Von Null auf Hundert in die Politik

Marina Weisband rockt als Geschäftsführerin der Piraten nicht nur den eigenen Laden.

Am Anfang war die Angst. Sieben schlaflose Nächte hat Marina zitternd mit dem Gedanken an ihre neue Rolle verbracht - jedenfalls schreibt sie das auf ihrer Webseite Marinas Lied. Verständlich, denn Marina Weisband ist 24, studiert Psychologie in Münster, liebt das Internet und Rollenspiele, ist das Kind weißrussischer Einwanderer-  und seit Mai 2011 Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Politische Erfahrung: so gut wie keine.

Marina ist, wie sie angibt, erst seit zwei Jahren überhaupt politisch aktiv, im Piraten-Kreisverband Münster und als Mitglied im Studierendenparlament der Uni Münster. Von Null auf Hundert in den Bundesvorstand einer Partei, die gerade dabei ist, die eingefahrene Politik der Bundesrepublik ordentlich durchzurütteln. Ein ungeordneter Haufen politischer Newbies, die im Berliner Abgeordnetenhaus in die alten Büros der FDP einzogen und von einem Mitglied derselben Partei offenbar als „letzte liberale Hoffnung für Deutschland“ bezeichnet wurden. Bei so viel Erwartungsdruck kann einem schon mal die Muffe gehen.
 

Mehr über die Piraten? Der Parteitag 2011 in Offenbach

Marina ist so transparent, das wird sogar den Piraten unheimlich

Marina Weisband kompensiert das, indem sie das Motto ihrer Partei, Transparenz, einfach konsequent durchzieht. Auf ihrer Webseite teilt sie nicht nur ihre Gedanken zur Politik, sie bloggt auch über ihr privates Leben, über Kunst und Literatur und stellt ihre eigenen Zeichnungen aus. Und fleißig twittern tut sie als @Afelia auch, alles was ihr so einfällt.

So viel Transparenz ist sogar den Parteikollegen unheimlich. Kürzlich wurde ihr für einen Tweet „Ab welchem prozentualen Verhältnis zwischen Medikamenten und Frühstück wird es eigentlich bedenklich?“ parteischädigendes Verhalten vorgeworfen. Marina kontert mit „Ich bin sauer. Sauer, sauer, sauer, sauer, sauer.“ Sie hat keine Lust, sich das übliche „Politikersprech“ anzugewöhnen, sie könne auch Dinge schreiben wie Familienministerin Kristina Schröder: „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an“- aber wer will das lesen? Schließlich ist sie als Oberpiratin angetreten, um endlich Schluss zu machen mit dieser „ermüdenden Veranstaltung alter weißer Männer - vorhersehbar, schal, oberflächlich“, die sich bundesdeutsche Politik nennt. Die Menschen hinter den hohlen Politikerhülsen müssen her, das fordert sie auf Marinas Lied.
 

Eine Galionsfigur, die keine sein will

Damit beweist sie auch gleich, dass sie das kann, was andere Politiker nicht können, aber sehr gern können würden: Authentisch sein. Vor laufenden Kameras bei Harald Schmidt zum Beispiel. Gefragt nach ihrem Lieblingsfilm nennt sie ein Märchen, „Die Wunderbare Welt der Amélie“. Sie mag Kitsch und steht dazu. Über den neuen Kult um ihre Person jammert sie, sie will keine Galionsfigur sein, nur weil sie eine Frau ist. Dass ihr Parteikollege Nerz nach Politik, und sie nach ihrem Lippenstift gefragt wird, macht sie sauer.

Ihr Steckenpferd ist eigentlich die Bildungspolitik, doch irgendwie will das momentan keiner hören. Doch wie Charlotte Roche bei Harald Schmidt dazu sagte: „Das mit der Galionsfigur, da muss die einfach durch. Da musst du durch, oder aufhören.“ Marina Weisband ist eben anders als andere Politikerinnen, anders als die säuerliche Wagenknecht, die männliche Künast,  die zögerliche Schröder - das kann schon mal verwirren für den Anfang.

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