Psychologische Gutachten: Verrückt oder böse?

Gustl Mollath war zu Unrecht sieben Jahre lang in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht - jetzt ist er frei und offiziell unschuldig. Sein Fall hat die Diskussion um psychologische Gutachten angeheizt: Wer kontrolliert die Gutachter? Eine Studie zeigt, dass Gerichte hufig Tendenzen vorgeben.

Der jahrelang gegen seinen Willen in der Psychiatrie festgehaltene Gustl Mollath ist vom Landgericht Regensburg freigesprochen worden.

Foto: Daniel Karmann (dpa)

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Der jahrelang gegen seinen Willen in der Psychiatrie festgehaltene Gustl Mollath ist vom Landgericht Regensburg freigesprochen worden.  

Wegschlieen – und zwar fr immer! Nach mehreren spektakulren Fllen von Kindesmissbrauch und -ttungen traf Altkanzler Gerhard Schrder mit dieser Forderung 2001 einen Nerv. Gemeint waren Straftter, die nach Paragraph 63 der Strafprozessordnung „eine Gefahr fr die Allgemeinheit“ darstellen. Wer nicht voll schuldfhig ist, kommt in den Maregelvollzug: in die Psychiatrie.

Die Entscheidung darber, ob ein Angeklagter zurechnungsfhig ist oder nicht, trifft der Richter – meistens auf Grundlage eines psychologischen Gutachtens. Aber wer kontrolliert die Gutachter? Eine Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universitt Mnchen hat jetzt gezeigt, dass bei den Auftrgen hufig die Richtung vorgegeben wird. Ein Viertel aller befragten Psychiater und Psychologen gaben an, hufig oder in Einzelfllen eine Tendenz signalisiert bekommen zu haben. Niels Habermann, Professor fr Rechtspsychologie an der Hochschule Heidelberg, kennt dieses Problem: „Einige Psychologen sind abhngig von den Auftrgen, die Gerichte oder Staatsanwlte vergeben“, sagt Habermann. Mehr als 50 Prozent der psychologischen Gutachter bestreiten laut der Mnchner Studie die Hlfte ihres Lebensunterhalts mit Auftrgen dieser Art.

Die Ergebnisse befeuern erneut die ffentliche Diskussion um psychologische Gutachten, die seit der Freilassung des zu Unrecht in der geschlossenen Psychiatrie untergebrachten Gustl Mollaths auflodert. Ein neues Gutachten widerspricht demjenigen, dass Mollath 2006 nicht nur fr psychisch krank, sondern auch fr gefhrlich erklrt hatte – das ist die Voraussetzung fr eine Unterbringung im Maregelvollzug. „Verschiedene Gutachter kommen zu unterschiedlichen Einschtzungen, das kann fr ein Gericht sehr verwirrend sein“, sagt Habermann.

Spektakulre Flle wie der von Mollath, aber auch von Jrg Kachelmann, Anders Behring Breivik oder Oscar Pistorius seien „die Spitze des Eisbergs“, meint der Rechtspsychologe, der selber als Gutachter arbeitet. „Nicht jeder kann sich so hochrangige Anwlte leisten, die Zweit- und Drittgutachten in Auftrag geben.“ In den prominenten Beispielen hatte es jeweils mehrere, zum Teil hchst widersprchliche Gutachten gegeben. Wusste Anders Breivik was er tut, als er vor drei Jahren 77 Teilnehmer eines Jugendcamps in Norwegen erschoss? Nein, meinten zwei erste Gutachter, er sei psychisch hochgradig gestrt und nicht schuldfhig. Doch, sagten ein Jahr spter zwei andere Experten, seine Zurechnungsfhigkeit war nicht beeintrchtigt.

Verrckt oder bse? Die Antwort darauf zu finden, ist Aufgabe des Gutachters. Dieser bekommt Akten und Vollstreckungshefte, eventuell Unterlagen zu alten Fllen und Urteilen. Wenn der Angeklagte nicht mit dem Sachverstndigen reden mchte, muss er das nicht – dann wird das Gutachten ausschlielich auf Grundlage der Akten erstellt. „Das ist allerdings nicht besonders gewinnbringend“, sagt Habermann. Wenn ein so genanntes Explorationsgesprch zustande kommt, sei es vor allem wichtig, Vertrauen aufzubauen. „Es darf nicht passieren, dass der Proband das Gefhl hat, da kommt jetzt ein zweiter Polizist. Man braucht eine tragfhige Arbeitsbeziehung.“ Es gehe darum, ein „passendes Bild der Persnlichkeit“ zu zeichnen. Dazu werde alles abgeklopft: „Lebenslauf, Ausbildung, Sexualitt, Drogen – alles, was fr die jeweilige Straftat relevant ist.“ Auch Transparenz in Bezug auf die Methoden, Fragen und Tests sei wichtig. Diese Offenheit bte sicher Raum fr Manipulationsversuche. „Aber genau das ist ja meine Aufgabe, dass ich das erkenne und auch zurckmelde. Aber bei solchen Verfahren geht es ja um sehr viel, natrlich will da jeder einen mglichst guten Eindruck machen.“

