Psychologie: TV-Zuschauer vergleichen sich – und sind erleichtert

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Berlin - Der Medienpsychologe Frank Schwab von der Universität Würzburg begründet den Erfolg sogenannter Reality-TV-Formate mit "sozialen Vergleichsprozessen", die beim Schauen der Sendung ablaufen. "Das ist die dunkle Seite der Identifikation. Man grenzt sich ,nach unten' ab, indem man sich sagt: So schlecht wie die gezeigten Personen stehe ich jedenfalls nicht da."

Dieser soziale Vergleich funktioniert laut Schwab aber nur bei einem Publikum, das dem gleichen oder ähnlichen sozialen Milieu wie die Gezeigten entstammt. "Wenn die Distanz zu groß ist, verliert der Vergleich seinen Reiz." Wer sich "fremdschämt", schaltet normalerweise ab, meint Schwab. "Die Zuschauer, die dabeibleiben, empfinden in der Regel auch keinerlei Empathie für die Akteure. Damit könnten sie die Sendung auch nicht genießen."

Nach Beobachtung des Experten gehen die Anfänge solcher vorgeblich realitätsnahen Formate auf die 50er-Jahre zurück. Damals habe es bereits Radiosendungen gegeben, in denen sich etwa Paare in aller Öffentlichkeit vor dem Mikrofon stritten. Die heutigen Shows bezeichnet er als "Affektfernsehen", das auf Emotionen, Intimität, Personalisierung und die Authentizität, also die Echtheit seiner Hauptfiguren setzt. Wenn ein Format wie "Bauer sucht Frau" erfolgreich ist, würden meist andere Sender mit ähnlichen Konzepten nachziehen.

Hänseleien sind folgenreich


Der Medienexperte hält es für problematisch, wenn die Teilnehmer der Sendungen während und nach der Veröffentlichung keine Hilfestellung durch die Sender erhalten. Für den Einzelnen, der den Umgang mit Öffentlichkeit nicht gewöhnt ist, sind die Reaktionen einer "anonymen Riesengruppe" in sozialen Netzwerken, wie im Fall von Sarah H. aus Fischbach, eine große Belastung. Über einen längeren Zeitraum isoliert zu sein und verhöhnt zu werden, kann laut dem Psychologen auch körperliche Folgen haben. "Viele reagieren auf Ausgrenzung mit Schlaf- und Appetitlosigkeit", erklärt Schwab. Menschen etwa, die systematisch gemobbt würden, bräuchten häufig später eine intensive medizinische Betreuung.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann

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