Psychologie der Flüchtlingskrise: Warum werden unsere europäischen …

Die aktuelle Diskussion zur Flüchtlingskrise ist von einer politisch manipulierten, restriktiven Pressepolitik, der Stigmatisierung Andersdenkender, einer Radikalisierung, der Verletzung der Menschenwürde und einer, die Selbstaufgabe propagierenden, „Humanität" geprägt, die unsere Gesellschaft unkalkulierbaren Risiken preisgibt.

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Von der Haltung der Kanzlerin, das Grundgesetz kenne (für die Aufnahme von Flüchtlingen) keine Obergrenze, die eine "Willkommens-Kultur" propagiert und sich mit Flüchtlingen auf Selfies abbilden lässt, bis hin zu Äußerung der AfD-Chefin und Vizechefin Frau Frauke Petry und Frau Beatrix von Storch, an den Grenzen solle im Notfall auf Flüchtlinge, ja sogar Frauen und Kinder, geschossen werden, tragen die Botschaften extreme Züge, die einer Zerreißprobe gleichkommen und die Nation spalten.

All diese Äußerungen und Haltungen verletzen unsere, auf der europäischen Aufklärung beruhenden Grundwerte, die christliche Ethik oder die Maxime der Vernunft. Doch warum werden in der Flüchtlingsdiskussion diese wertvollen, unserer europäischen Tradition entstammenden Werte so häufig missachtet, für die wir so lange gekämpft haben?

Bisher nur wenige öffentliche Äußerungen

Bisher haben sich nur Wenige hierzu öffentlich geäußert, deren berufliche Qualifikation sie befähigt, Antworten auf diese Fragen zu geben.

Jüngst hat der Philosoph Peter Sloterdijk in seinem Artikel für das Handelsblatt vom 20.09.2015 das Handeln der Kanzlerin analysiert und ihre Politik als Fortführung der „Lethargokratie der Kohl-Ära" bezeichnet, in der auf eine vorausschauende politische Führung verzichtet und nur der „Chance des historischen Moments", sowie dem eigenen Machterhalt nachgegangen wird.

In diesem Beitrag wurde erstmals eine, das Handeln der Kanzlerin erklärende Beschreibung veröffentlicht, die die Führungsqualitäten der Kanzlerin in einem neuen Licht erscheinen ließ: Wurde die abwartende Haltung der Kanzlerin und deren Verzicht auf starke Worte oder schnelle Lösungswege früher für Besonnenheit gehalten, stand jetzt die Frage des persönlichen Opportunismus und Machtstrebens der Kanzlerin, gepaart mit Naivität im Raum.

Herrn Sloterdijks Artikel ist von unschätzbarem Wert und Bedeutung. Sein Artikel zeigte aber auch deutlich, dass zwischen Politik und Gesellschaft eine Lücke klafft, die mit den Mitteln der Soziologie nicht geschlossen werden kann.

Sozialpsychologie des "Merkelismus"

Obwohl sich der Arbeitskreis Politische Psychologie am Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt, intensiv mit der Sozialpsychologie des „Merkelismus" auseinandersetzte, ist es zweifellos der Verdienst des Psychoanalytikers Herrn Dr. Hans-Joachim Maaz, dem Vorstandsvorsitzenden der gleichnamigen Stiftung, diese Lücke als erster und einziger Fachmann mit den Methoden der Psychologie geschlossen zu haben.

Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz: "Angela Merkel handelt vollkommen irrational"

In seinem Interview mit der „Huffington Post" vom 24.01.2016 attestiert Herr Dr. Maaz Frau Dr. Merkel eine narzisstische Persönlichkeit. In seinem, im Magazin „Cicero" veröffentlichen Artikel vom 26.01.2016: „Psychoanalytiker zur Flüchtlingsdebatte: Wir haben ein Narzismussproblem" vertrat er die These: „Dass die „mächtigste Frau der Welt" aber nur die Projektionsfigur für eine Mehrheit von Menschen ist, die ihre narzisstische Problematik im „Größenklein" befriedigt bekommen möchte ...".

Obwohl die analytische Deutung eines persönlichen und kollektiven Narzissmusproblems von Frau Dr. Merkel und in der Bevölkerung korrekt sein mag, verletzt sie doch die Grenze des persönlichen Schutzes oder provoziert aus der beziehungslosen Konfrontation des Artikels heraus eine Kränkung, die nicht im Interesse der Psychologie und der Sache ist, eine Umkehr in der Flüchtlingspolitik zu erreichen.

