„Gibst du mir, geb’ ich dir“


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Kassel. Zu keiner anderen Zeit im Jahr werden so viele Geschenke gemacht wie an Weihnachten. Wir sprachen mit der Kasseler Psychologie-Professorin Heidi Möller über das Schenken.


Schenken ist eigentlich etwas Schönes. Trotzdem stöhnen viele über den Geschenkestress vor Weihnachten. Welchen Sinn hat Schenken noch als Massenphänomen?

Prof. Heidi Möller: Beim Schenken geht es darum, dass man wichtige Beziehungen festigt: Durch das Geschenk will man dem anderen eine Freude machen und drückt seine Wertschätzung aus. Problematisch wird es, wenn Schenken zu einer Art Zwangsritual wird und man sich verpflichtet fühlt, anderen Geschenke zu machen. Dann macht es keine Freude mehr, sondern kann in eine Art Geschenketerror entgleiten.

Was meinen Sie damit?

Möller: Manche Menschen überlegen nur noch: Wer wird mir wohl etwas schenken und wie viel gibt derjenige dafür aus? Im Gegenzug werden Geschenke ähnlichen Werts gemacht. Das ist eher ein Tauschhandel nach dem Motto „Gibst du mir, geb’ ich dir“ und geht am Sinn von Weihnachten vorbei.

Wie sieht denn ein gelungenes Schenken aus?

Möller: Die größte Freude macht ein Geschenk, wenn deutlich wird, dass sich der andere mit mir intensiv beschäftigt hat. Dass er sich in mich hineindenkt, um mir etwas Passendes auszusuchen. Wenn dann noch ein echter Wunsch erfüllt wird, ohne dass man ihn dem anderen gegenüber geäußert hat, ist es das Super-Geschenk schlechthin.

Oft werden allerdings einfallslose Dinge verschenkt. Eine Flasche guten Wein für den Herren, ein Parfüm für die Dame.

Möller: Das ist die risikoarme Variante. Man muss sich keine großen Gedanken machen, und der Wein wird dann schon ausgetrunken. Es gibt ja eine ganze Geschenke-Industrie, die es ermöglicht, dass man relativ beziehungslos zugreifen kann. Das nehmen vor allem diejenigen in Anspruch, die sich von der Geschenkepflicht getrieben fühlen.

Viele - nicht nur Kinder - schreiben einen Wunschzettel.

Möller: Das macht es einerseits einfacher. Andererseits verkommt das Schenken schnell zu etwas ganz Rationalem. Man schenkt sich dann eine elektrische Zahnbürste, weil die gerade kaputt ist. Der Wunschzettel kommt da manchmal schon einem Bestellzettel nahe.

Welche Ursprünge hat das Schenken eigentlich?

Möller: In archaischen Gesellschaften diente das Schenken einerseits der Selbstdarstellung: Man wollte den eigenen Reichtum nach außen zeigen. Zum anderen setzte man Geschenke zur Befriedung potenzieller Feinde ein - man denke an die Indianer, die damals den Entdeckern Gaben zu Füßen legten. Bei beiden Aspekten sieht man den eigennützigen Charakter des Schenkens.

Spielt Eigennutz auch heute eine Rolle beim Schenken?

Möller: Aber sicher. Wenn beispielsweise ein Mann einer Frau Dessous schenkt, kann es sein, dass darin die versteckte Botschaft steckt: Mach dich doch mal ein bisschen erotischer für mich zurecht. Wenn die Frau diese Absicht spürt, ist sie vielleicht sogar verstimmt über das Geschenk. Eine andere Frau freut sich hingegen wirklich über sexy Unterwäsche. Man sieht: In jedem Fall sollte der Schenkende sich Gedanken machen.

Was macht man, wenn man ein Geschenk bekommt, das so gar nicht gefällt?

Möller: Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens: Ich heuchle Freude und lasse das Geschenk in der Schublade verschwinden. Wenn es von einem nahestehenden Menschen kommt, fällt es dem allerdings vermutlich auf, wenn das Geschenk nicht benutzt wird - beispielsweise die Frau die Dessous nie trägt. Die andere Variante: Man spricht es aus. Allerdings ist die Verletzungsgefahr dabei groß. Gerade, wenn der andere sich Mühe mit der Auswahl gegeben hat. Dann kommt die Zurückweisung des Geschenks auch an als: Du hast mich nicht wirklich erkannt.

Was ist, wenn ich ein Geschenk von jemandem bekomme, für den ich nichts habe?

Möller: Die meisten Menschen fühlen sich in so einer Situation beschämt. Man merkt: Anscheinend spiele ich für die Person eine wichtigere Rolle als sie für mich. Viele versuchen, die Diskrepanz zwischen Nehmen und Nicht-Geben auszugleichen und schenken noch etwas hinterher. Ich empfehle, zu registrieren, dass der andere einem eine Freude machen wollte und das Ungleichgewicht auszuhalten. Sonst sind wir wieder beim Geschenketerror und dem Schenken als Tauschhandel.

Wie halten Sie es mit dem Schenken, Frau Möller?

Möller:
Nur meine fünf Patenkinder bekommen etwas. Ich sammele das ganze Jahr über Geschenkideen und wenn ich etwas Schönes sehe, kaufe ich es gleich. Vor Weihnachten gehe ich dann an den Geschenkeschrank und komponiere für jeden etwas Passendes. So habe ich nie Geschenkestress.

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