Justiz prüft Anklage gegen Gutachter in Obsorgefällen

Deutscher Sachverständiger: 15 Familiengutachten „fachlich verfehlt“ und „unbrauchbar“

15 Väter und Mütter haben einen Salzburger Psychologen angezeigt. Er habe sie durch „manipulierte“ Gutachten in Pflegschaftssachen massiv geschädigt.

Doktor B. erstellte zahllose, umstrittene familienpsychologische Gutachten für Bezirksgerichte in Salzburg und OÖ. Fotomontage: SF/Neumayr 
Richard Maier, Verein Kindergefühle: „Wir haben uns wie Klone gefühlt.“ Foto: Privat

Mehr als ein Dutzend Männer und Frauen aus Salzburg und Oberösterreich sieht sich durch einen Salzburger Gerichtssachverständigen geschädigt. Die Betroffenen kämpften nach Trennungen um die Obsorge für die Kinder oder wollten die  demente Mutter heimholen.
Die familienrechtlichen Gutachten erstellte der Psychologe Doktor B. (49), der damals in Salzburg praktisch alleine die Gerichte bediente. Jetzt steht B. selber im Visier der Justiz. Es geht um den Verdacht des gewerbsmäßigen Betrugs und der Beweismittelfälschung. Die Begutachteten werfen B. vor, er habe tendenziöse und manipulierte Gutachten „wie am Fließband“ erstellt. Was B. bestreitet. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
Nun belastet ihn aber ein brisantes Obergutachten. Der   deutsche Gerichtssachverständige Max Steller beurteilt 15 Gutachten des Psychologen als „fachlich so fehlerhaft“, dass sie vor Gericht schlicht „unbrauchbar“ seien.

Die Gutachten eines Salzburger Gerichtsgutachters sind Gegenstand von Justizermittlungen. Ein Salzburger Gerichtsgutachter habe ­„abwegige“ Diagnosen erstellt und ­Persönlichkeitsstörungen erörtert, obwohl es dazu keinen Anlass gab. Bei einem Vater verschlechterte der Psychologe den Wert für ­Glaubwürdigkeit, ohne dies im Gutachten zu ­dokumentieren.

Max Steller ist emeritierter Professor für forensische Psychologie am Berliner Universitätskrankenhauses Charitè. Der renommierte Gerichtssachverständige prüfte im Auftrag der Staatsanwaltschaft Linz 15 Gutachten eines heute 49-jährigen Psychologen, gegen den die Justiz wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs und der Beweismittelfälschung ermittelt. Stellers vielsagendes Fazit  am Ende von 280 Seiten: Er habe „in mehr als 40 Jahren seiner Tätigkeit als Sachverständiger ... so ein Prozedere noch nie vorgefunden.“

„Fließband-Gutachter“

Gemeint ist eine auf weiten Strecken unverständliche Sprache, die bis hin zur „Unmöglichkeit einer Sinnentnahme“ geht, so Steller. So findet Doktor B. bei der Bindung eines Kindes zum Kindesvater „bindungsdynamische Auffälligkeiten  einer unängstlich sicherer Bindung zum KV“ (Fehler im Original). Warum Pflegschaftsgerichte in Salzburg und Oberösterreich kaum lesbare Expertisen in Familienrechtssachen durchgehen lassen, ist eine Frage, die die Justiz beantworten müsste. Dazu waren B.s Gutachten in Scheidungs-, Obsorge und Sachwalterschaftsverfahren laut Professor Steller auch „fachlich völlig verfehlt“ (siehe Kasten).
2008 geriet B. als „Fließband-Gutachter“ in die Schlagzeilen. Von ihm begutachtete Väter, Mütter und erwachsene Kinder fühlten sich geschädigt, da Doktor B. „verfälschte und manipulierte Gutachten“ vorgelegt habe. Rechtsanwalt Otto Hauck schrieb für einen Vater an die Staatsanwaltschaft: Doktor B. habe „fälschlicherweise Tests, Screeningverfahren, Untersuchungen und dgl. angegeben“, obwohl die meisten Begutachteten von  einer Stunde, oder weniger berichten, die sie in B.s Praxis an der Linzer Gasse waren.
Im Fall des Linzer Oberarztes Christian F. hat der Gutachter sogar den „Lügen-Skalenwert“ in einem streng normierten psychometrischen Test eigenmächtig abgeändert (der MMPI-Test stellt die Persönlichkeitsdimensionen dar). Doktor  B. erhöhte den von einer Software errechneten Wert von 68 auf 80, da er beim Probanden „mögliche Verleugnungstendenzen“ erkannt haben wollte – dokumentierte dies im Gutachten aber nicht.

