Psychotherapeuten: Kein Platz für die Liege

Psychotherapeuten – dringend gesucht. Dabei gibt es genug. Warum dürfen sie keine Praxis eröffnen?

Es wird ihm nicht leichtfallen, Berlin zu verlassen. Doch Christian Dombrowe wird kaum eine andere Wahl haben. Daher setzte sich der angehende Psychotherapeut in diesem Sommer mit seiner Frau und der kleinen Tochter in einen Mietwagen und fuhr quer durch Deutschland. Die Familie wollte schauen, wo sie sich vorstellen könnte zu leben. Den Traum, nach seiner Approbation im nächsten Jahr in Berlin eine Praxis für Psychotherapie zu eröffnen, hat Dombrowe aufgegeben. Wie fast alle fertig ausgebildeten Psychotherapeuten wird er jahrelang auf eine Kassenzulassung warten müssen. Denn neue Kassensitze werden im Moment nur dann geschaffen, wenn einer der niedergelassenen Therapeuten in den Ruhestand geht.

Wie viele Psychotherapeuten in einer bestimmten Region beziehungsweise einem Planungsbezirk über die Kasse abrechnen dürfen, beruht auf bereits im Jahr 1999 ermittelten Verhältniszahlen, die damals auf der Anzahl und Verteilung der Therapeuten je Einwohner basierten. Sie dienen den kassenärztlichen Vereinigungen (KVs) bis heute als Grundlage für die Festlegung des Versorgungsbedarfs. Und der besagt, dass bundesweit fast flächendeckend – in 391 von 395 Planungsbezirken – eine Überversorgung herrscht. Und wo eine Überversorgung herrscht, werden keine neuen Kassensitze geschaffen. Also gehen junge Therapeuten leer aus. »Eine Katastrophe«, sagt Dombrowe. »Der Bedarf müsste sich am Krankenstand orientieren. Dann wäre klar, dass viel mehr Therapeuten gebraucht werden, als die Planung vorsieht

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Laut Berufsverband Bundespsychotherapeutenkammer leiden mindestens fünf Millionen Deutsche an einer psychischen Krankheit. Dem stehen höchstens 1,5 Millionen Behandlungsplätze gegenüber. Auf ein Erstgespräch mit einem der bundesweit rund 9.000 niedergelassenen Psychotherapeuten müssen Betroffene durchschnittlich drei Monate warten. Auch sechs Monate sind keine Seltenheit. »Die Zahl der Kassensitze wird künstlich klein gehalten, dabei legen pro Jahr rund 1.600 junge Psychotherapeuten ihr Examen ab – der Nachwuchs steht in den Startlöchern, wird aber ausgebremst«, sagt Rainer Richter, Präsident des Berufsverbandes. Viele von ihnen seien in den Dreißigern und wollten sich endlich im Kassensystem etablieren.

Im Oktober 2012 wird Christian Dombrowe seine Psychotherapeutenausbildung beenden und die Approbationsurkunde in den Händen halten. Doch er weiß schon jetzt: »In Berlin bewerben sich oft 400 Leute auf einen Sitz. Auch bekommt man erst nach rund fünf Jahren einen Zuschlag.« Das sogenannte Approbationsalter ist noch so ein Stolperstein: Mit zunehmendem Alter steigt die Chance auf einen Sitz. Und obwohl die meisten niedergelassenen Therapeuten Wartelisten führen, ist Berlin laut Gesetzgeber überversorgt.

Über Privatpatienten allein kann Dombrowe seine Familie nicht ernähren

Dombrowe hat im Frühjahr zwölf kassenärztliche Vereinigungen quer durch Deutschland abtelefoniert. Das Ergebnis: »Es gab zu diesem Zeitpunkt keinen offenen Bezirk.« Er wird sich daher nach vollendeter Approbation sofort ins Arztregister eintragen und auf alle Wartelisten in seinen Wunschregionen setzen lassen. Als Diplompsychologe durfte der 40-Jährige zwar bereits eine Privatpraxis gründen, doch ohne die Kassenzulassung sieht er keine Zukunft. »Die Privatpraxis allein bringt zu wenig ein. In Deutschland herrscht die Mentalität, für Gesundheitsleistungen nicht selbst zu zahlen.« Am meisten verdiene er durch die Patienten, die er über sein Ausbildungsinstitut behandelt. Doch das Geld reicht vorne und hinten nicht. Viele Kollegen ohne Kassensitz haben Teilzeitstellen in Kliniken und Jobs auf Honorarbasis, um sich über Wasser zu halten. Es gibt auch andere Möglichkeiten, als Psychologe zu arbeiten, in Krankenhäusern, Sozialeinrichtungen, in der Wirtschaft. Für Dombrowe ist das keine Option: »Ich habe so lange studiert, habe promoviert, mache jetzt noch die teure Ausbildung zum Psychotherapeuten und habe mich mit insgesamt 30.000 Euro verschuldet.« Jetzt wolle er endlich dort ankommen, wo er sich immer gesehen habe: in der eigenen Praxis mit Kassenpatienten.

