnder Elbert ist, bringt die Wissenschaft an Kriegs- und Krisenherde. „Die Leute dort mssen funktionieren, sie brauchen erst mal keine Hilfsgter, sondern psychische Funktionsfhigkeit“. Also werden zum Beispiel einheimische Helfer ausgebildet.

Fragen gibt es ber dieses Arbeitsgebiet hinaus genug, wie Elbert vor den faszinierten Voglhaus-Besuchern dann noch bekennt: Die Geheimnisse der menschlichen Psyche sind lange nicht gelftet – und das findet er gar nicht schlimm: „Damit die nachfolgende Generation auch noch etwas zu tun hat.“

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