"IZ-Begegnung" mit der Psychotherapeutin Sarah Owega über ihren Beruf, über …

(iz). Es ist wichtig, als Therapeut den Klienten/die Klientin aus dessen/deren Wertvorstellungen heraus zu begreifen. Dies ist eine der Quintessenzen von Sarah Owega, die derzeit als Psychotherapeutin in einer Klner Praxisgemeinschaft arbeitet. Frau Owega studierte zwischen 1997 und 2003 Psychologie an TU Braunschweig. Die Niederschsin absolvierte von 2003 bis 2006 in Kln eine Weiterbildung zur Psychotherapeutin, wo sie sich 2007 mit eigener Praxis niederlie.



Mit ihr sprachen wir ber ihr Arbeitsgebiet, die Unterschiede zur Psychologie und die gesonderten Probleme von muslimischen Patienten, den Umgang mit ihnen, was sich vom Islam in Sachen Menschen lernen lsst und was seelische Gesundheit fr sie bedeutet.

Islamische Zeitung: Liebe Frau Owega, Sie arbeiten als Psychotherapeutin in Kln. Was muss man sich darunter vorstellen und was unterscheidet Ihr Fachgebiet von dem eines Psychiaters?

Sarah Owega: Psychotherapie zielt darauf ab, mit Hilfe von wissenschaftlich erprobten Methoden, psychische Krankheiten zu behandeln, indem das leidverursachende emotionale Erleben und Verhalten konstruktiv verndert wird. Die Methoden sind recht unterschiedlich, von der Psychoanalyse zur systemischen Therapie bis hin zur Verhaltenstherapie gibt es viele, unterschiedliche Verfahren, die jedoch eins gemeinsam haben: die Vernderung innerer Prozesse, sodass psychisches Leiden verringert und der berufliche und private Alltag besser bewltigt werden knnen. Meist geht es dabei um die Vernderung von ausgeprgten, psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Essstrungen, Panikattacken, Zwangserkrankungen oder hnlichen Problemfeldern, die einen erheblichen Leidensdruck fr die Betroffenen verursachen.

Es gibt sowohl Psychotherapeuten mit psychologischem, als auch rztlichem Hintergrund. Kennzeichnend fr psychologische Psychotherapeuten ist derzeit eine mindestens dreijhrige Weiterbildung nach dem Psychologiestudium. Die Weiterbildung zum psychologischen Psychotherapeuten umfasst, neben theoretischem Wissenserwerb, ein so genanntes Psychiatriejahr, indem Psychologen meist in einer Klinik arbeiten, sowie eine zweijhrige Arbeit in der Institutsambulanz, die supervisorisch begleitet wird. Psychiater haben ein medizinisches Studium absolviert und konzentrieren sich meist auf die medizinischen Aspekte psychischer Erkrankungen und verschreiben Medikamente, die Neurotransmitter-Stoffwechseldysbalancen regulieren sollen- bei schweren Depressionen oder Psychosen ist dies meist unverzichtbar. Es gibt auch Psychiater, die psychotherapeutisch ttig sind.

Da eine - in der Regel wchentlich stattfindende - Psychotherapiesitzung 50 Minuten andauert und absolute Konzentration auf den Klienten/die Klientin erfordert, ist dies in einer psychiatrischen Praxis mit vielen hunderten Patienten jedoch eher selten der Regelfall. Idealerweise findet jedoch eine interdisziplinre Zusammenarbeit zwischen Psychiatern, Psychotherapeuten und anderen, wie beispielsweise Sozialarbeitern, statt. Dies kann insbesondere bei lebensbedrohlichen Krisen eine groe Hilfe darstellen und bietet Menschen oft den notwendigen Halt, um diese besser bewltigen zu knnen.

Islamische Zeitung: In Ratgebern und Fachbchern, die sich mit muslimischen Patienten beschftigen wird gelegentlich von einem schwierigen Zugang von Muslimen zu dieser Sparte gesprochen. Deckt sich das mit Ihren Berufserfahrungen?

Sarah Owega: Ein klares Jein - wobei ich sicherlich keine reprsentativen Aussagen treffen kann. Hufig ist es so, dass es bei Muslimen, insbesondere mit Migrationshintergrund, kulturelle Besonderheiten gibt, und zwar dass die familiren Systeme meist kollektivorientiert und weniger individuumszentriert sind. Dies findet man zwar auch in andersglubigen, osteuropischen Familien oder auch in sdlndischen Kulturen.

