Ist Intelligenz erblich?

Wie hältst du’s mit dem biologischen Determinismus?

Biologie: Dieter E. Zimmer tut seine Meinung zu einem abgehangenen Thema kund: der Erblichkeit von Intelligenz

Anlage gegen Umwelt heißt das Match: Nature versus Nurture. Werden wir so gescheit wie in unserem Erbgut vorgesehen – oder liegt es mehr an der Erziehung? Für die Psychologie bot diese Frage einen ihrer ersten Forschungsgegenstände. 140 Jahre später zeigt ein bewährter Wissenschaftsjournalist, dass sie für manche Menschen brandaktuell geblieben ist. Um es kurz zu sagen: Dieter Eduard Zimmer setzt auf die Natur. Der langjährige Zeit-Redakteur und Autor mehrerer Bücher über die biologischen Grundlagen unserer Psyche erklärt, „wie und warum die zuständigen Disziplinen der Wissenschaften nicht umhingekommen sind, die individuellen IQ-Unterschiede für substanziell erblich zu halten“.

Zahlreiche Zahlen zitiert er für die angebliche Erblichkeit unserer Geistesgaben: Je nach Studie und Lebensalter ließe sich diese mit bis zu 80 Prozent beziffern. Zahlenvergleiche spielen auch bei den sogenannten Länder-IQs eine große Rolle. Dass die Abweichung der durchschnittlichen Intelligenzquotienten in afrikanischen Ländern von den Mittelwerten Europas auch etwas mit den Testverfahren zu tun haben könnte, wird wohl erwähnt. Aber ein kritisches Hinterfragen dieses Regionenrankings sähe anders aus.
Der gelernte Literaturwissenschaftler wagt sich noch weiter vor: zu Unterschieden zwischen menschlichen „Rassen“. Des ethischen Risikos eingedenk beschränkt er sich dabei ausschließlich auf Zitate. Das Manöver scheitert: Erstens wird die Grundfrage nie gestellt; viele Forscher, wie aktuell Markus Hengstschläger („Die Durchschnittsfalle“, 2012), bezweifeln, dass sich innerhalb der menschlichen Spezies ausreichende genetische Differenzen für die Unterscheidung von „Rassen“ finden.
Zweitens geht Zimmers Zitatenauswahl in Richtung Revival des glücklicherweise großteils entsorgten Begriffs. Drittens brauchte es, um solch einen Eiertanz elegant zu bewältigen, möglicherweise noch mehr geistige Flexibilität, als sie hier ein auf biologistische Weltsicht abonnierter Autor jenseits der 75 aufbringt. Große Ehre erweist Zimmer der Historie der Nature-Nurture-Kontroverse. Francis Galton und die Zwillingsforschung – sowie deren Weg zur Entschlüsselung der Erblichkeit – bekommen reichlich Raum. Immerhin gibt es wenige Methoden, die sich wie diese über eineinhalb Jahrhunderte als Via Regia eines Forschungsgebiets behaupten.
Weniger Beachtung findet die von vielen Autoren seit Jahrzehnten anerkannte Lösung des Anlage-Umwelt-Dilemmas: Wechselwirkungen. Jene Effekte, die eine eindeutige Zuordnung zu „ererbt“ oder „erworben“ relativieren, beispielsweise genetisch gut ausgestattete Kinder, die sich auch in schwachen sozialen Umfeldern reizvolle Bedingungen für ihr Hirntraining schaffen, werden kaum erwähnt. Seine Höhepunkte erreicht Zimmers Buch dort, wo es nicht unmittelbar um Ergebnisse zum Erbgut geht. Die Gschichterln der getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillinge sind faszinierend.
En passant wirft er hier eine Forschungsfrage mit mehr Nachrichtenwert auf, als ihn die gute alte Tante Intelligenz zu bieten hat: Wie kommt es zu Ähnlichkeiten in den sensorischen Vorlieben getrennt aufgewachsener genetisch identer Menschen? Denn für ausschließliche Affinität zu Bier der Marke Budweiser kann es kein Gen geben, das wurde zu Zeiten des Säbelzahntigers, als sich unser heutiger Genpool entwickelte, einfach noch nicht ausgeschenkt.

Stilistisch erfüllt Zimmer die Anforderungen adäquater Wissenschaftsvermittlung fraglos: Das liest sich leicht und locker, da lernt man Neues – sei es auch zu einem gut abgehangenen Thema. Wer in den letzten 140 Jahren noch nicht alles erfragt hat, was er immer schon über Zwillingsforschung wissen wollte, wird hier bestens bedient.
Allerdings stellt sich für Autoren mit Ambitionen in ähnlicher Richtung und ihre Verleger die Gretchenfrage 2.0: „Wie hältst du’s mit dem biologischen Determinismus?“ Als Fortsetzung eines mit „Ist Intelligenz erblich?“ begonnenen Trends wären Titel denkbar wie „Sind Gehirne von Männern größer als die von Frauen?“ oder „Rasse – ein genetisch gerechtfertigter Begriff!“. Und das ist dann schon höchst bedenklich.

Andreas Kremla in Falter : Buchbeilage 11/2012 vom 14.3.2012 (Seite 44)

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