Kann man Krankheiten «machen»?

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Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Psychologie des Alltagslebens.

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Neuerdings höre ich auch von Ärzten, dass man eine Krankheit «macht» – also eine Grippe oder einen Krebs. Was denken Sie darüber? S. B.

Lieber Herr B.

Dass jemand einen «Herzinfarkt gemacht» hat, habe ich zum ersten Mal vor 25 Jahren von einer Krankenschwester gehört. Sie wollte damit wohl keine originelle These zur Psychosomatik des Herzinfarkts mitteilen; offenbar sagt man das in ihren Kreisen so. Ich weiss auch nicht, ob es sich dabei möglicherweise um einen Helvetismus handelt. Sozusagen um eine Schweizer Variante des Goldenen Humors – Da händ Si aber e schöni Lungeentzündig gmacht! –, also um uneigentliche Rede, denn bekanntlich ist eine Lungenentzündung weder schön, noch hat man sie gemacht.

Dies alles vorausgeschickt, fällt dennoch auf, dass sich in der Rede über Krankheiten ein Wechsel vom Passiven zum Aktiven breitgemacht hat. Krankheiten werden nicht erlitten, sondern bekämpft, als sei jeder sein eigener Semmelweis, Sauerbruch oder Pasteur. Man wird nicht von einem Krebs geheilt, sondern hat, wenn man ihn mithilfe der Chemotherapie heil überstanden hat, den Tumor besiegt. Manchmal verliert man den Kampf – aber dann hat man es wenigstens versucht und muss sich in den ewigen Jagdgründen nicht vorwerfen lassen, kein richtiger Indianer, sondern ein passives Weichei zu sein.

Seit dem Einzug der Statistik in das medizinische Denken spielt die Krankheitsprophylaxe eine besondere Rolle. Eine Krankheit stösst einem nicht zu, man wird krank, weil man nicht gesund genug gelebt hat: weil man sich zu fett und nicht salzarm genug ernährt hat, weil man zu viel Fleisch gegessen, zu wenig Sport getrieben, zu viel Alkohol und Süssgetränke getrunken und man zu viel bzw. überhaupt geraucht hat. Selbst Liebesverhältnisse werden ins Gesundheitskalkül mit einbezogen: Verheiratete Männer haben eher Übergewicht als unverheiratete, aber Singles sterben früher; aber stets gute Laune zu haben, verlängert das Leben auch nicht. Milde Religiosität scheint den Heilungsprozess zu fördern.

Die statistischen Verknüpfungen von allem und jedem mit dem Gesundheitszustand und dem Erkrankungsrisiko sind Legion. Jeder ist sein eigener Risikomanager. Und wenn man sich an diese Betrachtungsweise gewöhnt hat, dann klingt es tatsächlich weder befremdend noch abstrus, wenn jemand davon spricht, wir hätten diese oder jene Krankheit «gemacht». Mal abwarten, wann die «grobe Fahrlässigkeit» auch im Krankenversicherungsrecht als Kategorie Einzug hält.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 15.12.2015, 18:37 Uhr


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19 Kommentare

Peter Schmid


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Leider geht dieser Beitrag nicht auf die Frage ein. Dabei ist sie für viele Menschen ein wichtiger Beitrag im Umgang mit eigenen als auch den Krankheiten von Angehörigen. Es wäre wünschenwert, die Frage mit mehr als nur anekdotischen Floskeln zu beantworten.

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Ralf Schrader


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3



Die neuere Geschichte der Krankheitsbewirtschaftung beweist, dass man Krankheiten in grosser Zahl zwar nicht machen, aber erfinden kann.
Solange die Medizin noch in der vorwissenschaftlichen Phase steckt und keine allgemein verbindliche und akzeptierte Definition für 'Krankheit' bereit hält, kann jeder, wie er will, Krankheiten machen und erfinden.
Die Pharmawirtschaft, Teile der Ärzteschaft und alle sonstigen Quacksalber machen rege davon Gebrauch.


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