Keine Modekrankheit – Vor 100 Jahren hieß Burn-out Neurasthenie


Berlin –  

Sich ausgebrannt fühlen - dieser Zustand ist heute unter dem Begriff „Burn-out-Syndrom“ bekannt. Eine Modekrankheit unserer gestressten Gesellschaft, könnte man denken. Doch die gleiche Krankheit grassierte schon 1914. Damals nannte man sie Neurasthenie.

Wachsende Städte, mehr Verkehr und mehr Technik im Alltag: Was nach den Belastungen heutiger Menschen klingt, wurde auch schon vor 100 Jahren als Stressfaktor erkannt. Damals spielte zum Beispiel die Taschenuhr als Grund für Unruhe eine Rolle. Mancher guckte immerzu darauf, um sich bloß nicht zu verspäten. Heute ist der ständige Blick aufs Smartphone als Gefahr für die Seelengesundheit ausgemacht. „Burn-out“ heißt das Phänomen auf Neudeutsch im Jahr 2014. Vor 100 Jahren war „Neurasthenie“ geläufig.

„Spötter sangen: „Raste nie und haste nie, sonst haste die Neurasthenie“, schreibt der Autor Florian Illies in seinem Bestseller „1913“ in einem Kapitel über den österreichischen Autor Robert Musil (1880-1942, „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“).

Erscheinungen einer schweren Herzneurose

Der Schriftsteller Musil, eigentlich ein starker und eitler Mann, habe unter dem „Stumpfsinn“ seiner damaligen Arbeit als Bibliothekar an der Technischen Hochschule in Wien gelitten. Im März 1913 sei er deshalb zu einem Nervenarzt gegangen, schreibt Illies. „Doch was würde der Doktor sagen? Heute würde man es Burn-out nennen, damals sagte man: ‚Derselbe leidet an den Erscheinungen einer schweren Herzneurose: Anfälle von Herzklopfen mit jagendem Puls, Palpitationen beim Einschlafen, Verdauungsstörungen verbunden mit den entsprechenden psychischen Erscheinungen: Depressionszuständen und mit hochgradiger körperlicher und psychischer Ermüdbarkeit.‘“

Der Bielefelder Historiker Joachim Radkau („Das Zeitalter der Nervosität - Deutschland zwischen Bismarck und Hitler“) ist Experte für Mentalitäts-, Medizin- und Umweltgeschichte. Er erzählt: „Zwischen dem rasanten Anwachsen der Klagen über „Burn-out“ in den letzten beiden Jahrzehnten und der „Neurasthenie“-Welle ein Jahrhundert davor gibt es auffällige Analogien.“ Bei beiden Diagnosen handele es sich um Importe aus den USA, in beiden Fällen seien sie besonders im deutschen Kulturraum eingeschlagen.

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Im Jahr 2000 wird Maria Carey mit dem „Millennium Award“ ausgezeichnet, keine Künstlerin hat in den 1990er Jahren mehr Platten verkauft. 2001 lässt sich die Popsängerin wegen extremer Erschöpfung ins Krankenhaus einliefern. „Ihr ist alles über den Kopf hinausgewachsen. Sie ist nicht mehr sie selbst“, sagte ihre Sprecherin damals.

Foto: dpa


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