Psychologie: Ewig nagt der Zweifel

Untergräbt analytisches Denken den religiösen Glauben? Eine alte Debatte wird neu angeheizt.

Ach, wenn man sich seinen braven Kinderglauben doch nur immerzu bewahren könnte! Doch kaum entwickelt sich das eigene Denkvermögen, ist es auch schon vorbei mit dem naiven Vertrauen auf Gott und die Welt. Fortan regiert der Zweifel – und der sucht sich seine Gewissheiten eher in der wissenschaftlichen Fachliteratur als in der sonntäglichen Predigt.

Zum Beispiel in der Fachzeitschrift Science, die – mit der ganzen Wucht der empirischen Seriosität – in ihrer jüngsten Ausgabe verkündet: »Analytisches Denken fördert den religiösen Unglauben.« Zwei Psychologen der University of British Columbia im kanadischen Vancouver hatten mit mehr als 650 Probanden experimentiert und festgestellt: Wer sich stärker an nüchterner Ratio orientiert, ist weniger gläubig und neigt eher dem Zweifel zu als jene Menschen, die ihrem intuitiven Bauchgefühl folgen.

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Klingt intuitiv erst einmal völlig einleuchtend. Die Vernunft als natürliche Gegnerin des Glaubens – das ist schließlich seit gut dreihundert Jahren das Leitmotiv aller Aufklärer und Religionskritiker. Schließlich werde »in keinem Kirchenlied das hohe Lied der Intelligenz gesungen«, bemerkte dazu der englische Logiker und Philosoph Bertrand Russell sarkastisch. Liefert dazu nun die Psychologie die definitive Erklärung?

Nicht ganz. Zwar haben die beiden Psychologen Will Gervais und Ara Norenzayan für ihre Studie keine Mühe gescheut und ihre Probanden nach allen Regeln der Kunst zum analytischen Denken angeregt. Die einen mussten Denksportaufgaben lösen, andere mussten aus Wörtern wie »Vernunft«, »Denken« oder »rational« Sätze bilden, wieder andere wurden mit einschlägigen Bildern – etwa von Auguste Rodins berühmter Denker-Statue – beeinflusst. Wurden sie danach zu ihrer religiösen Orientierung befragt, zeigten sie sich signifikant weniger gläubig als die jeweiligen Kontrollgruppen, die unverfängliche Bilder (etwa von griechischen Athleten) gesehen oder die ihre Sätze aus neutralen Wörtern gebildet hatten.

Der glaubenschwächende Effekt trat sogar selbst dann auf, wenn der Religions-Fragebogen so gestaltet wurde, dass er schwerer lesbar war. Allein die zum Entziffern nötige gedankliche Anstrengung führte dazu, dass die Versuchspersonen sich selbst als weniger religiös beschrieben. »Zusammengenommen zeigen diese Studien, dass analytisches Verarbeiten ein Faktor (vermutlich unter mehreren) ist, der den religiösen Unglauben fördert«, schließen Gervais und Norenzayan.

Doch so gelegen diese Studie nun jenen kommen mag, die den religiösen Glauben nur als Schrumpfform menschlichen Denkens ansehen, so nagt auch an ihr der Zweifel. Zum einen haben die Psychologen ja nicht gezeigt, dass tatsächlich der Glaube ihrer Probanden abnahm (oder dass sich ihr Verhalten änderte), sondern nur, dass sie in ihrer religiösen Selbstbeschreibung zurückhaltender wurden. Zum anderen haben Gervais und Norenzayan nur nach einem Set bestimmter Glaubensvorstellungen gefragt (etwa nach der Existenz Gottes, des Teufels, von Engeln). Der religiöse Glaube kann jedoch viele Formen annehmen und kommt längst nicht immer so klischeehaft daher. So zeigt sich: Auch mit Religionskritik darf man es sich nicht zu einfach machen. Sonst sitzt man nur den intuitiven Vorurteilen seiner Ratio auf.


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    • alkyl
    • 03.05.2012 um
      10:49 Uhr

    Schon als sechsjähriger Junge war mir völlig selbstverständlich, daß es keinen Gott gibt und mein Leben nach meinem Tod aufgehört haben wird. Damit hatte ich keine Probleme, es erschien mir wie eine naturgegebene Wahrheit, und ich habe bis heute keinen Grund, daran zu zweifeln. Schwierig für mich als Kind war lediglich, mit der in meinem Leben damals allgegenwärtigen katholischen Kirche und all den scheinbar gläubigen Menschen umzugehen, von denen ich natürlich wußte, daß sie meine Sicht nicht teilten. Es war und ist ein seltsames Gefühl für mich, unter Gläubigen zu sein.

