Kriminalpsychiatrie: In jeder Bestie steckt ein Mensch

Die Tat geschah in einer grauen Siedlung am Rande irgendeiner deutschen Stadt. Mehr als zwei Jahre plante der Täter ihre Ausführung. An deren Beginn steht ein Ehemann, der einen unendlichen Hass auf seine Frau empfindet. Die Gattin liegt meist kränkelnd im Bett; an die Verrichtung einer geregelten Tätigkeit oder gar den Vollzug des ehelichen Beischlafs ist nicht zu denken.

"Und dann entwickelt dieser Mann, Gerwin Moss*, dieses im wertneutralen Sinne grandiose Projekt, sich von seiner Frau zu befreien", berichtet Hans-Ludwig Kröber, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Berliner Charité. In einer kleinen Werkstatt, die sich ausgerechnet hinter dem gemeinsamen Schlafzimmer befindet, feilt der Ehemann an dem perfekten Mord.

Sein Plan: Die Tat soll nach dem Werk eines perversen Sexgangsters aussehen. Also erschießt Moss seine Frau, deren Leichnam er anschließend so herrichtet, wie er sich die Attacke eines Lustmörders ausmalt: Er stellt Kerzen auf den toten Körper, heftet Tannenzweige an die Leiche, steckt ihr eine Wurst in die Scheide und beißt ihr schließlich noch mit einem Metallgebiss, das er selber gefertigt hatte, in die Brust.

Dann schießt sich Moss noch mit einem von ihm selbst ausgetüftelten Schussapparat ins Bein. Es soll der Eindruck entstehen, als sei der brave Ehemann seiner Frau noch zur Hilfe geeilt, doch dann von einer Kugel des Killers gestoppt worden. Der Bluff fliegt auf, Moss landet im Gefängnis.

Der Fall Moss ist eine von insgesamt neun "Geschichten aus der Wirklichkeit", denen der Psychiater Kröber im Laufe seiner Tätigkeit als Gerichtsgutachter begegnete - und die er nun aufgeschrieben hat.

Ein Fehler, der ein Leben ruiniert

Mordgeschichten haben immer Konjunktur und etliche Insider beliefern den Büchermarkt regelmäßig mit Storys von psychopathischen Serientätern und skrupellosen Killern. Häufig verbreiten diese Werke die immergleiche Erkenntnis in variierter Form: "Jeder kann zum Mörder werden". Oder: "In jedem Mensch steckt eine Bestie".

Für Kröbers Buch hingegen wäre auch der Titel "In jeder Bestie steckt ein Mensch" passend gewesen. Er hält sich nicht allzu lange mit dem Blick in menschliche Abgründe auf. Seine Fälle handeln nicht von dem unfassbar Bösen, das plötzlich und auf unerklärliche Weise herausbricht.

Kröber berichtet von Gescheiterten, die ihr Leben manchmal mit nur einer Fehlentscheidung komplett ruiniert haben. Auch von Lebensuntüchtigen, die auf verzweifelte Weise versuchen, den Kopf über Wasser zu halten und dabei zu Kriminellen werden. Mitunter wirkt Kröber dabei wie ein Insektenforscher, der wohlwollend seine Kuriositäten unter der Lupe beäugt. Moss etwa hält der Arzt "schon für eine Sonderanfertigung. Der war in einer geradezu liebenswerten Weise schrullig", sagt Kröber. Er spricht immerhin von einem Mann, der seine Frau getötet hatte und diese Tat jahrelang leugnete.

Doch irgendwann öffnete sich Moss gegenüber Kröber, ließ auch Distanz zur Tat erkennen und schließlich gar Reue. Heute ist Moss wieder ein freier Mann, und das hat er im Wesentlichen dem Gutachten von Hans-Ludwig Kröber zu verdanken. Denn der Psychiater war sicher, dass von Moss keine Gefahr mehr ausgeht.

"Geduld mit den Schwächen der Anderen"

Der verschwand nach der Entlassung aus dem Gefängnis in der Obhut einer kleinen Kirchengemeinde - "genau der richtige Ort für einen wie ihn", meint Kröber. Unter solchen Bedingungen könnten Mörder wie Moss jene zweite Chance erhalten, die sie verdient hätten, die ihnen häufig aber verwehrt bleibe.

Kröber hegt größte Sympathien für Orte, an denen sich vor allem merkwürdige Menschen treffen. "Ich komme ja aus einer Anstalt!", sagt er zur Erklärung. Seine Eltern waren Ärzte in den Von Bodelschwinghschen Stiftungen in Bethel (Bielefeld), in denen vorwiegend geistig Behinderte und psychisch Kranke leben. "Sonderliche Leute zu treffen", sei in seiner Kindheit und Jugend "der Normalzustand gewesen". An der Gemeinschaft der Eigentümlichen imponierte ihm die "Geduld mit den Schwächen der Anderen".

Etliche seiner Kollegen kommen gleichwohl nicht in den Genuss seines Langmuts. "Es gibt in der Forensischen Psychiatrie eine Menge von Erklärungsansätzen, die nur eine begrenzte Aussagekraft haben", sagt er. "Dann ist von gestörter Impulskontrolle die Rede, oder von Empathiestörungen oder Dominanzstreben. Und damit soll dann eine ganze Persönlichkeit erklärt werden", klagt Kröber. Auch grause ihm vor jenen Experten, "die abends in der "Tagesschau" schon wissen, warum vormittags der Mord begangen wurde".

Das gewisse Risiko

Mitunter ist Kröber auch nach jahrelanger Beschäftigung mit einem Fall ratlos. Etwa jener des Berliners Fritz Wolkow*, den er in seinem Buch als Milieustudie erzählt. Wolkow wächst in den sechziger Jahren am Stuttgarter Platz auf und entwickelt sich zu einem veritablen Kleinkriminellen. Seine Vita wird von zwei Ereignissen durchbrochen, die offenbar mit dem Rest seines Lebens in keinerlei Zusammenhang stehen: Mit 21 misshandelt und tötet er ein kleines Mädchen im Gebüsch. 18 Jahre später ermordet er in seiner Wohnung in Berlin-Wedding einen zehnjährigen Jungen.

Nach Ansicht Kröbers war Wolkow kein Pädophiler, sondern eindeutig auf Frauen bezogen. Warum er die Kinder dennoch tötete? "Ich warte auf Leser, die es mir vielleicht erklären können." Als Kröber Wolkow begegnet, ist der bereits ein alter und kranker Mann. Der Psychiater entschied, dass die Rückfallgefahr Wolkows nur gering sein. "Ich räume ein, dass bei ihm ein gewisses Risiko dabei war", sagt Kröber.

Nur drei Jahre nach der Haftentlassung starb Wolkow. Kröber: "Als ich gehört hatte, dass er gestorben ist, war ich in gewisser Weise erleichtert."

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