Ein werterespektierender Zugang für ein vertieftes psychologisches Verständnis von Politik und Gesellschaft in der Flüchtlingskrise erschließt sich über die Klärung der Bedürfnisse und Motive des menschlichen Handelns sowie der Facetten der Radikalität.

Psychologie der Bedürfnisse als Grundlage des menschlichen Handelns

Welches sind die Bedürfnisse und Motive, der „stillen", manchmal radikalisierten Kritiker in unserer Gesellschaft, der Vertreter einer „Willkommenskultur", von konformen Politikern und Frau Dr. Merkel selbst? Warum schweigen die Menschen in der Öffentlichkeit, warum übersehen andere die Gefährdung unserer Gesellschaft, warum machen Politiker ihr politisches Gewicht nicht geltend, um politische Fehlentwicklungen zu korrigieren und was veranlasst die politische Führung, einen Alleingang in der Flüchtlingspolitik an Europa vorbei zu betreiben?

Welche Motive veranlassen Frau Dr. Merkel in der Flüchtlingspolitik „vollkommen irrational" zu handeln, um mit Herrn Dr. Maaz Worten zu sprechen? Ich könnte mir vorstellen, dass sie am Ende ihrer Kanzlerschaft eine einzigartige, humanitäre, gesellschaftliche Leistung erbringen wollte, die ihren Blick für die Realität und die Folgen ihres Handelns trübte.

Hinter der konstanten Weigerung der Kanzlerin, die Fehler ihres Handelns zu korrigieren, steht sicherlich die vielzitierte Absicht, die eigene Macht zu erhalten, aber vielleicht auch das Bedürfnis, sich ihrer persönlichen Verantwortung gegenüber den Opfern ihrer Politik zu entziehen oder Schuldgefühle zu bekämpfen.

Auch ist es auf Grund ihrer Herkunft wahrscheinlich kein Zufall, dass sich das Drama ihrer Flüchtlingspolitik vordergründig im christlich-humanitären Bereich vollzieht. Dahinter mag das Bedürfnis stecken, die durch ihre Macht verloren gegangene persönliche Identität zurückzugewinnen.

Ging es um die Sicherung der eigenen Position?

Wie steht es um die Vertreter der Politik, die dem Kurs der Kanzlerin folgen oder folgten? In der Zeit, als noch eine Nominierung der Kanzlerin für den Friedensnobelpreis möglich erschien, mag das Bedürfnis, am Ruhm der Kanzlerin zu partizipieren, eine Rolle gespielt haben.

Ganz überwiegend mag es aber um die Sicherung der eigenen Position gegangen sein, die nur im Mainstream der Politik erreicht werden kann.

Den Anhängern der Willkommenskultur sollte ein Bedürfnis nach Humanität in einer immer brutaler werdenden Welt nicht abgesprochen werden. Ein weiteres, verborgenes, humanitäres Motiv könnte der Wunsch gewesen sein, Schuldgefühle abzubauen, die aus den Ungerechtigkeiten in der Welt und dem Profit, den die westliche Zivilisation daraus zieht, resultieren.

Auf Grund der nationalsozialistischen Vergangenheit der Deutschen mag auch der Wunsch nach einer auf Humanität gegründeten, nationalen Identität wichtig gewesen sein. Schließlich besteht bei jedem Menschen der Wunsch, sich mit einer Leitfigur zu identifizieren. Gleichzeitig kann damit der Wunsch, an der Größe der Kanzlerin zu partizipieren, realisiert werden.

Die "stillen" und manchmal radikalisierten Kritiker

Was geht in den „stillen" und manchmal radikalisierten Kritikern in unserer Gesellschaft vor? Sie erleiden eine Art Krankheit, die sich auf ihrer berechtigten Wut, Hilflosigkeit und Ohnmacht gründet, gegen die verfehlte Flüchtlingspolitik der politischen Führung nichts unternehmen zu können.

Es ist nicht leicht, die hieraus entstehende Feindseligkeit und Radikalisierung unserer Haltung in uns selbst zu überwinden, erhalten wir doch keine Hilfe von denen, die uns eigentlich schützen sollten.

