Psychologie: Warum ärgern wir uns so häufig?

Der Stresshormon-Pegel steigt

Menschen, die sich ärgern, haben eine typische und unverwechselbare Mimik: zusammengezogene Augenbrauen, geweitete Pupillen, stechender Blick. Drohstarre nennen es die Biologen. Gleich wird gewissermaßen zugebissen. Blitzschnell mussten unsere frühen Vorfahren entscheiden: fight or flight, kämpfen oder flüchten. Auf jeden Fall galt höchste Alarmstufe. Und so funktioniert es immer noch. Ärger sorgt für die massive Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin. Dies lässt den Blutdruck und den Puls steigen; die Atmung wird flacher, die Muskulatur wird besser durchblutet, der Körper ist bereit zum Sprung.

Motor für Veränderungen

Aber was soll der Ärger heute? Ist er mehr als nur ein genetisches Erbe, das für schlechte Stimmung sorgt? Ärger könne auch heute noch sehr sinnvoll und hilfreich sein, meint Dr. Udo Baer, Therapeut und Fachautor mehrerer Bücher zum Thema. „Es ist ein unangenehmes Empfinden, welches uns sehr deutlich anzeigt, dass wir etwas verändern wollen.“ Ein Motor, der einen Spurwechsel in Gang setzen kann. Deshalb sei es wichtig, sich seinen Ärger bewusst zu machen. Das muss nicht zwangsläufig mit einer Handlung einhergehen. Dem Chef verärgert zu sagen, dass das Meeting am Abend eine schlechte Idee ist, könnte neuen Ärger auslösen – beim Chef.

„Sinnvoller ist es, seinen Groll erst einmal auszuhalten, dadurch einen inneren Aufschub zu erreichen und sich einen ruhigen Moment auszuwählen, um über eine Terminverschiebung zu sprechen“, empfiehlt der Hamburger Psychologe und Unternehmensberater Reinhard Ahrens. Das klingt einfacher, als es ist. „Man kann es aber lernen“, sagt Ahrens, der mit stressgeplagten Managern diese sogenannte Affektregulation trainiert. Eines funktioniert nach Ansicht des Therapeuten Dr. Udo Baer jedoch auf keinen Fall: „Man kann den Ärger nicht einfach überspringen.“ Sich vorzunehmen, nur noch positiv zu denken, „ist aufgesetzt und sorgt höchstens für Gefühlsstau.“

Oft stecken andere Gefühle hinter dem Ärger

Ärger schadet, wenn er maßlos wird, also in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zum Auslöser steht: Wenn beispielsweise die Tatsache, dass der Partner das Geschirr nicht abgeräumt hat, maximale Wut auslöst. Hinter dem Ärger steckt dann oft ein ganz anderes Gefühl: zum Beispiel Hilflosigkeit, Einsamkeit, Sehnsucht oder die Traurigkeit darüber, vom Partner nicht wertgeschätzt zu werden. „Dieses Gefühl wird in Ärger ‚umgetauscht‘ und zeigt sich nun ungebremst.“ In seiner „Zukunftswerkstatt Therapie kreativ“ in Neukirchen-Vluyn hat Udo Baer es häufig mit Patienten zu tun, deren Wut sich hinter einer tiefen Traurigkeit verbirgt. „Sie haben nicht gelernt, ihrem Ärger Ausdruck zu verleihen.“ Oft sei bei diesen Patienten in der Kindheit jeglicher Anflug von Zorn unterdrückt worden: „So benimmt man sich nicht.“

Ärger kann krank machen

Dabei ist es für Seele und Körper gleichermaßen wichtig, mit dem Ärger gut umzugehen. Studien zufolge ist permanenter Ärger für das Herz offenbar mindestens so gefährlich wie Rauchen oder Bluthochdruck. Forscher der University of North Carolina untersuchten die Krankengeschichten von Männern und Frauen mittleren Alters. Bei denjenigen, die sich im Alltag sehr häufig ärgerten, war das Risiko, in den folgenden sechs Jahren einen Herzinfarkt zu erleiden, dreimal höher als bei Menschen, die eher cool blieben. „Dieses Ergebnis war sogar unabhängig von anderen Risikofaktoren wie Fettleibigkeit, Diabetes, Cholesterinwert oder Rauchen“, so Studienleiterin Janice Williams.