Bei Muslimen stellt sich jedoch insbesondere die Frage zwischen der Vereinbarkeit eigener Wertvorstellungen mit den islamischen oder familir-kulturell geprgten Vorstellungen. Psychotherapie konzentriert sich vorwiegend auf die eigenen Vorstellungen und stellt nicht zwangslufig die Frage nach der Vereinbarkeit mit familiren Regeln, was insbesondere fr streng glubige Eltern oft ein Problem darzustellen scheint. Der Grundsatz, seine Eltern und insbesondere die Mutter zu ehren, kann zu ausgeprgten inneren Konflikten fhren, vor allem, wenn Eltern grenzenlos agieren.

Nicht selten habe ich gehrt: Wir knnen doch XY nicht zu einem nicht-muslimischen Psychotherapeuten schicken. Am Ende wird sie/er noch gegen die Familie aufgehetzt oder ermutigt, eine Freundin/Freund vor der Ehe zu haben oder (bei Frauen) das Kopftuch abzulegen. Ich erlebe, dass manche Eltern groe ngste haben: Was passiert, wenn sich Jugendliche oder junge Erwachsene ihrer Rechte bewusst werden und sich gegen die Lebensweise der Eltern entscheiden? Das ist nicht nur ein muslimisches Problem, in der westlichen Gesellschaft hat man sich jedoch ber einen lngeren Zeitraum damit auseinander setzen knnen, dass Kinder ab etwa 18 Jahren erwachsen werden - dennoch gibt es auch bei nicht-muslimischen Familien groe Ablsungsprobleme.

Junge Muslime befinden sich jedoch als Minderheit oft viel mehr in der Zwickmhle, einerseits fhlen sie sich der Religion verbunden und verteidigen ihren Lebensstil in unzhligen Diskussionen gegenber der Mehrheitsgesellschaft, andererseits mchten sie eigene Wege gehen und treffen in ihrem familiren und gesellschaftlichem Umfeld auf Intoleranz. Nicht jeder junge Erwachsene verfgt ber gengend Kompetenzen, um sich dem zu stellen und verfllt in ungnstige Lsungsanstze, die dann ausgeprgtes psychisches Leiden verursachen und die Ausgangsproblematik zustzlich verschrfen.

Islamische Zeitung: Was sind Ihre Erfahrungen/Erkenntnisse im Umgang mit muslimischen Patienten? Klagen diese beispielsweise ber andere Probleme als die nichtmuslimischer Mehrheit?

Sarah Owega: Wenn man gemeinsam einen Therapieplan entwickelt hat, kann es zum Beispiel darum gehen, noch bestehende ngste zu bewltigen und sich bengstigenden Situationen zu stellen. Vereinfachend gesagt, knnte dies bei sozialen ngsten bedeuten, im Kontakt mit engen Bezugspersonen es auf sich zu nehmen, sich unbeliebt zu machen, zum Beispiel indem man nun doch nicht in den Semesterferien die Groeltern besucht, weil man fr das Studium lernen muss oder dies einfach nicht mchte.

Ein kaum religis geprgter Mensch muss sich dazu nun mit der Belastung auseinandersetzen, dass die Groeltern traurig sein werden und man sie enttuscht. Ein kollektiv-orientiert denkender Muslim knnte sich zustzlich noch fragen, ob sein Verhalten nicht im Gegensatz zu den islamischen Prinzipien steht und welche Folgen dies fr das diesseitige und jenseitige Leben haben knnte. Dieser religise Aspekt stellt dann eine zustzliche Hrde dar, wenn es darum geht, etwas am eigenen Verhalten zu ndern und erfordert ein gewisses Fingerspitzengefhl fr die Glaubensvorstellungen des Gegenbers, die man vielleicht nicht immer nachvollziehen kann.

