Ichbezogenheit führt zu Angst und Depression

Zuletzt aktualisiert: 28.04.2014 um 10:47 UhrKommentare

Laut Experten nimmt in Industriestaaten die Zahl der Menschen dramatisch zu, die an einer Depression oder Angststörung leiden. Ein Grund sei eine wachsende Ichbezogenheit und Geld als Maßeinheit für Status.

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In Industrieländern wird eine "dramatische Zuname der behandelten Fälle im Bereich der emotionalen Störungen beobachtet", erklärte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Jürgen Margraf, am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Wien. Depression und Angststörungen seien "auf dem Vormarsch", was auch stark mit veränderten gesellschaftlichen Zielvorstellungen zusammenhänge.


Der Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Bochum, der die Tagung mit einem Vortag zum Thema "Positive Emotionen als Schutzfaktor unserer psychischen Gesundheit" eröffnete, wies anlässlich der beginnenden 11. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie (ÖGP) auf "spektakuläre Daten" hin, die nicht nur in Nordamerika starke Zuwächse bescheinigen. Gleichzeitig sei in den vergangenen Jahrzehnten wachsender Narzissmus zu beobachten.

Status über Geld definiert

Zunehmende Ichbezogenheit lasse sich abseits der klinischen Forschung etwa auch in Popsongs nachweisen, in denen Wörter wie "I, me, mine" (englisch für "ich", "mich", "mein"; Anm.) heute häufiger vorkommen als noch vor 20 Jahren. Das sei gesamtgesellschaftlich eingebettet in eine "Verschiebung von internalen zu externalen Zielen", so Margraf. Der Anspruch, sich über Status und Geld zu definieren und weniger über Beziehungen und Suche nach Sinnhaftigkeit rücke in den Vordergrund.

Dazu komme, dass Menschen bei der Orientierung an externen Zielen auch falsche Vorstellungen hätten. Margraf: "Der Durchschnittsmensch überschätzt das durchschnittliche Einkommen, die Durchschnittskörpergröße, sogar die Durchschnittsoberweite oder -penislänge. Es ist unglaublich, was alles überschätzt wird." Die größere wahrgenommene Diskrepanz zwischen all dem und der persönlichen Realität verstärke das Risiko an einer emotionalen Störung zu leiden.

Tabletten führen oft zu mehr Problemen

Die starke Zunahme bei der Einnahme von Psychopharmaka könne hier nicht nachhaltig gegensteuern. "Obwohl die Industrie behauptet, dass sie tolle Erfolge hat", scheine es, als ob mehr Psychopharmaka auch zu mehr Problemen führen, so der Experte. Es gebe Hinweise, dass Medikamente oft allenfalls kurzfristige Effekte haben und auf lange Sicht sogar negative Effekte überwiegen. "Wir sind an einem Punkt, wo wir etwas tun müssen. Es kann so nicht einfach weitergehen", erklärte Margraf.

Ein wichtiger Schutzfaktor für die psychische Gesundheit seien positive Emotionen. Als Beispiel nannte der Experte eine Studie, in der Nonnen beim Eintritt in einen Orden ihre Motivation für diesen Schritt in einem kurzen Text darlegen mussten. Wenn sich dort Hinweise auf positive Emotionen wie Freude oder Stolz fanden, habe sich die durchschnittliche Lebenserwartung um zehn Jahre erhöht. Neben diesem Einzelbefund gebe es viele weitere Hinweise auf solche Effekte.

Positive Gefühle helfen

Führe man das alles zusammen, komme man zu dem Schluss, dass es "alltägliche positive Aktivitäten" brauche, so Margraf. In der Forschung komme man zu folgendem Schluss: Positive Gefühle sollten im Alltag mindestens drei Mal so häufig wie negative Gefühle vorkommen. Sei das nicht der Fall, steige die Wahrscheinlichkeit an einer Depression zu erkranken rapide. Margraf: "Wir müssen das, was wir brauchen, täglich tun und das kann man üben und verbessern."

Im Rahmen der 11. Tagung der ÖGP tauschen sich etwa 350 Wissenschafter an der Universität Wien über aktuelle Forschung in der Psychologie aus. Neben der Klinischen Psychologie werden sowohl grundlagenorientierte und anwendungsorientierte Forschungsbereiche von der Neuroforschung bis zur Wirtschafts- oder Bildungspsychologie noch bis 26. April beleuchtet, wie ÖGP-Präsidentin Christiane Spiel betonte.





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