Seit dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes im Jahr 1999 gibt es nur zwei Wege zur Approbation: ein Medizinstudium plus Facharztausbildung – oder eine drei- bis fünfjährige Ausbildung nach einem Psychologiestudium. Dombrowe würde nach allem, was er erlebt hat, niemandem mehr dazu raten.

Wer nach der Approbation keinen Zuschlag für eine Praxis erhält, dem bleibt nur, einem älteren Kollegen dessen Sitz ganz oder in Teilen abzukaufen. Markus Hückelheim hat im Januar 20.000 Euro für einen halben Praxissitz im brandenburgischen Jüterbog bezahlt. Die Preise in der Hauptstadt hätte sich der 41-Jährige nicht leisten können. »Das Höchste, von dem ich je gehört habe, waren 80.000 Euro. Das ist doch Irrsinn.« Zu zahlen, um seinen Beruf ausüben zu können, findet er absurd. »Die Zulassung sollte nichts kosten. Man profitiert ja nicht mal von einem Patientenstamm, den man vom Vorgänger übernimmt, wie etwa ein Allgemeinmediziner. In der Psychotherapie geht es um eine langfristige Zusammenarbeit, eine Vertrauensbeziehung.«

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  1. lustig, in dem taxi und lkw lizensen auch nur weiter verkauft werden dürfen. jedenfalls haben hierzuland die psychotherapeuten ein chance an krankenkassengelder zu kommen, ganz im gegensatz zu anderen therapeuten, welche nur auf selbstzahlende klienten angewiesen sind. oder noch zusätzlich von kassen und gesundheitsämtern traktiert werden

  2. .
    ... gleich wieder?

    "... in Deutschland herrscht die Mentalität, für Gesundheit nicht selber zu zahlen ..."

    Die Leute sind dabei aber inzwischen flächendeckend im Schnitt doch psychisch krank genug, um zu "... durchschnittlich 3 Therpieanfragen pro Woche ..." in die repräsentative Psychotherapeutenpraxis zu kommen.

    Ich muss seit 1. 4. 2007 zwangsweise an dieser fürchterlich desorganisierten Planwirtschaft im Gesundheitswesen als Zahler teilnehmen, ein freies Entscheiden ob ich selber zahle und mich dememntsprechend auch selber um meine Gesundheit kümmere oder ob ich an der funktionärsverseuchten, korrupten Misswirtschaft der GKV teilnehmen will wird mir grundsätzlich verwehrt.

    Und dazu sind alle Leistungen, die ich tatsächlich nachfrage, von der Augenüberprüfung über Zahnerhaltung bis runter zu intelligenter, ganzheitlicher Medizin ohnehin vom Leistungskatalog der GKV seit Jahren ausgeschlossen.

    Mir stinkt diese Funktionärs- und Pharmasteuer gewaltig.

  3. Das erste Problem bei der Erlangung des Titels "Psychotherapeut" liegt doch schon in den mehr als katstrophalen Rahmenbedingungen der Weiterbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten (hohe Kosten, unbezahltes Arbeiten, Schuldenberg). Ein Schelm, wer dahinter best. Absichten vermutet.

    Das Problem mit der Veränderung der Zahl der Kassensitze im Sinne einer Kürzung ist hochakut - und entsprechende Aktionen der Berufsverbände laufen diesbzgl. auch.

    Andererseits muss man aber auch sagen:
    Viele niedergelassene Therapeuten sind über 50, 55 oder 60. Da wird in den nächsten Jahren Bedarf entstehen! Leider wohl nur gegen horrende Übernahmekosten.

    Aber spätestens mit der Verschuldung für die Psychotherapeutenausbildung (ich finanziere aktuell Miete lfd. Lebenshaltungskosten über einen Kredit, da ich unbezahlt arbeite, auch nach 5 Jahren Ausbildung/Berufserfahrung) wird einem klar: Aus den Schulden kommt man kaum noch raus. Erst recht nicht, wenn man eine Praxis übernimmt.