Eine Kollegin, die ber 40 Jahre Berufserfahrung verfgt, berichtete mir, dass sie hufig mit Muslimen arbeite und diese meist an einem Punkt in die Therapie kmen, wo es endgltig um die Ablsung vom Elternhaus und den Schritt in die Selbststndigkeit gehe: Beispielsweise bei Studiumsende trten dann Probleme auf, die es in der Biographie vorher nie gegeben hatte. Ich denke, das ist kein Zufall, sondern hat etwas mit der Vermischung religis-kultureller Aspekte und der durch die Migration ausgelsten ngste der Eltern zu tun.

Islamische Zeitung: Liebe Frau Owega, jenseits der muslimischen Patienten, besteht fr Sie als Fachfrau ein Zusammenhang zwischen seelischer Gesundheit und Wohlbefinden beziehungsweise deren Abwesenheit und der Art und Weise, wie wir leben? Wenn ja, in welcher Form?

Sarah Owega: Natrlich kann man sich erst mit seelischer Gesundheit und Wohlbefinden befassen, wenn die Grundbedrfnisse nach Schutz, Nahrung und krperlicher Gesundheit gewhrt sind. Das heit, es ist nicht verwunderlich, dass sich die Industrienationen, die in der Regel eine bessere Versorgung der Grundbedrfnisse gewhrleisten, nun vermehrt auf das psychische Wohlbefinden konzentrieren knnen. Die Kriege, auch der Vietnamkrieg, haben dazu gefhrt, dass man sich vermehrt mit Traumaforschung beschftigte und neurophysiologische Messungen wie das PET, fMRI oder andere Methoden knnen nun eher abbilden, welche Auswirkungen psychische Erkrankungen haben. In anderen Lndern gibt es hinsichtlich der epidemiologischen Forschung oft weniger Daten, weshalb Rckschlsse auf urschliche Zusammenhnge schwer sind. Persnlich denke ich, dass es sicherlich gesellschaftliche Probleme gibt, die psychische Erkrankungen frdern.

Es gibt beispielsweise Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Medienkonsum von Kindern und Krperschemastrungen, die Essstrungen nach sich ziehen knnten, zeigen. Dennoch reicht dies nicht aus, um eine Essstrung zu entwickeln; meist spielen in der Familie erlernte Denk- und Verhaltensweisen eine prgende Rolle. Doch da schliet sich eventuell der Kreis: Denn warum denkt der erfolgreiche Manager, dass seine nicht extrem schlanke Tochter auch mit ihrer ausgezeichneter Abiturnote nicht so erfolgreich sein wird und spornt sie an, mehr Sport zu treiben? Was tut die Gesellschaft, um solch ein Bild zu vermitteln und woher kommt es, dass es in Deutschland weiterhin Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Mnner gibt?

Islamische Zeitung: Immer hufiger hrt man in Medien, dass Strungen wie beispielsweise Depression immer mehr Menschen betreffen. Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung und was sind die Ursachen dafr?

Sarah Owega: Die Ursachen sind vielfltig und viele Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft sprechen dafr, bereits frh nach Ursachen zu suchen, wie beispielsweise in der Erziehung: hufig herrscht Unklarheit darber, welche Bedrfnisse ein Kind hat und welche emotionalen Kompetenzen es berhaupt noch erwerben muss. Fr viele Eltern ist es schwer, sich zu orientieren: Autoritre Erziehung ist bse, antiautoritre Erziehung nur etwas fr realittsfremde kos und meist bleibt dank der durch den Beruf notwendigen Mobilitt und Flexibilitt wenig Zeit, sowie wenig Rckhalt durch andere Familienmitglieder. Die Grofamilie gibt es in dieser Form nur noch selten und Eltern sind auf oft wechselnde Betreuungspersonen angewiesen.

In der Gesellschaft werden Kinder am liebsten dann gesehen, wenn sie schn brav sind und Eltern mchten als gut gelten und kein unerzogenes Blag vorweisen. Schreit das Kind dann doch im Supermarkt an der Kasse, weil es den Lolli nicht bekommt, so wird hufig nachgegeben: Dadurch entsteht zwar noch lange keine Depression, aber Kinder lernen immer seltener, unangenehme Dinge in Kauf zu nehmen und entwickeln keine angemessene Frustrationstoleranz.

