Platzsturm bei Relegation war "typisches Verhalten"

Es gibt für alles einen Namen, auch für das Fanverhalten beim verfrühten Platzsturm im Relegationsspiel Fortuna Düsseldorf gegen Hertha BSC. Die Wissenschaft nennt so etwas "informationalen, sozialen Einfluss".

Ein ganz normaler Reflex, absolut menschlich – und unter keinen Umständen ein Fehlverhalten. "Keiner wollte das Spiel bewusst abbrechen. Die Fußballfans wollten feiern, ein typisches Verhalten", erklärt Bettina Pause. Die Hochschul-Dozentin von der Heinrich-Heine-Unversität hat mit Fans sowie Stadionbesuchern gesprochen und die Situation analysiert. Für Pause ein normales Verhalten, sie ist Professorin für Biologische Psychologie und Sozialpsychologie.

Wie rot-weiße Lemminge

Die Situation im Stadion vergleicht die Wissenschaftlerin mit dem ersten Besuch in einem Sterne-Restaurant. "Der Mensch will in solch einer für ihn neuen und unklaren Situation alles richtig machen. Um nicht den Kellner fragen zu müssen, wie man sich korrekt in einem Sterne-Restaurant verhält, beobachtet der Mensch die anderen Restaurantbesucher", so Pause.

Diese Menschen gelten für ihn in diesem Moment als Experten, also verhält er sich genauso. Die Wissenschaftler nennen das "informationaler, sozialer Einfluss". In 99 Prozent der Fälle bewahrt er die Menschen vor unangenehmen Situationen, ist also ein Vorteil.

Nun zu dem verbleibenden Prozentpunkt: Am 15. Mai habe es sich in der Esprit-Arena nämlich ähnlich wie im Restaurant abgespielt, sagt Pause. Die ungewöhnlich lange Nachspielzeit und die Tatsache, dass die Stadionuhr bei 90 Minuten stoppt und während der Nachspielzeit nicht weiterläuft, waren für die Fortuna-Fans eine unklare Situation.

Ein einziger Fan hat dann nach einigen Minuten den Schiedsrichter fehlinterpretiert und ist losgestürmt. "Jetzt wird dieser eine als Experte gesehen", so Pause. Seine Tribünennachbarn denken: "Er wird es schon wissen, sonst wäre er nicht losgestürmt. Das Spiel ist vorbei, Fortuna ist aufgestiegen." Dann rennen auch sie los. Wie rot-weiße Lemminge.

"Die Entscheidung fällt innerhalb von Sekundenbruchteilen", erklärt Pause. Der Platzsturm sei "aus sozialpädagogischer Sicht also ein ganz normales Verhalten." Er sei lehrbuchmäßig abgelaufen.

Zu laut für den Stadionsprecher

Pause sieht sich selbst nicht als Fußball-Fan. Sie schaut sich einige Spiele der Nationalmannschaft an – und von Fortuna. Das Relegationsspiel am 15. Mai hat sie am Fernseher verfolgt. Da dort die Nachspielzeit mitlief, konnte sie das Verhalten der Fortuna-Fans zunächst nicht verstehen.

Erst in den Gesprächen mit Stadionbesuchern eröffnete sich für die Psychologin die Situation. "Außerdem war es offenbar auch so laut, dass der Stadionsprecher nicht zu hören war", erklärt Pause.

Einen Namen für das Verhalten von Hertha BSC nach dem Spiel gibt es übrigens nicht. Der Protest vor den DFB-Gerichten – "das ist ein normales, gewinnorientiertes Verhalten", so Pause. Beim Fußball gehe es eben um viel Geld.

Das Bundesliga-Relegationsrückspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC (2:2/Hinspiel 1:2) am Dienstag stand mehrfach vor dem Abbruch.

 

Kurz vor dem Ende der Partie stürmten Hunderte von Fans den Rasen, der geräumt werden musste, um die Begegnung noch zu Ende zu bringen.

 

Die Schlüsselszenen des Spiels protokolliert.

1. Minute: Maximilian Beister bringt Fortuna nach 25 Sekunden mit einem fulminanten Distanzschuss mit 1:0 in Führung. Die Fortuna-Fans in der Esprit-Arena toben vor Freude, Hertha ist geschockt.

 

23. Minute: Berlins Angreifer Änis Ben-Hatira schafft per Kopf den 1:1-Ausgleich für den Bundesligisten. 

 

54. Minute: Ben-Hatira sieht nach einem groben Foul die Gelb-Rote Karte. Hertha ist nur noch zu Zehnt. 

59. Minute: Der eingewechselte Ranisav Jovanovic köpft das 2:1 für Düsseldorf. Direkt danach fliegen aus dem Hertha-Block Feuerwerkskörper auf den Rasen. Fortuna-Fans zünden auf der Gegenseite ebenfalls Bengalische Feuer. Polizei und Ordnungskräfte marschieren auf.

 

 

60. Minute: Schiedsrichter Wolfgang Stark unterbricht die Partie für rund drei Minuten, weil die Sicherheit der Spieler gefährdet ist. 

85. Minute: Ausgleich zum 2:2 durch Raffael. Ein Tor noch für Hertha, und der Bundesligist wäre gerettet. Stark muss das Spiel erneut für etwa zwei Minuten unterbrechen, weil Feuerwerkskörper gezündet werden.

 

90. Minute: Sieben Minuten Nachspielzeit werden angezeigt. 

90.+ 6 Minuten: Hunderte Fortuna-Fans stürmen auf den Rasen, kurz bevor die Nachspielzeit abgelaufen ist. Eineinhalb Minuten wären noch zu spielen gewesen. Spieler, Betreuer und Trainer beider Teams sowie Schiedsrichter flüchten in die Katakomben.

 

Der Stadionsprecher wirkt deeskalierend auf die Fans ein und appelliert eindringlich, den Rasen zu räumen, damit die Partie zu Ende gebracht werden kann. Stark signalisiert, dass er das Spiel sonst abbrechen muss.

15 Minuten nach dem Sturm auf den Rasen kommen die Fortuna-Spieler zurück, nachdem die Zuschauer vom Spielfeld zurückgedrängt worden waren. Von den Hertha-Akteuren ist noch nichts zu sehen.

Die Berliner erwägen, nicht weiterzuspielen. In den Katakomben erkundigt sich Manager Michael Preetz bei Schiedsrichter Stark, ob die Sicherheit der Spieler garantiert werden kann. Die Lage hat sich beruhigt. Stark erreicht, dass Hertha BSC weiterspielt.

Nach 21 Minuten Unterbrechung geht es weiter. Die Restspielzeit wird absolviert. Um 22.49 Uhr pfeift Schiedsrichter Stark ab. Fortuna Düsseldorf ist auf-, Hertha abgestiegen. Die Fans stürmen erneut auf den Rasen.

Hertha BSC

Rehhagel kann Herthas Abstieg nicht verhindern

Fortuna Duesseldorf

Fortuna Düsseldorf steigt in die Bundesliga auf

Bundesliga Relegation 2012

Fortuna-Fans feiern Auswärtssieg bei Hertha BSC

Open all references in tabs: [1 - 9]

Leave a Reply