"Psychologie spielt eine große Rolle"

Die Schnelllebigkeit führt dazu, dass Kunden mehr Beratung suchen erklärt Henrik Herr, Chef der Credit Suisse in Österreich

Standard: Der Markt hat sich in den vergangenen Wochen gedreht. Die Änderung der Gangart der US-Notenbank Fed und die Probleme in China haben die Rally beendet. Wie reagieren Ihre Kunden, gibt es viel Anpassungsbedarf?

Herr: Wir erleben jetzt keine Trendwende, sondern eine gesunde Korrektur. In den USA und China passiert ein Paradigmenwechsel, da neigen die Märkte zur Übertreibung. Für uns zeigt sich, dass die Menschen wieder mehr den Dialog und die Beratung suchen und die Zusammenhänge verstehen wollen. Ich habe persönlich den meisten Respekt vor den Phasen, wo alles ganz klar und deutlich erscheint.

Standard: Warum?

Herr: Weil in allen Marktphasen immer Pro- und Gegenargumente vorhanden sind. Es wirken immer beide Kräfte. Die Frage ist, wie man etwas bewertet. Die Psychologie der Märkte und Marktteilnehmer spielt da eine große Rolle.

Standard: Sind die Märkte durch die Krise paranoider geworden?

Herr: Nein. Die Märkte sind schon immer an den Lippen der Notenbanker gehangen oder haben auf Indikatoren gewartet. In volatileren Phasen spielen Aussagen oder Abweichungen von Schätzungen eine größere Rolle. In einem Zeitalter, das sehr schnelllebig ist, in dem große Summen per Knopfdruck bewegt werden können, hat das eine größere Auswirkung.

Standard:: Wie machen sich Schnelllebigkeit und die permanente Verfügbarkeit von Information bei den Kunden bemerkbar?

Herr: Der Gesprächsbedarf ist deutlich gestiegen. Der Kunde, der ein-, zweimal im Jahr mit seinem Berater reden wollte, ist untypisch geworden. Wenn etwas passiert, will sich der Kunde darauf verlassen können, dass der Berater sich meldet. Das setzt voraus, dass man ein globales Research hat und eine klare Marktmeinung.

Standard: Wie schnell muss im Fall des Falles gehandelt werden?

Herr: Das hängt vom jeweiligen Event ab. Bei Fukushima etwa waren die Rückversicherungen ein Thema, weil auf diese große Belastungen zugekommen sind. Wir hatten es damals geschafft, vor Markteröffnung alle Kunden diesbezüglich anzusprechen.

Standard: Muss der Private-Banker heute Nachrichten bewusst auf mögliche Inhalte in den Kundenportfolios screenen?

Herr: Absolut. Das Berufsbild hat sich dramatisch verändert. Als ich vor 20 Jahren angefangen habe, war der Private-Banker eigentlich der klassische Wertpapierberater. Heute sind alle Berater bei uns global zertifiziert, weil sie mit so vielen Themen zu tun haben, die sie verstehen müssen. Was passiert makroökonomisch, wie sind da die Zusammenhänge? Welche Spezialprodukte oder Trends sind wichtig etc.? Der Anforderungskatalog ist definitiv gewachsen. Ein wichtiger Teil ist, dass Banker besser mit Menschen umgehen können müssen. Es ist wichtig, nicht nur die Ratio der Kunden anzusprechen. Man muss noch besser zuhören lernen und verstehen, was die Kunden bewegt.

Standard: Wie trainiert man Banker im Zuhören?

Herr: Durch individuelles Coaching. Noch nie wurde so viel ausgebildet und trainiert wie heute. Ich muss verstehen, was meine Kunden nachts nicht schlafen lässt.

Standard: Wie positioniert man einen Kunden, wenn gerade alles schwankt - auch Gold?

Herr: Das kommt auf den Kunden an. Wir haben für solche Fälle eine Dienstleistung, die heißt "Target-Volatilität". Der Kunde entscheidet, wie viel Volatilität er tragen kann. Der niedrigste Wert für die Schwankungsbreite ist fünf Prozent. Erreichen die Schwankungen innerhalb einer Aktie, eines Index, einer Assetklasse diese Grenze, wird verkauft. Damit ist man nach oben nicht voll dabei, grenzt Verluste aber deutlich ein.

Standard: Ist Crowd-Funding schon ein Thema für Ihre Kunden?

Herr: Ich würde sagen, das Thema steht noch am Anfang. Da müssen erst klare Spielregeln geschaffen werden. Ich finde es aber gut, denn die Bereitschaft, Geld zu investieren, ist da.

Standard: Vermögen wird heute oft negativ betrachtet. Sofort kommt der Vorwurf der Steuerschonung, ob alles mit Recht erworben wurde etc. Wie gehen Sie damit um?

Herr: Eine Gesellschaft ohne Menschen, die investieren, Firmen haben und andere Menschen beschäftigen, und ohne Unternehmer, die Gewinne erwirtschaften, würde nicht funktionieren. Niemandem ist gedient, wenn Leute unter Generalverdacht stehen.

Standard: Wie wird die Privatbank in der Zukunft aussehen?

Herr: Ich glaube, es wird eine Trennung geben: Kunden, die nur eine Abwicklung wollen, werden verstärkt zu Direktbanken gehen. Die Leute, die wirklich Rat suchen, werden zur Privatbank gehen und deren Netzwerke nutzen. Der Kunde muss diese Beratung aber als so werthaltig empfinden, dass er dafür bereit ist, eine Gebühr zu zahlen. (Bettina Pfluger, DER STANDARD; 1.7.2013)

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