Putins Propaganda-Walze

Als der „Guardian“-Korrespondent Luke Harding nach seinem unsanften Hinauswurf aus Russland Anfang 2011 nach Antworten auf die jahrelangen Nachstellungen durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB suchte, führten ihn seine Recherchen auch nach Berlin. Auch da fragte er nach, wieso in Moskau wiederholte Male in seine Wohnung eingebrochen worden war, ohne dass je etwas gestohlen wurde.

Ja, er wurde sogar „beschenkt“ – mit einem Sex-Ratgeber, der plötzlich auf seinem Nachttisch lag. Manchmal standen abends Fenster offen, die morgens geschlossen worden waren, manchmal wurde die Familie Harding mitten in der Nacht durch eigenartige Geräusche aufgeschreckt. „Das sind typische Zersetzungsmethoden“, belehrte Jochen Girke, einst Professor für operative Psychologie an der Hochschule der DDR-Staatssicherheit, den verunsicherten Engländer. Und weiter: „Die Geheimdienste tun diese Dinge, um zu zeigen, dass sie allmächtig sind, omnipotent, und dass sie jederzeit in deine Privatsphäre eindringen können.“

Zersetzung ist eines der Schlüsselwörter der „operativen Psychologie“, die die kommunistischen Geheimdienste während des Kalten Krieges perfektionierten. Zersetzung diente vor allem dazu, innere Gegner der kommunistischen Herrschaft zu schwächen und auszuschalten. Erfunden hat laut Girke die operative Psychologie wohl der KGB. Aber weiterentwickelt haben die psychologischen Überwachungs- und Kontrolltechniken dann die eifrigen KGB-Schüler in der DDR. „Der deutsche Dienst wandte raffinierte Techniken an, die Russen waren brutaler“, berichtet Girke.

Stasi-Methoden. Tatsächlich wurde von der Stasi die Weiterentwicklung von Zersetzungsmethoden geradezu mit wissenschaftlicher Akribie vorangetrieben. In den Archiven finden sich noch immer zahlreiche Diplom- und Doktorarbeiten aus DDR-Zeiten. In einer dieser Arbeiten wird als Ziel der Zersetzung „Verunglimpfung, Diskreditierung, Schaffung von Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit“ einer Person oder Gruppe angeführt. Um „feindlich-negative Gruppen“ wirksam bekämpfen zu können, empfiehlt die Stasi in einer Richtlinie: „Zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen“; „Erzeugung von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen“; „Anheizen und Ausnutzen von Rivalitäten“; „systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, Ansehens und Prestiges“; „systematisches Organisieren von beruflichen und gesellschaftlichen Misserfolgen zur Untergrabung des Selbstvertrauens einer Person“; „Auslösung von Verwirrung, von gegenseitigen Verdächtigungen und Zwietracht“.

Nützlich scheint dieser kurze Rückblick in die Zeiten des Kalten Krieges, weil im heutigen Informationskrieg, den Putins Russland dem Westen erklärt hat, Komponenten dieser psychologischen Zersetzungstechniken wieder auftauchen. Gerade im Netz geht es beim Kampf um Informations- und Deutungshoheit nicht zuletzt auch um solche Dinge: Standpunkte erschüttern, Zweifel und Misstrauen säen, diskreditieren, Streit schüren usw.

Zersetzung ist dabei im Rahmen der von Russland perfektionierten hybriden Kriegsführung nur eines von mehreren Elementen. General Walerij Gerassimow hat vor zwei Jahren in einem Zeitungsartikel Einblick in das russische Konzept des Hybrid-Krieges gegeben. Darin heißt es: „Die Spielregeln des Krieges haben sich in signifikanter Weise verändert. Die Anwendung nicht-militärischer Methoden, um politische und strategische Ziele zu erreichen, haben sich in einigen Fällen als viel wirksamer erwiesen als der Einsatz von Gewalt (...). Asymmetrische Mittel und Methoden, möglichst breit angewandt, können mit dazu beitragen, die militärische Überlegenheit des Feindes zu neutralisieren. Diese Methoden sind etwa der Einsatz von Spezialkräften, die Förderung einer internen Opposition, um im gegnerischen Staat selbst eine permanente Front zu schaffen und auch die Verwendung von Propaganda-Instrumenten, -Formen und -Methoden, die ständig weiterentwickelt und verbessert werden.“

