Macht: Wählt ihr nur

Macht löst im Gehirn dasselbe aus wie Sex – aber macht sie auch glücklich? Und müssen Mächtige einsam werden? Sechs Wahrheiten über die da oben. Von Niels Boeing und Sven Stillich

Macht macht gefügig

Die Macht hat einen schlechten Ruf. Betrug sei "die Grundlage politischer Macht", schrieb etwa der amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce 1911 in Des Teufels Wörterbuch. Und weil "die da oben" nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, geradezu ruchlos, gehen die Menschen immer wieder auf die Barrikaden – ob in Stuttgart gegen den Bau eines Bahnhofs, in Istanbul für die Erhaltung eines Parks oder in Brasilien gegen die allgegenwärtige Korruption.

Doch meist geraten die Mächtigen nur leicht ins Wanken, und dann geht alles weiter wie zuvor. Die Macht selbst, jene Fähigkeit, das Verhalten von anderen zu kontrollieren, schwindet nicht. Sie funktioniert – obwohl so viele sie immer wieder infrage stellen.

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Warum das so ist, darüber sinnieren und streiten Philosophen seit Jahrtausenden. Erhellender ist der Blick in die ferne menschliche Vergangenheit, auch wenn er vielleicht ähnlich kränkend ist wie Darwins Entdeckung, dass der Mensch in gewisser Weise vom Affen abstammt. Denn unter dem Firnis aus Kultur und Technik steckt noch immer ein Primat, dieses Savannentier mit seiner komplexen Sozialstruktur. Paviane sind ebenfalls Primaten – und was etwa der amerikanische Biologe Robert Sapolsky über das Rangordnungsverhalten dieser Affenart herausgefunden hat, verrät einiges darüber, wie Macht funktioniert, wie sie gefügig macht.

Kommen rangniedere Männchen Alphamännchen zu nahe, empfinden sie augenblicklich Stress. Die Adenohypophyse bildet das Hormon ACTH, das die Nebennierenrinde das Hormon Cortisol ausschütten lässt, die erste Abwehrmaßnahme des Körpers auf Stress. Cortisol regt die Bildung von Blutzucker an, der dem Gehirn hilft, schneller auf die Situation zu reagieren. Zugleich schränkt es das Langzeitgedächtnis und die Leistung der Stirnlappen ein, die für die Selbstwahrnehmung wichtig sind. Das mit Cortisol geflutete Individuum ist nicht mehr ganz bei sich und nur darauf bedacht, aus der Gefahrenzone wieder heil herauszukommen.

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Die Bedrohung durch den Alphapavian ist noch ganz körperlich: Er kann den rangniederen Affen einfach wegbeißen. Diesem archaischen Machtverhältnis, das heute bei Schlägereien aufblitzt, hat die kulturelle Evolution der Menschheit weitere hinzugefügt. Die Psychologen John French und Bertram Raven haben diese soziale Macht in einem Aufsatz 1959 systematisiert: Neben Macht aufgrund von Zwang – etwa durch den Alphapavian – unterscheiden sie Macht durch Belohnung, Beziehungsmacht, Expertenmacht und Macht durch Legitimation. Letztere sei "wahrscheinlich die komplexeste unter diesen", schrieben French und Raven.

Die Legitimation kann aus der Berufung auf Gott, einem Mythos oder einem Sozialgefüge stammen. Diese Quellen der Macht werden von denen, die ihr unterworfen sind, meist als eigene Wertvorstellungen so stark verinnerlicht, dass sich die Subjekte kaum an sie erinnern können. Das kann so weit gehen, dass sich das Subjekt mit dem Mächtigen identifiziert. "Macht ist stark, weil sie sich auf der Ebene der Sehnsüchte auswirkt", hat der französische Philosoph und Psychologe Michel Foucault hervorgehoben. Er verwarf die neuzeitliche Vorstellung, Macht sei eine Art Ding, das man jemandem wegnehmen oder verleihen kann. "Man muss sie als produktives Netz betrachten, das sich durch den gesamten sozialen Körper zieht."

Die körperliche Abwehrreaktion des Primaten verschwindet allerdings nicht. Jeder von uns ist in dieses Netz eingewoben und erfährt Macht mal subtil, mal massiv. Die Cortisol-Infusion kann dabei gefährlich werden: Chronisch hohe Dosen an Cortisol schwächen nicht nur das Immunsystem: Sie lassen auch "bestimmte Hirnareale schrumpfen", sagt der britische Hirnforscher Ian Robertson. Treten diese machtbedingten Stressausbrüche dauerhaft auf, aber zugleich so unregelmäßig, dass sich der Mensch nicht darauf einstellen kann, kann dies am Ende zu Apathie und Depression führen.

Dennoch sind nicht alle Menschen gleichermaßen angreifbar, wie Robertson betont. Wer das Gefühl habe, sein Leben unter Kontrolle zu haben – wie stark, lässt sich mit psychologischen Tests untersuchen –, sei weniger eingeschüchtert in der Gegenwart von Mächtigen, so Robertson. Es sind wohl diese Menschen, die den Mächtigen irgendwann am gefährlichsten werden können.

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