Stattdessen werden, ganz im Gegenteil, sorgenvolle und kritische Gedanken zur aktuellen Flüchtlingspolitik und deren negative Auswirkungen auf unsere Gesellschaft überall unterdrückt. So sind Menschen z.B. schnell dem Vorwurf des Rassismus und der Radikalität ausgesetzt, wenn sie an der Integrationsfähigkeit junger alleinstehender muslimischer Männer zweifeln und sich vor deren Gewaltpotential fürchten.

Viele von uns gestatten sich aus Angst vor Stigmatisierung und Diffamierung nur in ihrem privaten Umfeld, Kritik zu äußern. Andere verfallen radikalem Gedankengut und setzen sich durch ihr Handeln ins Unrecht.

Psychologie der Radikalität und deren Entstehungsbedingungen

Und wie steht es mit der Radikalität? Ein Blick auf die Diskussion der letzten Monate zeigt: Der Vorwurf der Radikalität wird nicht nur berechtigt geäußert, z.B. bei Anschlägen auf Asylwohnheime, sondern auch, um Kritik und Einwände gegen die unverantwortliche Flüchtlingspolitik der Kanzlerin im Keim zu ersticken.

Rechtsradikale Gewalttäter werden mit Recht gebrandmarkt, während die Radikalität aus den Reihen mancher Flüchtlinge verschwiegen wird, wie die verzögerte Berichterstattung der massenhaften Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht belegt. Es stellt sich die Frage: Wer und was ist radikal und wer wird durch den Vorwurf der Radikalität diffamiert?

Wenn wir das Thema der Radikalität verstehen wollen, müssen wir die verschiedenen Facetten der Radikalität zunächst von der verallgemeinernden Einheitsbegrifflichkeit abgrenzen.

Der verzweifelte und sich hilflos fühlende Bürger mit „geheim gehaltenen", nur im Vertrauen geäußerten „radikalen" Gedanken muss von gewaltbereiten Menschen und auch Politikern unterschieden werden, die radikale Thesen vertreten oder radikal handeln.

Die Trennlinie zwischen moralischer Integrität und Radikalität ist die Handlungsbereitschaft und wird mit dem Handeln überschritten. Niemand sollte sich wegen seiner Gedanken verurteilen, schon gar nicht Menschen, die Opfer von Gewalttaten wurden. Die moralische Bewertung beginnt bei der Handlungsbereitschaft. Doch was versteht man unter radikalem Handeln und welche psychologischen Bedingungen führen dazu?

Radikales Handeln aus psychologischer Sicht

Aus psychologischer Sicht ist radikales Handeln durch Rücksichtslosigkeit gegenüber anders denkenden Menschen und deren Unterdrückung mit den Mitteln der Propaganda, Ideologie oder Gewalt charakterisiert.

Radikalität geht mit Verletzungen der Menschenrechte oder mit Verletzungen der Würde des Menschen einher. Von radikalisierten Menschen werden keine Andersdenkenden, sondern nur Mitläufer akzeptiert. Hieraus wird deutlich, dass radikales Handeln einerseits mit Selbstbezogenheit und Gewissenlosigkeit assoziiert ist, andererseits mit Mitläufertum. Dieses wiederum verbreitet die Radikalität weiter.

Menschen, die in ihrer Selbstzentrierung und ihrem Bedürfnis nach Selbstbestätigung verlernt haben, sich auf andere Menschen einzustellen oder dies nie gelernt haben, deren Gewissen nicht gut entwickelt ist oder die eine uneingestandene Selbstwertproblematik haben und sich an falschen, vermeintlich starken Vorbildern orientieren, sind gefährdet, radikal zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist nicht nur die durch Straftäter ausgeübte Gewalt der Radikalität und Menschenfeindlichkeit zuzuordnen, sondern auch der radikalisierende Einfluss der Worte oder Taten auf Mitmenschen. Mitläufertum hingegen ist auch aus Angst vor Verfolgung möglich, hat dann aber meist passive Züge. Manchmal erscheint Radikalität unter der Tarnung des Kampfes um ethische Werte, ja sogar der Humanität.

Damit stellt sich die Frage: Wie muss man die aktuelle Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin beurteilen? Handelt die Kanzlerin radikal? Ich meine ja. Es wird Zeit, dass wir uns öffentlich wehren. Wir dürfen dabei die Würde des Menschen nicht verletzen.

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