Nach einem überstandenen Herzinfarkt wiederum beeinflusst der Ärger die Prognose. Einer Studie italienischer Forscher zufolge ist das Risiko, erneut einen Infarkt zu erleiden, bei Menschen mit einem hohen Wut- und Ärger-Niveau mehr als doppelt so hoch wie bei Patienten, die sich im Leben wenig ärgern. Die Forscher fordern deshalb, nach einem Infarkt neben der üblichen medikamentösen und Physio-Therapie auch eine psychotherapeutische Behandlung in das Therapieprogramm einzubeziehen.

Ärger schlägt auf den Magen, er löst nachweislich Kopfschmerzen aus und verkürzt das Leben. Noch ist nicht geklärt, welche biologischen Mechanismen genau dahinter stecken. Fest steht nach aktueller Datenlage: Besonders gefährdet sind jene 20 Prozent der Bevölkerung mit einem „Feindseligkeitssyndrom“. Dieses setzt sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen: chronisch zum Ärger bereit, leicht erregbar, tendenziell aggressiv. Feindselige Menschen kommen von ihrem Ärger kaum noch herunter, denn es gibt stets Neues, über das sie sich aufregen können. Weitere 20 Prozent der Bevölkerung sind besonders gelassen, der Rest bewegt sich irgendwo dazwischen.

Wie geht man am besten mit Ärger um?

Ärger einfach zu unterdrücken, ist ungesund für Leib und Seele. Aber auch das ungehemmte Sich-Luft-machen bringt nicht viel. Studien zeigten: Wer losbrüllt, baut seinen Ärger nicht ab, sondern bleibt auf dem hohen Ärger-Niveau stehen. Gleiches gilt für diejenigen, die ihrem Ärger ewig nachgrübeln.

Beste Lösung ist nach Auffassung der Stressforscher die Ärger-Kontrolle. Es gilt, den Ärger bewusst wahrzunehmen und ihn gezielt zu regulieren. Eine effektive Methode ist die Verzögerung: dreimal tief durchatmen, dann bis Zehn zählen, und sich nun überlegen, was genau mich gerade so wütend macht. Auch längerfristiger Aufschub hilft: „Bestimmen Sie selbst, wann Sie sich die Zeit nehmen wollen für den großen Ärger. Setzen Sie sich einen Termin, wann es passt“, rät Unternehmensberater Reinhard Ahrens. Bis dahin dürfte sich viel Emotion von allein aufgelöst haben. Mittlerweile bieten psychologische Praxen, aber auch Firmen spezielle Anti-Ärger-Trainings an.

Eine gute Portion Humor hilft

Sogar Beten hilft offenbar bei der Wut-Kontrolle. Psychologen der University of Michigan stellten in Experimenten fest, dass die Emotion schnell verdampfte, wenn die Testpersonen ein inneres Gebet für das Wohlergehen eines ihnen wichtigen Menschen sprachen. Das funktionierte unabhängig von Glaube und Religion. Wirksam ist nach Ansicht der Experten auch der gedankliche Seitenwechsel: Der Porsche, der den Radweg vor der Apotheke zuparkt, ist plötzlich kein Ärgernis mehr, wenn man erfährt, dass der Fahrer ganz dringend ein Medikament für seine kleine Tochter benötigt. „Sich vorzustellen, dass der andere gute Gründe für sein Handeln hat, sorgt für innere Balance“, so Dr. Baer. Einen ähnlichen Effekt hat Humor. Bei den verstreuten Socken des halbwüchsigen Sohnes könnte man sich also denken: „Zum Glück sind es nicht die Unterhosen.“

 

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