Psychologie in der Gynäkologie: Multifaktorielle Ursachen der …

Psychologie in der Gynäkologie: Etwa 15
Prozent der Frauen leiden an chronischen
Unterbauchschmerzen - besonders häufig in
jüngerem Lebensalter. Die Ursachen können in
somatischen Erkrankungen oder psychosozialen
Faktoren liegen, evtl. auch in einer
Kombination aus beidem. Daher ist es
wichtig, dass Arzt und Patientin bereits von
Beginn der Diagnostik an die verschiedenen
Krankheitsmodelle ernsthaft im Auge
behalten, empfiehlt Professorin Dr.
Mechthild Neises (Aachen) in ihrem Beitrag
zum aktuellen Reader "Psychologie in der
Gynäkologie".

Die Gynäkologin und Psychotherapeutin warnt:
"Die Schwierigkeiten in der Arzt/Ärztin-Patientin-Beziehung
beginnen oft mit der Überzeugung der
Betroffenen von einer organischen
Krankheitsursache. Daraus entwickelt sich
nicht selten ein Interaktionsverhalten im
Sinne einer Negativspirale, der ein
typischer Hoffnungs-Enttäuschungs-Zirkel
zugrunde liegt. Es können große Erwartungen
an Heilung durch einen Arzt/eine Ärztin
bestehen, in Erwartung seiner/ihrer
Kompetenz.

Diese Erwartungen werden bei psychosozialen
Ursachen meistens enttäuscht weil der Arzt
´nichts Somatisches findet´ oder die
somatische Behandlung erfolglos bleibt. Dann
schlägt die anfängliche Idealisierung in
resignierte Enttäuschung um, bis
möglicherweise ein neuer Hoffnungsträger
gefunden wird und so ein doctor-hopping oder
auch doctor-shopping einsetzt. Daraus
resultiert ein dysfunktionales
Anspruchsverhalten ..."

Um die Negativspirale zu vermeiden, "ist es
wichtig, von Beginn der Abklärung an die
multifaktorielle Genese der Beschwerden
anzusprechen und schon früh ein gemeinsames
Krankheitsmodell zu entwickeln." Neises
warnt vor typischen Fehlern von
TherapeutInnen in diesem Kontext:

  • einseitig somatisches Vorgehen bei Diagnostik
    und Therapie

  • Ignorieren von Hinweisen auf psychosoziale
    Zusammenhänge

  • einseitige Psychologisierung oder
    Psychiatrisierung der Beschwerden

  • verunsichernde Bewertung von Symptomen und
    Befunden

  • Verwendung von inkonsistenten oder unscharfen
    Begriffen

  • Förderung der Unzufriedenheit durch
    unerreichbare Therapieziele

  • suchtfördernde Verordnung von Medikamenten

Ausführlich beschreibt die erfahrene Therapeutin,
wie trotz großer Belastungen und frustraner
Anstrengungen eine gute Therapiebeziehung zu
Erfolgen führen kann.
 


Mechthild Neises: Unterbauchschmerz. In:
Johannes Bitzer, Hans-Wolfgang Hoefert (Hrsg.)
Psychologie in der Gynäkologie

Pabst 2014, 372 Seiten, ISBN 978-3-89967-985-4

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