Wenn sich dies durch die Biographie durchzieht, vielleicht sogar noch in Kombination mit einem hohen Anspruch der Eltern, kommt zwangslufig im Leben der Punkt, an dem man mit Bequemlichkeit nicht weiter kommt. Nimmt man dies dann anhand anderer Ressourcen als Herausforderung an, kann man sich weiter entwickeln und daran wachsen. Gibt es dann jedoch noch andere Belastungsquellen wie einen eher fordernden Job mit langen Arbeitszeiten sowie wenig andere, verstrkende Aktivitten kann es zu tiefgreifenden berforderungsgefhlen und gegebenenfalls der Entstehung einer Depression kommen.

Islamische Zeitung: Seit einiger Zeit schon beschftigt sich eine Gruppe unter anderem sterreichischer Therapeuten mit dem Verhltnis von Psychotherapie und Islam beziehungsweise ihren Wechselwirkungen. Ist das ein Arbeitszweig, der auch fr Sie von Bedeutung ist? Wenn ja, in welcher Form?

Sarah Owega: Das ist ein interessanter Aspekt, der weiterer Forschung bedarf. Im praktischen Alltag kommt es natrlich zu den oben beschriebenen Wechselwirkungen zwischen Psychotherapie und islamisch geprgten Lebensweisen. Es bedarf dann meist individueller Lsungen.

Islamische Zeitung: Auch in der muslimischen Medizingeschichte spielt die Behandlung geistiger/seelischer Probleme oder Krankheiten eine wichtige Rolle. So wre hier beispielsweise die Musiktherapie zu nennen. Haben Sie sich von dieser Tradition inspirieren lassen?

Sarah Owega: Die gesamte Psychotherapieforschung hat sich davon inspirieren lassen. Die kognitive Verhaltenstherapie konzentrierte sich zu Beginn sehr auf gedankliche Vernderungen, aktuell spielen unter anderem auch spirituelle Elemente aus dem Buddhismus unter dem Stichwort Achtsamkeit eine groe Rolle und helfen insbesondere bei tiefgreifenden psychischen Erkrankungen im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts. Menschen, die in der Kindheit Traumata wie Gewalt oder extreme emotionale Vernachlssigung erlebt haben und als Erwachsene eine Borderline-Strung entwickeln, profitieren sehr von einer Therapieform, die unter anderem Achtsamkeitselemente beinhaltet (die so genannte Dialektisch-Behavioralen Therapie nach Linehan). Mit der Achtsamkeit vergleichbar ist das tgliche Wudu und Gebet.

Auch fr Burn-Out, Depression und andere Erkrankungen sind achtsamkeitsorientierte Therapieinhalte oft hilfreich. In unserer mittlerweile hoch technisierten Welt fehlen tatschlich sprbare Erlebnisse, die all unsere Sinne ansprechen: statt einen Waldspaziergang zu machen, wo man Wurzeln unter dem Ballen sprt und den Kieferngeruch wahrnimmt, sowie Vgelzwitschern hrt, geht man mit mp3-Player in ein Fitnessstudio und spult mechanisch das Sportprogramm herunter. Musik-, Kunst-, oder Krpertherapie knnen helfen, sich selbst wieder besser zu spren, Vermeidungstendenzen bewusster zu machen und dadurch Vernderungen in Gang bringen.

Islamische Zeitung: Hat Ihr eigener Islam einen Einfluss darauf, wie Sie als Therapeutin das geistige beziehungsweise seelische Gleichgewicht eines Menschen verstehen?

Sarah Owega: Ja und nein. Es ist wichtig, als Therapeut den Klient/die Klientin aus dessen/deren Wertvorstellungen heraus zu begreifen. Man kann weder einfhlsam sein, noch Hilfe zur Selbsthilfe geben, wenn man anfngt, eigene Wertvorstellungen auf andere Menschen anzubringen. Ich denke auch nicht, dass dies besonders islamisch ist. Ebenso wenig sehe ich mich als Seelsorgerin oder Predigerin. Sondern als Psychotherapeutin einer Wissenschaft verpflichtet, die mit bewhrten Methoden Menschen darin untersttzt, wieder eigene Ressourcen zu mobilisieren und eigene Ziele zu erreichen. Diese Ziele mssen nicht meinem Wertebild entsprechen. Dies versuche ich dem Klienten/ der Klientin von Anfang an zu vermitteln.

Islamische Zeitung: Liebe Frau Omega, vielen Dank fr das Interview.

Leave a Reply