Holland deicht sich ein

Samstags stehen die Studenten aus Deutschland auf dem Rathausplatz von Groningen, im Norden der Niederlande, und treffen ihre Landsleute. Inzwischen gibt es knapp 20 junge Deutsche, die abwechselnd jede Woche Schulklassen, Seniorengruppen, Kegelvereine durch ihre Studentenstadt führen - sie teilen mit ihnen ihre Begeisterung für die neue Heimat Holland.

"Inzwischen hat sich unser Angebot in ganz Deutschland herumgesprochen", sagt Stadtführerin und Psychologie-Studentin Christa Große-Schawe, 23. "Wir haben schon viele deutsche Gruppen nach Groningen gelockt", sagt Theaterwissenschaftsstudent Lukas Müller, 24, ursprünglich aus Oldenburg. Für das Stadt-Marketing sind die studentischen Gästeführer aus Deutschland ein Glücksfall - ein Beispiel, wie Holland von jungen Deutschen profitiert.

24.000 deutsche Studenten sind an Universitäten in den Niederlanden eingeschrieben, beliebter ist nur der südliche Nachbar Österreich. In Holland bilden Deutsche die größte Gruppe ausländischer Studenten und es werden immer mehr, Jahr für Jahr kommen derzeit rund 2000 neue Gaststudenten hinzu. Nicht jedem gefällt diese Entwicklung: Ende Dezember schrieb Halbe Zijlstra, der Staatssekretär im Bildungsministerium in Den Haag, einen öffentlichen Brief an das niederländische Parlament. Darin schlägt er vor, die deutsche Regierung an den Kosten zu beteiligen - und strengere Zulassungskriterien für ausländische Bewerber einzuführen.

Huch, sind das viele Deutsche

Der Grund sind vor allem die Sparmaßnahmen an niederländischen Hochschulen: Denn jeder ausländische Student kostet den niederländischen Staat 6000 Euro - allein für die deutschen Studenten gibt Holland so 144 Millionen Euro pro Jahr aus. Kompensiert wird das zwar wieder durch Holländer, die im Ausland studieren - insgesamt kommen aber mehr Studenten ins Land als es verlassen. So entsteht den Niederlanden eine jährliche Belastung von 90 Millionen Euro.

Bei dem Streit geht es auch darum, wie die Lasten in Europa verteilt werden. Die Hochschulausbildung wird internationaler. Franzosen ziehen nach Belgien, Deutsche nach Österreich, schwedische Studenten nach Dänemark. Eine Bewegung findet dabei hauptsächlich von großen in kleine Staaten statt. Dem will Holland nun begegnen.

"Nach den ersten Vorlesungen war ich überrascht, dass in meinem internationalen Studiengang über 80 Prozent der Studenten Deutsche sind", sagt Christa Groß-Schawe. Auch der niederländische Dozent grüße inzwischen auf Deutsch. Die Schwierigkeit sei bloß, sagt Christa, dass bei so vielen Landsleuten kaum Kontakt zu Holländern entstehe.

"Schlechte Studenten, die ihr Glück in den Niederlanden suchen"

Natürlich hätten die vielen deutschen Studenten auch positive Effekte, so Staatssekretär Zijlstra: Die ehrgeizigeren Deutschen höben den Notenschnitt an, auch die Handelsbeziehungen zwischen den Ländern würden gestärkt. Trotzdem blieben Gefahren, schreibt Zijlstra unter Punkt vier seines Briefs an das Parlament in Den Haag: "Der unkontrollierte Zustrom ausländischer Studenten kann ernsthafte negative Folgen für die Unterrichtsqualität haben - vor allem, wenn einzelne Nationalitäten überrepräsentiert sind." Internationale Studiengänge sollten auch international sein - und nicht nur von "Niederländern und/ oder Studenten einer spezifischen Nationalität" belegt werden. Das gelte besonders für deutschsprachige Studiengänge in Grenznähe, schreibt Zijlstra.

Hochschulen sollen deshalb künftig "kritisch sein" bei der Zulassung und mehr Möglichkeiten zur Auswahl von Studenten bekommen. "Selektion an der Tür ist das wichtigste Instrument, um zu verhindern, dass große Gruppen schlechter Studenten ihr Glück in den Niederlanden suchen", schreibt der Staatssekretär seinen Hochschulen ins Stammbuch.

Bisher waren die Niederlande vor allem beliebt bei Deutschen, weil es dort kaum Numerus Clausus-Beschränkungen gibt. Bei den gefragten Studiengängen Psychologie und Medizin beispielsweise wird gelost. Die einzelnen Universitäten wählen ihre Studenten bisher meist nicht selbst aus.

Dass sich das ändern soll, hält Lisette Pals von der Uni Nimwegen für eine "gute Entwicklung". Nimwegen, direkt an der Grenze zu Deutschland, zählt mit Enschede und Maastricht die meisten Deutschen. "Wir sind sehr glücklich über die deutschen Studenten", sagt Pals. "Internationalität und die Mobilität von Studenten sind uns wichtig."

Bundesbildungsministerium kennt die niederländischen Pläne nicht

Eine Sprecherin des deutschen Bundesbildungsministeriums sagt: "Die Freiheit, seinen Arbeitsplatz und Studienort innerhalb der EU frei wählen zu können, ist ein hohes Gut." Ein Abkommen, wie es die Niederlande jetzt fordern, lehnt die deutsche Regierung deshalb ab. "Das Gegeneinanderaufrechnen von Kosten bringt einen nicht weiter." Bisher habe es in dieser Sache noch nicht einmal Kontakt gegeben mit Den Haag, sagt die Sprecherin. "Wir wissen von den Plänen nichts." Bisher gibt es nur zwischen Dänemark und Schweden seit 1996 ein Verrechnungssystem.

Vorgesehen ist außerdem ein Werbungsstopp für deutsche Studenten. An vielen deutschen Schulen und auf Messen seien die Unis bisher mit Aktionen vertreten, sagt der deutsche Student Lukas Müller. "Es wird aktiv dafür geworben, in die Niederlande zu kommen."

Diese Werbung müsse verboten werden, findet Ferdinand Mertens. Er war jahrelang hoher Beamter im Bildungsministerium der Niederlande, trägt das deutsche Bundesverdienstkreuz für seinen Einsatz in der holländisch-deutschen Bildungszusammenarbeit. Mertens sagte im Fachblatt "Transfer" vor einigen Monaten: "Die Werbung ist absurd, es gibt keinen einzigen Grund, um nach Deutschen zu rufen." Der "Import von Studenten auf Kosten der Staatskasse" bringe nur den Hochschulen etwas, denn sie bekommen für jeden Studenten - egal ob einheimisch oder ausländisch - 6000 Euro vergütet und würden so ihr Budget aufblasen.

Für Polemik hält das hingegen Peter Stegelmann von der Website studieren-in-holland.de, mit der holländische Hochschulen um deutsche Studenten werben. "Es ist volkswirtschaftlich vernünftig, um die besten Köpfe zu werben", sagt er. Viele deutsche Studenten würden zudem nach ihrem Abschluss in den Niederlanden bleiben.

Ein deutsch-niederländisches Abkommen hält Mertens nicht für die Lösung. "Man kann dem anderen Land keine Rechnung schicken", sagt er. Deshalb gebe es nur eine Möglichkeit: "Die Studiengebühren müssen kostendeckend werden." Für Deutsche hieße das: Ein Studium in Holland wird teurer.

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