Messner-Biografie fürs Kino Geht’s noch? Der ganz normale Wahnsinn eines …

Ein neuer Film über Reinhold Messner lässt tief in die Psyche des Extrembergsteigers blicken. Im Interview erklärt Sportpsychologe O. Stoll, was solche Menschen antreibt.

Mann muss sich Reinhold Messner als glücklichen Menschen vorstellen – auch in einer Situation wie dieser. Die Durchsteigung der Droites-Nordwand im Mont-Blanc-Massiv wurde für den Film nachgestellt mit dem Bergsteiger Florian Riegler als Reinhold Messner. Auch ihn muss man sich wohl glücklich vorstellen.

Mann muss sich Reinhold Messner als glücklichen Menschen vorstellen – auch in einer Situation wie dieser. Die Durchsteigung der Droites-Nordwand im Mont-Blanc-Massiv wurde für den Film nachgestellt mit dem Bergsteiger Florian Riegler als Reinhold Messner. Auch ihn muss man sich wohl glücklich vorstellen.

ZEIT ONLINE: Herr Professor Stoll, Reinhold Messner hat als erster Mensch alle 14 Achttausender-Gipfel dieser Welt ohne Flaschensauerstoff bestiegen. In dem Film, der heute in den Kinos anläuft und schlicht Messner heißt, wird sein Leben nachgezeichnet, inklusive Luftaufnahmen von atemberaubenden und einsamen Berg-Schnee-Landschaften. Man fragt sich doch: Was muss im Kopf eines Menschen kaputt sein, damit man ständig auf Berge klettert, durch Eiswüsten läuft und sein Leben riskiert?

Oliver Stoll: Das höre ich nicht gerne, denn sonst müsste man Hunderttausenden Menschen attestieren, dass sie krank im Kopf sind, bloß weil sie Marathon laufen oder Triathlon oder andere Dinge tun, die von anderen als extrem tituliert werden. Das sind einfach Menschen, die sich Ziele setzen. Ziele, die für sie realistisch erreichbar sind, weil sie auch die Fähigkeiten dafür haben.

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ZEIT ONLINE: Aber zwischen einem Marathon und einem Messner-Leben als Bergsteiger besteht ein Unterschied.

Oliver Stoll

ist Professor für Sportpsychologie, Sportpädagogik und Sportsoziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Außerdem betreut er die Wasserspringen-Nationalmannschaft sportpsychologisch. Vor rund 25 Jahren hat er am Iron Man auf Hawaii teilgenommen, momentan trainiert er wieder für einen Marathon.

Stoll: Leistungssportler sind grundsätzlich leistungsmotivierter als die Normalbevölkerung. Etwas nicht zu schaffen, ist etwas, das an Ausdauersportlern wie Reinhold Messner nagt. Dieses "did not finish" ist eine unglaubliche Treibkraft und hat viel Motivationspotenzial. Reinhold Messner hat ja 25 Versuche gebraucht, um 18 Mal hochzukommen. Erst dann hatte er alle Achttausender ohne Flaschensauerstoff geschafft. Messner wusste, was er kann. An einer Stelle im Film sagt er selbst: "Ich bin hingegangen, wo ich umkommen könnte, aber nicht um umzukommen." Oder wie er die Droites hochgegangen ist, als 19-Jähriger und ganz allein: Da sei er in einem Flow-Zustand gewesen, sagt Reinhold Messner im Film rückblickend. Alle Ängste seien ausgeschaltet gewesen, er habe nicht mehr an die Familie gedacht, sich nur noch auf die Bewegung konzentriert.

Ich selbst erforsche dieses Phänomen seit Jahren und mittlerweile wissen wir, dass Ausdauer- und Leistungssportler sehr oft im Flow sind. Dabei wird der Bewusstseinszustand so reguliert, dass ein gewisser Automatismus eintritt: Man blendet alles aus, muss nicht lange nachdenken, jeder Griff, jeder Schritt sitzt. Dabei werden bestimmte Hirnareale herunterreguliert, vor allem der präfrontale Cortex. Das ist allerdings nicht ganz ungefährlich, weil in solch einem Zustand uns die analytischen Fähigkeiten verloren gehen. Ein Kollege hat Flow-Erfahrungen bei Bergsteigern untersucht und herausgefunden, dass sie noch beim Abstieg in diesem Zustand waren, deswegen nicht mehr vernünftig absteigen konnten und daraufhin Unfälle passiert sind.

ZEIT ONLINE: Das schöne Gefühl eines Flow-Zustands dürfte aber nicht der wichtigste Grund gewesen sein, warum es Reinhold Messner in die Berge getrieben hat. Der Film fokussiert sich deutlich auf die Kindheit und die Familiengeschichte: Im Film spielen Schauspieler Szenen aus der Kindheit nach, etwa wie Reinhold seinem Bruder Günther an Heiligabend eine Einladung zur Nanga-Parbat-Expedition schenkt. Außerdem erzählt ein anderer Bruder Reinhold Messners davon, dass der Vater auch mal zugeschlagen habe. Inwiefern spielt also frühkindliche und familiäre Prägung eine Rolle für Messners Werdegang?

Stoll: Ich musste mir den Film zwei-, dreimal anschauen, um mir ein konkretes Bild zu machen. Doch es liegt mir fern, eine Ferndiagnose über Reinhold Messners Psyche zu stellen. Ich kenne ihn nicht persönlich. Der Film zeigt trotzdem ein paar schöne Beispiele für Aspekte, die man ganz allgemein in der psychologischen Forschung findet. Zum Beispiel wird im Film das Familienklima so geschildert: Der Vater ist eher autoritär-normativ ausgerichtet; die Mutter als Gegenpol eher warm, emotional, zuwendend; und das Südtiroler Land ist eher konservativ, also auch normativ-autoritär.

In einem solchen Umfeld wird sehr stark auf die Einhaltung und Überwachung von Regeln geachtet. Die Konsequenz ist der Familien-Entwicklungstheorie zufolge, dass oft sehr leistungsorientierte, leistungsmotivierte Kinder heranwachsen: Wenn man in so einem autoritären System aufwächst, versucht man für gewöhnlich, möglichst die Anforderungen an einen zu erfüllen, um von den Eltern geliebt zu werden. Das geht aber eben auch sehr oft auf Kosten der Kreativitätsentwicklung und auf Kosten der persönlichen Reifung.

ZEIT ONLINE: Reinhold Messner passte sich aber nicht an. Der Film ist auch in Kapitel unterteilt und eines über seine Jugend heißt "Rebellion". Wie passt das mit der Theorie zusammen?

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