  4. Und:
    Zu "Dumpinglöhnen" arbeitet ein angestellter approbierter Psychologe = Psychologischer Psychotherapeut bestimmt nicht. TVL-13 liefert mit ein wenig Erfahrung um die 3500€ brutto; der AVR minimal mehr. Einige Einrichtungen stellen tariflich den Psychotherapeuten mit einem Facharzt gleich, d.h. höhere Tarifstufe. Gut, als Psychotherapeut gibt's kein weiteres Einkommen durch Überstunden und Bereitschaftsdienste. Aber "Dumpinglohn" ist das nicht.
    Wobei... als (angehender) Psychotherapeut wird man extrem demütig und bescheiden. Und schafft es auch, jahrelang von weniger als dem Hartz IV-Satz zu leben. Ohne "Tafeln" etc. Da kommen einem 1500€ netto oder mehr wie ein Paradies vor.

  5. abschreckend. Bin selbst frisch im ersten Semester für Psychologie und wollte mir die klinische Laufbahn noch offen halten. Aber für die Ausbildung zum Therapeuten schreckt mich dieser Artikel doch noch weiter davon ab...

  6. @ ThomasSchweden:
    Im Gegensatz zu "anderen Psychotherapeuten" behandeln Psychotherapeuten relevante, behandlungsbedürftige Erkrankungen. Nach wissenschaftlich fundierten Methoden (anerkannt sind derzeit Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie, Psychoanalyse).
    "Andere Therapeuten" arbeiten halt mit nicht anerkannten Verfahren.
    Und was die Lizenten angeht: Dasselbe System gilt für JEDEN Arzt, der sich sin Deutschland niederlassen UND mit gesetztlichen Kassen abrechnen will. Mit dem Unterschied, dass es im ärztlichen Bereich v.a. in ländlichen Regionen Mangel gibt.
    Unser gesames Gesundheitssystem basiert halt NICHT auf einem freien Markt.

  7. Das ist übrigens natürlich auch volkwirtschaftlich (von der ethisch moralischen Seite mal ganz abgesehen, die dürfte klar sein) Wahnsinn, denn ohne therapeutische Behandlung kann bei vielen Patienten bestenfalls eine kurzfristige Remission erreicht werden (durch Akutbehandlung in [teuren] Kliniken und Pharmakotherapie [Moment mal, es nutzt doch irgendwem!]). Viele dieser Patienten sind jedoch über die Wartezeit komplett Arbeitsunfähig (natürlich danach auch nicht auf Schlag wieder voll da) und kosten 18 Monate Krankengeld anstatt oftmals recht schnell nach Aufnahme einer Therapie wieder arbeiten zu können.

    Hier sollte man sich vielleicht am ehesten Fragen wer überhaupt eine Verbesserung verhindert - die kassenärztliche Vereinigung als Besitzstandswahrer (Warteliste bedeutet 100% Auslastung plus dem Umstand nur angenehme Patienten behandeln zu müssen)?, Pharmalobby (Termine bei Psychiatern für das Verschreiben der Medikamente sind problemlos zu haben)?

    Eigentlich sollten sich die Krankenkassen um das Thema kümmern. Ein paar Monate Therapie sind allemale besser als langfristige Krankengeldzahlung oder dauerhafte Pharmakotherapie - und ich meine jetzt ausnahmsweise mal rein ökonomisch gedacht - ohne jede weitere menschliche Einsichtsfähigkeit.

  8. In meinem kleinen Vorort einer mittleren Großstadt mit eigenständigem Ortskern gibt es rund um den kleinen Markt 5 Apotheken und alle 100 Meter einen Neurologen/Psychotherapeuten, einen psychologischen Psychotherapeuten oder einen medizinischen Psychotherapeuten. Letzterer Kategorie misstraue ich am meisten, denn das sind diejenigen, die als z.B AllgemeinmedizinerIn eine kurze Zusatzausbildung machen, um als Therapeut tätig werden zu können mit einem Garantielohn von mindestens 80 Euro für 45 Minuten.

    Und ich habe den Eindruck, dass Therapien - sie und ihr Erfolg sind ja nicht nachprüfbar - ein hohes Potenzial an Iatrogenität aufweisen.

    Ein Familienmitglied begibt sich in eine Therapie, danach kränkelt die ganze Familie.

    Eine Verhaltenstherapie wird häufig angewandt, weil sie bezahlt wird. Sie muss aber nicht zwangsläufig "heilsam" für eine bestimmte Störung sein. Therapeuten neigen auch dazu, bestimmte "Verbote" für eine Therapie einfach zu ignorieren.

    Ich habe schon von vielen Betroffenen gehört, dass es ihnen gut tue, wenn ihnen jemand zuhört. Und so sehen dann auch viele Therapiestunden aus:

    Der Therapeut hört für 80 Euro eine Dreiviertel Stunde zu, macht ein paar Notizen und stellt 2 "kritische" Fragen.