    • zappp
    • 03.05.2012 um
      12:20 Uhr

    Naturreligionen, teils auch die Götterwelt der Antike lieferten plastische Erklärungen für Naturphänomene: Donner, Vulkan, Sturm, Sonne. Religionen befriedigen ein Ur-Bedürfnis nach Antworten auf essentielle Lebensfragen. Die Antworten sind angenehm (Wiedergeburt, Leben im Paradies nach Tod), gesellschaftstragend (der gute Mensch wird belohnt, der böse bestraft, eine gottgewollte Gesellschaftsordnung oder sogar ein Herrscher als Gott) und in alltagsnahen Bildern erzählt (Gott als sprechende und handelnde Person, Spezialgötter, alternativ Engel, anbetbare Heilige, generell tolle Geschichten). Da drängt sich der Verdacht auf, die meisten Religionen sind von interessierter Seite konstruiert und weiterentwickelt worden.

    Der rationale Nichtgläubige blickt auf eine (Natur-) Wissenschaftsgeschichte zurück mit progressivem Gewinn an Erkenntnissen. Die alltäglichen Phänomene, Sonne, Mond und Sterne, die Entstehung der Arten sind in nachvollziehbaren, wenn auch immer mathematischeren Modellen erklärt. Philosophie und Sozialwissenschaften können darlegen, warum eine Moral bzw. ein Rechtssystem auch ohne Gottesbezug vorteilhaft für menschliches Zusammenleben und die Gesellschaft sind. Anfang und Ende der Welt, vor dem Urknall und nach dem Erlöschen aller Sterne, sowie die unserer eigenen Existenz sind aber immer noch „unbefriedigend“ beschrieben. Das wird in der absehbaren Restlebenszeit der meisten rational Nichtgläubigen so bleiben, die damit zurechtkommen müssen. Ohne Opium.

    • zappp
    • 03.05.2012 um
      12:20 Uhr

    Naturreligionen, teils auch die Götterwelt der Antike lieferten plastische Erklärungen für Naturphänomene: Donner, Vulkan, Sturm, Sonne. Religionen befriedigen ein Ur-Bedürfnis nach Antworten auf essentielle Lebensfragen. Die Antworten sind angenehm (Wiedergeburt, Leben im Paradies nach Tod), gesellschaftstragend (der gute Mensch wird belohnt, der böse bestraft, eine gottgewollte Gesellschaftsordnung oder sogar ein Herrscher als Gott) und in alltagsnahen Bildern erzählt (Gott als sprechende und handelnde Person, Spezialgötter, alternativ Engel, anbetbare Heilige, generell tolle Geschichten). Da drängt sich der Verdacht auf, die meisten Religionen sind von interessierter Seite konstruiert und weiterentwickelt worden.

    Der rationale Nichtgläubige blickt auf eine (Natur-) Wissenschaftsgeschichte zurück mit progressivem Gewinn an Erkenntnissen. Die alltäglichen Phänomene, Sonne, Mond und Sterne, die Entstehung der Arten sind in nachvollziehbaren, wenn auch immer mathematischeren Modellen erklärt. Philosophie und Sozialwissenschaften können darlegen, warum eine Moral bzw. ein Rechtssystem auch ohne Gottesbezug vorteilhaft für menschliches Zusammenleben und die Gesellschaft sind. Anfang und Ende der Welt, vor dem Urknall und nach dem Erlöschen aller Sterne, sowie die unserer eigenen Existenz sind aber immer noch „unbefriedigend“ beschrieben. Das wird in der absehbaren Restlebenszeit der meisten rational Nichtgläubigen so bleiben, die damit zurechtkommen müssen. Ohne Opium.

    • Erkos
    • 03.05.2012 um
      10:51 Uhr

    Ist es denn nicht irgendwann mal genug? Glaube und Ratio sind unterschiedliche Welten. Es hat keinen Sinn, beide immer wieder in einen Zusammenhang bringen zu wollen. Auch die Tatsache, dass es Menschen gibt, die beides tatsächlich in eigenen Psyche (getrennt) unterbringen, ändert doch nichts an den Tatsachen. Schade um die viele Arbeit.