Verschiedene Testverfahren sollen Aufschluss darber geben, ob die Angaben schlssig sind. „Wenn jemand wegen eines schweren Gewaltdelikts angeklagt ist, sich aber im Gesprch und in standardisierten Fragebgen als ausgeglichen beschreibt, passt das nicht zusammen.“ Schwere Gewalttter sind laut der Testergebnisse oft normaler als der Durchschnitt, sagt Habermann. „Da ist auch viel Taktik im Spiel, auf beiden Seiten.“ Um solche Ungereimtheiten aufzuklren gibt es verschiedene Testverfahren, mit denen etwa verstecktes Aggressionspotential aufgedeckt werden kann. Beim „Picture Frustration Test“ zum Beispiel sieht der Proband ein Bild, auf dem etwas eindeutig Frustrierendes – ein Fugnger wird von einem vorbeifahrenden Auto nassgespritzt – passiert. Der Angeklagte soll dann eine leere Sprechblase fllen und darin die Gefhle des Pechvogels zum Ausdruck bringen. „Jeder wrde in so einer Situation fluchen“, sagt Habermann. „Wenn der Proband aber etwas schreibt wie ,Das kann ja jedem mal passieren’ oder ,Das war bestimmt keine Absicht’ ist das unpassend, fast absurd. Das wiederum zeigt uns, dass er oder sie entweder bewusst ein anderes Bild von sich vermitteln will, keinen Zugang zu seinen Aggressionen hat oder wirklich nicht wei, was los ist – alle drei Mglichkeiten sagen uns, das etwas nicht stimmt.“ Das Gesprch sei der Beginn eines diagnostischen Prozesses, bis das Gutachten geschrieben und dem Gericht vorgelegt ist.

Mehrmals sitzen Gutachter und Angeklagter zusammen, oft ber Stunden. Das, sagt Habermann, sei allerdings der Idealfall. „Es geht darum herauszufinden, was den Probanden angetrieben hat.“ Dabei neutral und unberhrt zu bleiben, sei manchmal schwer. „Man darf sich nicht von Affekten leiten lassen, aber wir sind ja auch nur Menschen“, meint er. „Manchmal ist man schon total verzweifelt.“

Der Gutachter kann medizinische Untersuchungen veranlassen – etwa des Gehirns – oder weitere Psychologen hinzuziehen. Trotzdem gebe es eine Schwachstelle in diesem System, sagt Habermann: „Es gibt keine Kontrolle der Gutachter.“ Jeder Psychologie-Absolvent knne sich Gutachter nennen, ohne je fr diese Aufgabe geschult worden zu sein. „Es gibt keine Richtlinien. Man kann eine Fortbildung fr Rechtspsychologie machen, aber die ist nicht verpflichtend.“ Zwar gebe es Mindestanforderungen, an denen sich Richter und Anwlte orientieren knnten. „Das passiert aber leider viel zu selten.“ Nur an einer Handvoll Unis gibt es den Master-Studiengang „Rechtspsychologie“ und das auch erst seit wenigen Jahren.

Nicht jeder kann schuldig sein

Es kann mehrere Grnde geben, weshalb jemand schuldunfhig ist: Krankhafte seelische Strung Seelische Strungen, die eine krperliche Ursache haben. Auch Alkohol- oder Drogenrausch kann so bewertet werden. Tiefgreifende Bewusstseinsstrung Hierzu zhlen Erschpfung, Ermdung und Verwirrtheit, die dazu fhren kann, dass eine Tat im Affekt begangen wird. Schwachsinn Dieser Begriff steht tatschlich so im Strafgesetzbuch. Er bezeichnet eine angeborene Intelligenzminderung bis zu einem IQ von 69. Schwere andere seelische Abartigkeit Unter diese Sammelkategorie fallen Sucht, sexuelle Prferenzstrung oder Impulskontrollstrungen.

 

 

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