    Er braucht weder teure medizinische Geräte noch Personal.

    Und wenn dann ein Patient nach 1 Jahr Behandlung einen Suizidversuch unternimmt, wird er vom Therapeuten fallen gelassen, da das für ihn oder sie einen Imageverlust bedeuten würde.

    Der ärztliche Psychotherapeut hat eine Schmalspurausbildung? Wenn Sie 5 Jahre Facharztausbildung (NACH dem bereits absolvierten Medizinstudium! - die therapeutische Ausbildung ist hier integriert) als kurz bezeichnen, dann haben Sie sicherlich ein Beispiel für eine Ausbildung parat, die Sie als lang bezeichnen. Völliger Unfug ist die Behauptung, ein (womöglich schon niedergelassener) Allgemeinmediziner könne mal kurz durch eine Zusatzausbildung Therapeut werden.
    http://tinyurl.com/cspgs9a

    Die von Ihnen behauptete Therapeutendichte könnten Sie problemlos belegen? Oder ist hier eher ein wenig nach oben "aufgerundet", damit das gewünschte Bild passt. Abgesehen davon, dass ein Neurologe kein Psychiater ist können Ihre Zahlen schon aufgrund der im Artikel genannten Beschränkung nicht stimmen. Außer einer gewissen Ortskern bezogenen Dichte, die auch für andere Arztgruppen und andere Branche völlig normal ist (Überraschung, sie finden dort auch Optiker und Drogeriemärkte gehäuft) ist auch an diesem Phänomen wenig dran.

    Sie haben einzig einen Aspekt richtig genannt, der in dem anderen Wust aber schon untergeht: in Sachen Transparenz, Qualität und Kontrolle ist für die Psychotherapie noch großer Handlungsbedarf.

    hier werden Äpfel und Birnen, nämlich Neurologen und Psychotherapeuten ohne Unterscheidung und Berufsbeschreibung genannt. Ist das Unwissen oder Unwille? Der Unwille, sich fundiert mit der Thematik auseinander zu setzen, spricht für mich jedenfalls aus diesem Beitrag, der noch weitere Falschdarstellungen und Fehleinschätzungen enthält.

    Wollen Sie mit einem Schlaganfall oder einer Multiplen Sklerose, Demenz oder Ähnlichem auf einen Neurologen verzichten? Hm. Oder wenn Ihr Kind ein dickes Problem hat, es ohne Hilfe lassen?

    Der ärztliche Psychotherapeut hat eine Schmalspurausbildung? Wenn Sie 5 Jahre Facharztausbildung (NACH dem bereits absolvierten Medizinstudium! - die therapeutische Ausbildung ist hier integriert) als kurz bezeichnen, dann haben Sie sicherlich ein Beispiel für eine Ausbildung parat, die Sie als lang bezeichnen. Völliger Unfug ist die Behauptung, ein (womöglich schon niedergelassener) Allgemeinmediziner könne mal kurz durch eine Zusatzausbildung Therapeut werden.
    http://tinyurl.com/cspgs9a

    Die von Ihnen behauptete Therapeutendichte könnten Sie problemlos belegen? Oder ist hier eher ein wenig nach oben "aufgerundet", damit das gewünschte Bild passt. Abgesehen davon, dass ein Neurologe kein Psychiater ist können Ihre Zahlen schon aufgrund der im Artikel genannten Beschränkung nicht stimmen. Außer einer gewissen Ortskern bezogenen Dichte, die auch für andere Arztgruppen und andere Branche völlig normal ist (Überraschung, sie finden dort auch Optiker und Drogeriemärkte gehäuft) ist auch an diesem Phänomen wenig dran.

    Sie haben einzig einen Aspekt richtig genannt, der in dem anderen Wust aber schon untergeht: in Sachen Transparenz, Qualität und Kontrolle ist für die Psychotherapie noch großer Handlungsbedarf.

    hier werden Äpfel und Birnen, nämlich Neurologen und Psychotherapeuten ohne Unterscheidung und Berufsbeschreibung genannt. Ist das Unwissen oder Unwille? Der Unwille, sich fundiert mit der Thematik auseinander zu setzen, spricht für mich jedenfalls aus diesem Beitrag, der noch weitere Falschdarstellungen und Fehleinschätzungen enthält.

    Wollen Sie mit einem Schlaganfall oder einer Multiplen Sklerose, Demenz oder Ähnlichem auf einen Neurologen verzichten? Hm. Oder wenn Ihr Kind ein dickes Problem hat, es ohne Hilfe lassen?

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