Auch in der neuen, im vergangenen Dezember von Präsident Wladimir Putin abgesegneten Militärdoktrin taucht der umfassende Kriegsansatz auf. Es gehe um „die komplexe Anwendung militärischer Gewalt sowie politischer, wirtschaftlicher, informationstechnischer und anderer nicht nicht-militärischer Mittel“. Konkret: „Teilnahme von irregulären militärischen Formationen und privaten militärischen Kompanien an militärischen Einsätzen“ (genau das, was in der Ostukraine zu beobachten war, der Fronteinsatz selbst von kriminellen Banden); „Ausnutzung von politischen Kräften und gesellschaftlichen Bewegungen, die vom Ausland finanziert oder gesteuert werden“ (um auf diese Weise die eigene militärische Intervention zu verschleiern).

Seit der Kreml vor einem Jahr seinen Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, schießt die russische Propaganda im In- und Ausland aus allen Rohren. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen, Putins Agitationssender „Russia Today“ verbreitet krudeste Verschwörungstheorien, seine fünfte Kolonne im Westen plappert die russische Desinformationshappen nach.

Manipulation. Manipulation und Mythenbildung beginnt bei der Sprache: In Kiew regiert eine „Junta“, in Wahrheit kämpfen da keine Ukrainer für die territoriale Integrität ihres Landes, sondern „Faschisten“. Der Höhepunkt hemmlungsloser Umdeutung war wohl, als Putin die Einstellung von Gaslieferungen aus der Ukraine an die von Russen eroberten Gebiete in der Ostukraine mit den Worten kommentierte: „Das riecht nach Genozid.“

Längst schrillen in Europa die Alarmglocken wegen des russischen Propagandakrieges – insbesondere in den baltischen Staaten, wo es vor allem in Lettland und in Estland noch große russisch-stämmige Minderheiten gibt. Das Thema wurde auch bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz diskutiert, wo beklagt wurde, dass die Europäer viel zu träge auf die mächtige russische Propaganda-Walze reagieren würden. Inzwischen wurde die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini mit der Ausarbeitung einer EU-weiten Strategie gegen die „schnell wachsende Desinformation und Propaganda“ aus Moskau beauftragt. Russischsprachigen Bürgern soll ein alternatives Informationsangebot geboten werden.

Freilich, lohnt sich der massive Einsatz von Propaganda und diverser psychologischer Zersetzungstechniken im Netz mittels ganzer Armee von Manipulatoren für Russland überhaupt? Denn das kostet – und zwar sehr viel.

Geht es nach einer Umfrage, die das Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt hat und deren Ergebnisse die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vergangenen Mittwoch veröffentlichte, lautet die Antwort nein. Denn trotz aller russischer Propaganda über den Ukraine-Krieg – und die Bundesrepublik Deutschland ist da der Hauptkampfschauplatz: 55 Prozent der befragten Deutschen halten Russland für den Alleinschuldigen im Krieg in der Ukraine; 55 Prozent glauben, dass Putin mit seiner Aggressionspolitik nicht bei der Ukraine stoppen werde; 66 Prozent der Deutschen haben von Putin eine negative Meinung (acht Prozent eine gute); 58 Prozent der Deutschen sind für eine Beibehaltung bzw. Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. Rund 20 Prozent der Befragten sympathisieren mit russischen Standpunkten (überwiegend Anhänger der Linkspartei und der Alternative für Deutschland).

Gegen Lügen immun. Die FAZ kommentierte die Umfrageergebnisse: „Die im Netz immer wieder erhobene Behauptung, dort spreche ,das Volk‘ ist mit gehöriger Skepsis zu betrachten (...). Unverkennbar ist, dass das Internet für einen Informationskrieg missbraucht wird: um Lügen in die Welt zu setzen, um Zweifel an missliebigen Darstellungen zu säen (...). Es ist beruhigend zu sehen, dass die große Mehrheit der Deutschen nicht auf Moskaus Manipulationsversuche hereinfällt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2015)

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