Den Sohn eingewiesen

Der betroffene Vater, Radiologe F., deckte die Manipulation selber auf. „Ich arbeite mit Mathematik. Herr B. hat bei mir den höchsten Wert bei der Verlogenheit angegeben, um mich als unglaubwürdig hinzustellen.“ F. hält die „Testbatterie des  Doktor B. für eine Zauberei im Erwachsenenbereich“. B. diagnostizierte beim Sohn von F. nach einem traumatischen Erlebnis fälschlicherweise ein Asperger-Syndrom (eine Form des Autismus), woraufhin der Bub zwei Jahre in eine Schwerstbehindertenanstalt musste. Ein neuer Gutachter beurteilte den Sohn wesentlich wohlwollender. Der Bub wohnt nun beim Vater und besucht die Regelschule. Einem anderen  Kindesvater lastete Gutachter B. die Einnahme von Antidepressiva an („erst nach Vorhalt angegeben“), zu den „fünf Psychopharmaka“ zählte B.  auch  die Blutdruck- und Schilddrüsenmedikamente, die der Mann verschrieben bekommen hatte.
Aus der Causa ist der „Verein Kindergefühle“ mit Sitz in Wals entstanden. Landesleiter Richard Maier: „Wir haben uns gewehrt, weil wir uns wie Klone vorgekommen sind. In unseren Gutachten finden sich idente kopierte Textpassagen, die am Ende zu ext­rem unterschiedlichen psychischen Störungen führten.“ Jetzt könne die Justiz den Akt nicht mehr zumachen. 

Sonja Wenger

Tendenz zur Pathologisierung


Psychologische Gutachter haben eine enorme Macht. Von den Sachverständigen, die Einblick in intimste Angelegenheiten erhalten, darf man einen sorgsamen Umgang mit den ihnen vorgestellten Menschen verlangen. Der deutsche Sachverständige Max Steller kann dies bei dem Salzburger Gutachter B. nicht erkennen. B.s Diagnosen und Behauptungen seien
„abwegig“ und „nicht nachvollziehbar“. Er folge einem „Schema des Abarbeitens zahlreicher psychopathologischer Symptone“ und nehme diskreditierende Wertungen vor. Steller wörtlich: „In allen geprüften Gutachten ist eine Tendenz zur ungerechtfertigten Pathologisierung der beteiligten Personen festzustellen … Die beschriebenen Personen zeichnen sich durch ... psychopathologische Auffälligkeiten aus – nicht durch eine eigene Persönlichkeit.“ B.s Gutachten seien fachlich „voll gravierender Mängel“. Es sei verfehlt, bei Elternteilen Persönlichkeitsstörungen oder sexuell abweichendes Verhalten zu erörtern, obwohl „es dazu keinen Anlass gibt“. Dasselbe gelte für „die Diskussion einer Persönlichkeitsstörung bei einem achtjährigen Mädchen“ oder „die bloße Erwähnung von parasuizidalen Tendenzen“ bei einer Dreijährigen, so Steller. Sein Fazit: „In allen geprüften Gutachten von Dr. B. fanden sich so gravierende Mängel, dass die Gutachten … als Entscheidungshilfe für ihre Auftraggeber unbrauchbar sind.“

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