Psychologie: Ein einmaliges Ergebnis

Wie solide sind die Resultate von sozialpsychologischen Studien? Unter Forschern ist ein heftiger Streit entbrannt.

Der "Florida-Effekt" gilt als Klassiker der psychologischen Literatur. Er
geht auf ein schlagendes Experiment des US-amerikanischen Sozialpsychologen John Bargh aus dem
Jahr 1996 zurück. Dieser ließ seine Versuchspersonen zunächst Sätze aus lauter Wörtern bilden,
die mit dem Alter assoziiert werden – "grau", "Falte", "vergesslich", "Glatze", "Florida".
Danach mussten die Probanden durch einen Korridor in einen anderen Raum gehen (wobei Bargh
heimlich ihr Gehtempo maß). Ergebnis: Sie liefen in der Regel deutlich langsamer als andere
Studienteilnehmer, die mit "neutralen" Wörtern jongliert hatten.

Seither wird Barghs Studie als Paradebeispiel für den Effekt des "Priming" zitiert: Durch
subtile Beeinflussungen (wie etwa stimmungserzeugende Wörter) kann man implizite
Gedächtnisinhalte aktivieren, die das Verhalten beeinflussen.

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Die Frage ist nur: Stimmt Barghs Ergebnis überhaupt? Seit einiger Zeit plagen die Psychologen
Zweifel. Gesät hat sie Stéphane Doyen von der Freien Universität Brüssel, der Barghs Studie
wiederholte – und
keinen
"Florida-Effekt" fand. Als Doyen dieses Nichtergebnis
vergangenes Jahr in einer Fachzeitschrift beschrieb, reagierte Bargh mit einem wütenden
Blogbeitrag, und viele Sozialpsychologen horchten auf.

Seitdem quält die Branche die tiefgründige Frage: Wie solide sind die Forschungsergebnisse in
ihrem Fach überhaupt? Was sind Studien wert, wenn sie nicht wiederholbar sind?
Replikationsversuche sind schließlich die wissenschaftliche Feuerprobe. Wenn sie nicht
gelingen, ist das zwar noch keine Widerlegung. Aber ein Fragezeichen.

Nun hat die schwelende Debatte neuen Zunder bekommen: Im Fachmagazin
Plos One
beschreibt der Londoner Psychologe David Shanks, wie er – vergeblich – einen anderen
Priming-Effekt zu wiederholen versuchte. Im Originalexperiment hatte Ap Dijksterhuis an der
Universität Nijmegen 1998 einen Teil seiner Probanden gebeten, sich einen typischen Professor
vorzustellen, und ihnen danach Wissensfragen gestellt (Wer malte
Guernica?
Wie heißt
die Hauptstadt von Bangladesch?) Dabei schnitten jene, die zuvor an einen Professor gedacht
hatten, besser ab. Nun, 15 Jahre später, zeigte sich in Shanks’ Wiederholungsstudie nichts
dergleichen.

Das ist Wasser auf die Mühlen des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman. Der Psychologe hatte
schon im vergangenen Herbst in einem offenen Brief an seine Kollegen gewarnt: Die
Priming-Forschung sei zum "Paradebeispiel für Zweifel an der Integrität psychologischer
Forschung geworden", er sehe "eine Katastrophe heraufziehen". Als Gegenmittel schlug er den
Forschern eine Art Replikations-Karussell vor: Mehrere Top-Institute sollten je eine Studie
auswählen, die dann eines der anderen zu replizieren versuchen solle. Gelinge dies, sei das
Forschungsfeld rehabilitiert.

Die Debatte um das Ergebnis von David Shanks zeigt, wie rau der Ton mittlerweile geworden
ist. "Shanks hat grundlegende Fehler gemacht", erregt sich Ap Dijksterhuis, der Autor der
ursprünglichen Professoren-Studie. "Dijksterhuis ist nicht sehr entgegenkommend", hält Shanks
dagegen, "er gibt die Protokolle zum Originalversuch nicht heraus." Dijksterhuis betont, dass
sein Ergebnis vor Shanks von mehreren Forschern bestätigt worden sei; Shanks sagt, genau
darüber gebe es Uneinigkeit. Das Fachmagazin
Nature
wiederum veröffentlichte jüngst
einen Artikel, der eher Shanks’ Sichtweise widerspiegelte, rudert jetzt aber auf Intervention
von Dijksterhuis hin zurück.

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